Parlament

Kolumne der Wehrbeauftragten - April 2021

Eine Frau mit blonden Haaren und hellblauem Blazer steht vor einer Betonwand.

Wehrbeauftragte Eva Högl (DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

die Diskriminierung homosexueller Soldaten war über Jahrzehnte offizielle Praxis in der Bundeswehr. Per Erlass wurde ihre sexuelle Orientierung zum Sicherheitsrisiko erklärt. Sie hatten erhebliche dienstrechtliche Benachteiligungen zu befürchten – von Herabsetzung ihres Dienstgrads bis hin zur fristlosen Entlassung. Erst im Jahr 2000 beendete die Bundeswehr diese systematische Diskriminierung und hob den Erlass auf.

Letztes Jahr hat sich die Verteidigungsministerin bei den Betroffenen für das Leid, das sie erfahren haben, offiziell entschuldigt und ihre Rehabilitierung auf den Weg gebracht. Das entsprechende Gesetz wird derzeit im Deutschen Bundestag diskutiert und voraussichtlich Ende Mai verabschiedet.

Das ist für die Betroffenen ein sehr wichtiger Schritt – der auch überfällig war. Die Bundeswehr hinkte der gesellschaftlichen Realität hinterher. Im Strafgesetzbuch wurde die Kriminalisierung homosexueller Handlungen bereits 1994 endgültig aufgehoben – sechs Jahre früher als in der Bundeswehr.

Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahren offener, vielfältiger und bunter geworden. Das sollte sich auch in der Truppe mit ihrem Anspruch, Spiegelbild unserer Gesellschaft zu sein, wiederfinden.

Vielfalt ist dabei keineswegs Selbstzweck. Sie ist eine echte Chance und pure Notwendigkeit. Die Bundeswehr ist nämlich nur dann zukunftsfähig, wenn sie für alle Menschen gleichermaßen attraktiv ist – egal woher sie kommen, wen sie lieben oder an wen sie glauben.

Anders als man vielleicht glauben mag, besitzt die Bundeswehr dafür großes Potenzial. Sie hat so vielfältige Arbeitsbereiche und Dienststellen zu bieten, dass sie jedem und jeder Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung bieten kann. Maßgebend für Chancen und Karrieren sind Eignung, Befähigung und Leistung – nicht Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Glaube. Und Soldatinnen und Soldaten eint ein besonderes Band: Kameradschaft. Sie verpflichtet zu gegenseitiger Anerkennung, Rücksicht und Achtung. Sie sorgt für Einheit in Vielfalt.

In den letzten Jahren hat sich in der Bundeswehr viel getan. Im Verteidigungsministerium wurde ein „Stabselement Chancengerechtigkeit, Vielfalt und Inklusion“ eingerichtet. Es gibt eine Ansprechstelle für Diskriminierung. Im Zentrum Innere Führung hat die „Zentrale Ansprechstelle für den Umgang mit Vielfalt“ ihre Arbeit aufgenommen. Es wurde ein Leitfaden zum Umgang mit transgeschlechtlichen Menschen erarbeitet.

Diese Entwicklungen sind sehr erfreulich. Wichtig ist jedoch, dass sie auch in der Truppe ankommen. Noch immer erhalte ich Eingaben von homosexuellen Soldatinnen und Soldaten, die als „Lesbe“ oder „Schwuchtel“ beleidigt werden, oder von transsexuellen Menschen, die sich einen sensibleren Umgang mit ihren Belangen wünschen. Auch bei religiöser Vielfalt gibt es noch was zu tun: 3.000 muslimische Soldatinnen und Soldaten haben keinen Zugang zu islamischer Seelsorge.

Trotz der Fortschritte in den letzten Jahren sind also weitere Anstrengungen geboten, vor allem auch Aufklärung und Sensibilisierung innerhalb der Truppe. Die Auseinandersetzung mit Vielfalt in all ihren Dimensionen sollte fester Bestandteil der Ausbildung werden. Nur so kann Vielfalt von unten und von Beginn an gelernt und gelebt werden.

Grundlage und Katalysator für die bevorstehende Rehabilitierung homosexueller Soldaten war eine bemerkenswerte Studie des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Darin wurde der Umgang der Bundeswehr mit Homosexualität von 1955 bis zur Jahrtausendwende akribisch und selbstkritisch nachgezeichnet.

Auch zur Frage von Vielfalt in der Truppe gibt es eine Studie. Sie wurde bereits im Mai 2019 durchgeführt. Sie kann aufzeigen, wie bunt die Truppe bereits ist, und Impulse geben, wo sie noch Nachholbedarf hat. Es wäre daher gut, wenn die Ergebnisse der Studie zeitnah veröffentlicht, diskutiert und weitere Schritte auf den Weg zu gelebter Vielfalt unternommen werden.

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,

Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

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