Parlament

Gemeinsam erinnern. Gedenkrede für die Opfer des ehemaligen NKWD-Lagers Tost

Das Bild zeigt einen Park mit Bäumen und Sträuchern. In der Mitte steht ein großer Stein mit einer Gedenktafel. Eine Frau steht mit einem Handmikrofon und spricht zum Publikum.

Die SED-Opferbeauftragte bei ihrer Rede, Gedenkstätte NKWD-Lager Tost. (heute Toszek/Polen) (Team Zupke)

Dzien Dobry,
Sehr geehrter Herr Bürgermeister Dr. Grzegorz Kupczyk,
sehr geehrter Herr Stadtrat Rafał Kucharczyk,
sehr geehrter Herr Peter Herr,
sehr geehrter Herr Dr. Marcin Tyslik,
sehr geehrter Herr Martin Lippa,
sehr geehrte Frau Ewa Czeczor,
sehr geehrter Herr Erwin Janysek,
sehr geehrter Herr Waldemar Gielzok,
sehr geehrte Dorothea und Michael Matheja,
sehr geehrter Herr Prof. Musielok,
Liebe Sybille Krägel,
Liebe Angehörige,
Liebe Gäste,

anfang des Monats wurde in Berlin das Konzept für das deutsch-polnische Haus vorgestellt. Ein Ort, direkt im Herzen unserer Hauptstadt, an dem an die polnischen Opfer des nationalsozialistischen Deutschlands gedacht wird. Ein Ort, an dem an das Leid Polens zwischen 1939 und 1945 und den gewaltsamen Tod von über fünf Millionen polnischer Staatsbürgerinnen und -bürger erinnert werden soll.

Gleichzeitig wird das deutsch-polnische Haus auch über die Zeit der sowjetischen Besatzung informieren. Ein Ort, gegen das Vergessen. Ein Ort des gemeinsamen Erinnerns. Die Planungen, wie die für das deutsch-polnische Haus in Berlin und unser gemeinsamer Besuch heute hier in Tost mit unseren polnischen Partnern und Freunden.

Das ist für mich Ausdruck unserer gemeinsamen Erinnerungskultur und der gelebten Freundschaft zwischen Deutschland und Polen.

Erinnerung braucht Begegnung. Begegnung mit den Orten des Unrechts. Begegnung mit den Menschen, die das Leid erfahren haben und mit ihren Familien.

Als ich vor zwei Jahren vom deutschen Parlament zur ersten Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur beim Deutschen Bundestag gewählt wurde, lernte ich an meinem ersten Tag im neuen Amt Sybille Krägel kennen.

Sybille Krägel erzählte mir von Tost. Vom Lager. Von ihrem Vater, der hier ums Leben kam. Und von ihrem Bemühen, den Opfern von Tost ein Gesicht zu geben.

Tost. Toszek.

Ich muss ehrlich sagen, dieser Ort – Tost – sagte mir gar nichts. Weder wusste ich wo Tost liegt. Noch hatte ich eine Vorstellung davon, welche Bedeutung dieser Ort – dieses frühere Lager - hat.

Tost – und die weiteren Lager – sind auch heute noch viel zu häufig ein blinder Fleck in unserer Erinnerungskultur. Das Unrecht und das Leiden der Nachkriegsjahre hat für uns häufig keine klaren Konturen. Die Opfer keine Namen – und die Orte sind viel zu oft längst vergessen.

So wie in den Familien viel zu wenig über das Erlebte gesprochen wurde, ist es uns in unserer Gesellschaft über Jahrzehnte meist nicht gelungen, den Opfern der Lager gerecht zu werden.

In der DDR war das Gedenken an die Opfer verboten. Jeder kritische Blick auf das Sowjetsystem wurde im Keim erstickt. Im Westen Deutschlands wiederum hatte niemand so recht ein Ohr für diesen Teil unserer Geschichte.

Diese Zeit des Schweigens, sie wirkt häufig noch immer nach.

Die Opfer von Tost und den weiteren Lagern. Es liegt an uns, die Erinnerung an diese Menschen und ihr Leid wachzuhalten. Es sind Schicksale wie das von Hans Schmidt, die mich bewegen.

Hans Schmidt kam im Mai 1945 als 15-Jähriger hier nach Tost ins Lager. Vorgeworfen wurde ihm, ein Saboteur zu sein. Seine Zeit im Lager war geprägt von Hunger und schwerer Arbeit. Immer wieder musste er miterleben, wie Mitgefangene totgeschlagen wurden oder an Hunger starben. Nach wenigen Wochen in Tost folgten weitere Lager. Schließlich wurde er 1950 aus dem Lager in Buchenwald entlassen. Anstelle seiner Jugend erlebte Hans Schmidt jahrelang Gewalt, Hunger und die Angst auch selbst zu sterben.

Über Jahrzehnte behält er das, was er erlebt hat für sich. Zu groß ist die Angst, nicht verstanden zu werden. Erst kurz vor dem Mauerfall – nach über vierzig Jahren – bricht er sein Schweigen. Er berichtet seiner Frau von Tost und den weiteren Lagern. Von dem unermesslichen Leid und den tausenden Toten.

Es ist nicht nur die Geschichte des sowjetischen Lagersystems. Es ist auch die Geschichte seiner gestohlenen Jugend. Die Geschichten der Opfer erzählen. Die Opfer würdigen und die historischen Zusammenhänge vermitteln. All das ist wichtig, um das Bewusstsein für den Wert der freiheitlichen Demokratie und der Menschenrechte hier und heute zu stärken.

Für mich steht Tost für mehr als „nur“ für das frühere Lager. Tost steht für die Menschen, die hier gelitten haben und hier gestorben sind. Tost steht für mich aber ebenso auch für das Erinnern. Für die persönliche Erinnerung der Angehörigen an die verstorbenen Eltern, Großeltern und Geschwister. Und für das gemeinsame Erinnern. Als Ausdruck unserer deutsch-polnischen Freundschaft.

Den Opfern im ehrenden Gedenken.

Vielen Dank!

Ofiarom ku czci pamięci.

Dziękuję bardzo!

Marginalspalte