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Kolumne der Wehrbeauftragten - Mai 2021

Eine Frau mit blonden Haaren und hellblauem Blazer steht vor einer Betonwand.

Wehrbeauftragte Eva Högl (DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

seit fast 20 Jahren ist die Bundeswehr in Afghanistan, zunächst im Rahmen der internationalen Schutzmission ISAF, aktuell mit der Ausbildungsmission Resolute Support. Vieles wurde in den letzten zwei Jahrzehnten erreicht.

Afghanistan ist nicht mehr Hort des internationalen islamistischen Terrorismus. Ein politisches System mit rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien wurde etabliert. Afghanische Sicherheitskräfte wurden aufgebaut und ertüchtigt. Es gibt mehr Freiheiten, Wirtschaftswachstum und Bildungschancen.

Das alles ist ein Verdienst des internationalen Engagements – auch des Einsatzes der Bundeswehr. Bis heute waren über 158.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan. Sie haben einen wichtigen Beitrag zu Frieden, Freiheit, Demokratie und Stabilität im Land geleistet.

Wie geht es weiter in Afghanistan? Diese Frage beschäftigt uns alle zurzeit sehr. Für viel Unruhe hat die Absicht des ehemaligen US-Präsidenten Trump gesorgt, die US-Truppen kurzfristig und ohne Absprachen mit Verbündeten abzuziehen. Das hätte katastrophale Folgen für Afghanistan und darüber hinaus gehabt. Denn die aktuelle Situation ist äußerst fragil. Die Sicherheitslage ist in Teilen des Landes nicht kontrollierbar. Die Taliban verüben weiterhin blutige Anschläge. Und die inner-afghanischen Friedensverhandlungen stecken fest.

Mit der neuen US-Administration sind die überstürzten Abzugspläne vom Tisch. Das ist gut so. Präsident Biden hat entschieden, bis zum 11. September 2021 – also 20 Jahre nach den Anschlägen auf das World Trade Center – die US-Truppen abzuziehen. Die Bundeswehr wird bis Mitte August das Land verlassen. Die Devise lautet nun also: gemeinsam rein, gemeinsam raus.

Unser Engagement darf jedoch mit dem Abzug nicht enden. Wir müssen unsere afghanischen Partner weiter unterstützen – politisch, zivil und humanitär. Denn nur so kann das bisher Erreichte bewahrt und der Friedensprozess weiter vorangetrieben werden. Die Absicht von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer, afghanischen Helferinnen und Helfern der Bundeswehr eine Perspektive in Deutschland zu eröffnen, begrüße ich sehr.

Als Wehrbeauftragte sind mir drei Anliegen besonders wichtig.

Erstens: Oberstes Gebot für das weitere Engagement der Bundeswehr ist die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten. Wir müssen davon ausgehen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert. Die Taliban haben mit einem „großen Krieg“ gedroht, wenn die internationalen Kräfte länger bleiben. Darauf müssen wir uns vorbereiten. Entsprechendes Personal sowie Fähigkeiten für besseren Schutz werden bereitgehalten.

Zweitens: Nach dem Abzug braucht es eine kritische, offene und schonungslose Bilanz des Afghanistan-Einsatzes. Was waren unsere Ziele? Was haben wir erreicht? Und was bedeutet das für künftige Einsätze? Eine Enquetekommission im Deutschen Bundestag könnte diese Fragen ausführlich erörtern.

Afghanistan ist zweifelsohne der umfangreichste und prägendste Einsatz in der Geschichte der Bundesrepublik. Alle Soldatinnen und Soldaten, die in Afghanistan eingesetzt waren und sind, müssen wissen, wofür sie dort eintreten. Nur so identifizieren sie sich mit ihrem Auftrag. Nur so können sie stolz auf das im Einsatz Geleistete sein. Eine Zäsur war gewiss das Jahr 2010 – dem mit acht Gefallenen bislang verlustreichsten Jahr in der Geschichte der Bundeswehr. Insgesamt ließen 59 Soldaten ihr Leben in Afghanistan. Auch die Hinterbliebenen aller Gefallenen müssen wissen, wofür ihre Angehörigen ums Leben gekommen sind.

Eine solche Bilanz ist auch für andere Einsätze und Missionen, etwa in der Sahelzone, von großer Bedeutung. Aus Afghanistan gilt es zu lernen – und gegebenenfalls Konsequenzen zu ziehen.

Drittens: Nicht zuletzt verbinde ich mit einem solchen Rück- und Ausblick des Afghanistan-Einsatzes auch den Wunsch, dass wir über die Auslandseinsätze der Bundeswehr insgesamt wieder mehr diskutieren. In der Öffentlichkeit werden sie nur wenig wahrgenommen. Das spüren unsere Soldatinnen und Soldaten. Es wird ihrem Dienst, den sie oftmals unter lebensbedrohlichen Bedingungen erbringen, nicht gerecht. Unsere Soldatinnen und Soldaten verdienen Anerkennung, Respekt und Wertschätzung für ihre Leistung – in Afghanistan und allen weiteren elf Auslandseinsätzen der Bundeswehr!

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,
Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

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