07.11.2023 | Parlament

Traumasensible Pflege im Alter - Tagung

Das Bild zeigt eine Frau, die auf einer Bühne steht und in ein Mikrofon spricht.

Die SED-Opferbeauftragte hält ein Grußwort bei der Tagung „Sicher und würdevoll im Alter leben – Bedarfe erkennen und traumasensible Unterstützung ermöglichen“. (© Team Zupke)

Am 7. November 2023 hat die SED-Opferbeauftragte an der Tagung „Sicher und würdevoll im Alter leben – Bedarfe erkennen und traumasensible Unterstützung ermöglichen“ teilgenommen. Die Veranstaltung wurde von der Diakonie Deutschland und dem „Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt von EKD und Diakonie“ in Berlin durchgeführt. Zusammen mit Betroffenen sexueller Gewalterfahrungen, Forschenden, Vertreterinnen und Vertretern von Pflege- und Unterstützungseinrichtungen fand ein Austausch darüber statt, wie künftig in der Kranken- und Altenpflege zurückliegende Traumata von zu Pflegenden besser berücksichtigt werden können.

Bisher wird in der Aus- und Weiterbildung der Pflege einem solch traumasensiblen Umgang noch zu wenig Beachtung geschenkt. Aber die Bedarfe für traumasensible Angebote, spezialisiertes Fachpersonal und gesicherte Finanzierungsmöglichkeiten sind da. Denn Forschungsergebnisse belegen, dass gerade Betroffene von Gewalterfahrungen und sexualisierter Gewalt in staatlichen Einrichtungen der (DDR-) Jugendhilfe oder konfessionellen Kinderheimen nicht nur mit lebenslangen Folgen zu kämpfen haben, sondern vor allem auch große Angst davor haben, im Alter erneut auf stationäre Einrichtungen angewiesen zu sein. Das löst zum Teil größtmögliche Unsicherheit, Trauma-Reaktivierung und Abwehr aus. Davon haben auch die Betroffenen des „Beteiligungsforums sexueller Gewalt von EKD und Diakonie“ berichtet.

In der DDR waren es „gerade die Spezialheime, die häufig keine Orte waren, wo Kinder und Jugendliche Schutz und Hilfe fanden. Diese Orte waren oft Orte der Repression, Orte staatlichen Unrechts, verübt an den Schutzlosesten in unserer Gesellschaft“, so die SED-Opferbeauftragte in ihrem Grußwort auf der Tagung. Häufig schwiegen diejenigen, die schlimmste Erfahrungen der psychischen, physischen und sexualisierten Gewalt in DDR-Spezialkinderheimen oder Jugendwerkhöfen machen mussten, über Jahre hinweg - viele schweigen bis heute. Diejenigen, die sprächen, hätten häufig eine große Angst vor einer erneuten Wehrlosigkeit, manche Betroffene schlössen dabei ein Leben im Heim im Alter sogar komplett für sich aus. Sie sagen: „Ich? Nochmals ins Heim, in ein Altenheim. Nie wieder! Als Kind konnte ich mich nicht wehren. Wenn ich alt bin, könnte ich mich wieder nicht wehren. Dann geht das alles noch einmal los? Lieber falle ich tot um.“ 
Aus Sicht der SED-Opferbeauftragten sind zudem die Menschen in den Blick zu nehmen, die als Opfer politischer Haft in der DDR, von Zwangsadoption, von Zersetzungsmaßnahmen der Stasi oder von Medizinunrecht, auch starke Traumerfahrungen haben können, die ebenfalls im Alter verstärkt wieder belastend auftreten. 

Ein auf der Tagung vorgestellter Ansatz, der die Bedarfe von Betroffenen und ihre Ängste vor erneutem Ausgeliefertsein, Ohnmachtsgefühlen und Kontrollverlust in den Blick nehmen will, ist ein geplantes Modellprojekt von traumasensiblen Wohngemeinschaften des Paula e.V. Köln für gewaltbetroffenen Frauen ab 60.

Die SED-Opferbeauftragte wirbt zudem für gezielte Fachkräfteschulungen, um traumatisierten Menschen mit ihren Erfahrungen im Alter in geeigneter Weise zu begegnen - Schulungen, die beispielsweise auf die Situation betroffener ehemaliger Heimkinder, auch der DDR, die auf die Situation von Menschen, die traumatisiert wurden, zum Beispiel auch ehemalige politische Häftlinge, aufmerksam machen. Evelyn Zupke: „Mir geht es dabei nicht darum, dass wir dem betreuenden und pflegenden Personal im häufig überlasteten Gesundheits- und Pflegesystem nun auch noch eine weitere Aufgabe überhelfen. Sondern ich glaube, dass mit der Sensibilisierung für die Pflegenden und Betreuenden auch Unterstützung bei für sie selbst belastende Situationen verbunden sein und entwickelt werden kann.“

Daran soll auch eine auf der Tagung vorgestellte und noch in der Vorbereitung befindliche Broschüre anknüpfen, die sich an das pflegende Personal richtet, ihre Nöte in den Blick nimmt und Verständnis, aber auch Lösungswege für eine traumasensible Begleitung von Betroffenen schaffen will: „Als die Patientin mir das Tablett vor die Füße warf - Kommunikation trotz Verletzung, Menschlichkeit statt Konfrontation“.

 

Hintergrund: 
Im Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt werden seit Juli 2022 alle Fragen, die sexualisierte Gewalt in der Evangelischen Kirche und Diakonie betreffen, von Betroffenenvertreterinnen und -vertretern und kirchlichen sowie diakonischen Leitungspersonen gemeinsam diskutiert. In der AG Diakonie arbeiten Vertreter:innen aus der Diakonie und Betroffene, die in diakonischen Einrichtungen sexualisierte Gewalt erlebt haben, zusammen an zentralen Themen der Prävention und Aufarbeitung

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