Parlament

Kolumne der Wehrbeauftragten - April 2023

Eine Frau mit blonden Haaren und hellblauem Blazer steht vor einer Betonwand.

Wehrbeauftragte Eva Högl (DBT/Inga Haar)

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

die Debatte über einen gesellschaftlichen Pflichtdienst gewinnt deutlich an Fahrt. Die Stimmen mehren sich, die dieser Idee viel abgewinnen können. Darunter Personen aller politischen Parteien, Bundesverteidigungsminister Pistorius und sogar Bundespräsident Steinmeier. Prominenter kann die Unterstützung also nicht sein.

Als ich 2020, kurz nach meiner Amtsübernahme, eine offene Diskussion über das Für und Wider eines Pflichtdiensts anregte, stieß diese Initiative noch auf breite Ablehnung im politischen Berlin. Manche taten es lapidar als Sommerloch- Debatte ab. Das hat sich mittlerweile geändert. Ein wesentlicher Grund ist sicherlich der Krieg in der Ukraine und die fundamental neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur, in der wir uns in Europa nun und auf absehbare Zeit befinden. Von Bürgerinnen und Bürgern sowie Soldatinnen und Soldaten hatte ich bereits 2020 viele positive, unterstützende Reaktionen erhalten.

Alle Befürworterinnen und Befürworter eines gesellschaftlichen Pflichtdiensts sind sich dabei einig: Es geht keineswegs um die Wiedereinführung der alten Wehrpflicht. Die Idee geht weit über Wehrpflicht und Bundeswehr hinaus. Es geht darum, dass sich junge Menschen eine Zeitlang in unserer Gesellschaft und für unsere Gesellschaft engagieren. Das kann bei der Bundeswehr sein, das kann aber auch in sozialen und karitativen Einrichtungen, in Kunst und Kultur oder im Bereich Umwelt und Nachhaltigkeit sein.

Unsere Gesellschaft ist in den letzten Jahren und Jahrzehnten immer bunter, vielfältiger und individueller geworden. Das bedeutet auch, dass Lebenswelten immer unterschiedlicher und die Berührungspunkte zwischen gesellschaftlichen Gruppen und Generationen schwächer geworden sind. Ein gesellschaftlicher Pflichtdienst würde dem entgegenwirken. Er würde Menschen zusammenbringen, die sich in ihrem Leben womöglich nie begegnen würden. Das würde den individuellen Erfahrungshorizont erweitern und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Ein Gewinn für Individuum und Gesellschaft.

Drei Punkte sind mir in der Debatte besonders wichtig.

Erstens: Es gibt viele Ideen, einen Gesellschaftsdienst so attraktiv zu gestalten, dass möglichst viele junge Menschen sich freiwillig hierzu entscheiden. Von besseren Rahmenbedingungen der bisherigen Angebote wie dem Bundesfreiwilligendienst über kostenfreie ÖPNV-Nutzung bis hin zu Vorteilen beim weiteren Lebensweg, etwa der Suche nach einem Ausbildungs-/Studienplatz. Diese Potenziale sollten gehoben und ausgeschöpft werden, ehe man einen Pflichtdienst einführt.

Zweitens: Ein Pflichtdienst wäre ein starker Eingriff in die Freiheitsrechte junger Menschen und eine Entscheidung von erheblicher gesellschaftlicher Tragweite. Sie sollte daher von der Mitte der Gesellschaft und mit breiter Mehrheit getragen werden. Das könnte eine parteiübergreifende Diskussion und eine Abstimmung ohne Fraktionszwang im Bundestag gewährleisten.

Dieser Prozess könnte durch Bürgerräte begleitet werden. Solche Bürgerräte sind im Koalitionsvertrag festgeschrieben und sollen bei bestimmten Fragen genutzt werden, um parlamentarische Entscheidungsfindungen zu verbessern. Kaum ein Thema würde sich hierfür besser eignen als ein gesellschaftlicher Pflichtdienst. Zudem geben Bürgerräte die Möglichkeit, dass sich junge Menschen an der Diskussion intensiv beteiligen. Das ist von großer Bedeutung, schließlich sind sie diejenigen, die von einem Pflichtdienst betroffen sind.

Drittens: Ein Pflichtdienst bei der Bundeswehr könnte dazu beitragen, die Bundeswehr noch stärker in unserer Gesellschaft zu verankern. Er dürfte jedoch nicht wie die alte Wehrpflicht aussehen. Darauf wäre die Truppe materiell und infrastrukturell nicht vorbereitet. Das wäre für die Bundeswehr von heute als moderne, hoch professionelle Freiwilligen- und Berufsarmee auch gar nicht zielführend. Und es würde die aktuellen Personalprobleme der Truppe nicht lösen.

Wie eine zeitgemäße Wehrpflicht aussieht, zeigen Schweden oder Norwegen. In beiden Ländern gilt die Wehrpflicht für Frauen wie Männer. In Schweden finden eine breite Ansprache, selektive Musterung und gezielte Einberufung statt – mit einem weiterhin hohen Grad an Freiwilligkeit. In Norwegen werden alle gemustert, jedoch bei Weitem nicht alle eingezogen. Die Devise in beiden Ländern lautet gewissermaßen: Qualität statt Quantität. Hieran könnten wir uns für die Bundeswehr orientieren, sollten wir uns als Gesellschaft zur Einführung eines allgemeinen Pflichtdiensts entscheiden.

Ein gesellschaftlicher Pflichtdienst ist ein kontroverses Thema, das nicht nur Befürworterinnen und Befürworter hat. Und es ist ein Thema, das viele Facetten hat und uns als gesamte Gesellschaft betrifft. Darüber lohnt es sich in all seiner Breite und Vielfalt, mit Sorgfalt und Augenmaß zu diskutieren!

Mit herzlichen Grüßen

Eva Högl,
Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages

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