„Die Truppe muss für Frauen attraktiv sein“ – Interview, 11.9.2020
Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Süddeutschen Zeitung“ vom 11. September 2020
„Die Truppe muss für Frauen attraktiv sein“
SZ: Der Europäische Gerichtshof hat vor 20 Jahren den Weg dafür frei gemacht, dass auch Frauen in der kämpfenden Truppe dienen können. Wie hat das die Bundeswehr verändert?
Eva Högl: Frauen leisten überall in der Truppe ihren Dienst. Sie sind angekommen in der Bundeswehr. Der Anteil von Frauen in der Bundeswehr liegt heute bei etwa zwölf Prozent und er steigt. Ich würde mir wünschen, dass Frauen stärker in der Führung Verantwortung übernehmen und Kommandeurinnen werden.
Mit zwölf Prozent bleibt die Truppe aber weiterhin ein Männerreich.
Bei der Gleichberechtigung ist noch Luft nach oben. Das männliche Führungsverhalten alter Schule wächst aber langsam heraus. Bei meinen Truppenbesuchen habe ich gesehen: Es kommen moderne, junge Männer nach, die das Partnerschaftliche leben. Das ist die Zukunft. Ein Anteil von 30 Prozent Frauen in der Bundeswehr, das würde der Truppe sicher guttun.
Braucht die Truppe eine Quote?
Es gibt im Gesetz bereits Vorgaben. Beim Sanitätsdienst, wo Frauen schon länger ihren Dienst tun, haben wir schon fast 50 Prozent erreicht und weibliche Generale. In den anderen Laufbahnen lautet die gesetzliche Vorgabe 15 Prozent, tatsächlich liegt sie aber noch unter zehn Prozent. Deshalb halte ich nichts von unrealistischen Quotenforderungen. Es braucht ein anderes Bewusstsein: Die Truppe muss für Frauen attraktiv sein.
Das Heer warb mit grünem Nagellack um Frauen. Ist es das?
Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es darum geht, Nachwuchs zu werben. Da dürfen dann auch mal solche Aktionen sein…
Laut Wehrbericht Ihres Vorgängers bekommen Soldatinnen von Kameraden zu hören: „Hey Puppe...“ Und es geht noch schlimmer...
Als der Europäische Gerichtshof entschied, Frauen auch in den kämpfenden Teilen der Truppe zuzulassen, fand ich das toll und mutig. Das hat die Truppe verändert. Natürlich ist die Bundeswehr immer noch sehr männlich geprägt. Frauen sind noch nicht überall gleichermaßen respektiert. Es kommt auch zu sexuellen Übergriffen. Diesen Fällen wird nachgegangen.
Wie erleben Sie in Briefings die Rolle von Frauen?
Bisher war das so, dass bei meinen Truppenbesuchen die Lagebriefings überwiegend Männer gemacht haben. In den Gesprächen, die ich mit der Truppe führe, sind die Soldatinnen sehr präsent.
Spüren Frauen, die Karriere in der Bundeswehr machen wollen, genauso eine „gläserne Decke“?
Ja, ich denke schon. Die Bedingungen für Frauen müssen stimmen, daran muss die Truppe arbeiten. Dabei geht es vor allem um Planbarkeit und Vereinbarkeit mit der Familie. Die Frauen müssen sich aber auch für die Karriere entscheiden.
Haben Frauen in der Bundeswehr andere Erwartungen als Frauen in großen Unternehmen, wenn es um Karriere geht?
Es gibt in der Bundeswehr vielleicht mehr Frauen, die sagen: Das Geschlecht spielt keine Rolle. Diese haben oft auch eine „männliche Biografie“ - sehr klar, sehr karriereorientiert, von ausgeprägtem Führungsverhalten gekennzeichnet. Es gibt genauso Frauen, die die bestehenden Strukturen und Mechanismen in Frage stellen. Solche, die sagen, wir bringen den weiblichen Blick mit, und die einen partizipativeren Ansatz wollen.
In die Kampftrupps des Kommando Spezialkräfte (KSK) hat es bis heute keine Frau geschafft.
Ich habe dies mit dem Kommandeur des KSK erörtert. Ich finde, dass das ein Problem ist und die Kampftruppen Frauen brauchen. In anderen Ländern werden Frauen auch in die Spezialkräfte aufgenommen. Sie können die Voraussetzung erfüllen. Sie sollten sich bewerben.
Es heißt, diese seien so hoch, dass Frauen scheitern müssten.
Ich bin dagegen, die Anforderungen für Frauen herunterzuschrauben. Aber ob nun eine Kommandosoldatin im Auswahlverfahren einen Baumstamm tragen können muss, da habe ich meine Zweifel.
Das KSK selbst steckt in der Krise: Es hat vom Ministerium bis Oktober eine Bewährungsfrist bekommen, rechte Umtriebe aufzuklären und abzustellen. Hat die Eliteeinheit die Zeit bisher genutzt?
Ich hoffe das. Ich hatte bei meinem ersten Besuch den Eindruck, dass die Botschaft angekommen ist. Das KSK hat selbst großes Interesse daran, möglichst viel zu verändern, um klar zu machen: Rechtsextreme haben dort keinen Platz. Ich werde mir bei einem Besuch Ende September einen Überblick darüber verschaffen, was erreicht wurde. Ich halte es aber nicht für angemessen, als Reaktion auf die rechtsextremistischen Vorfälle die komplette Einheit aufzulösen. Wir brauchen das KSK.
Sie kennen rechtsterroristische Strukturen aus Ihrer Zeit als Innenpolitikerin. Sie hatten im Parlament mitgewirkt, die NSU-Morde aufzuarbeiten. Wo sehen Sie Parallelen?
Bei der Bagatellisierung von Rechtsextremismus. Häufig wird gesagt: Das seien doch keine Rechtsextremisten. Das sei doch alles nicht so schlimm. Rechtsextremismus wird nicht als die Gefahr für unsere Gesellschaft gesehen. Das ist das eine. Das andere ist ein Mangel an kritischen Diskussionen in der Truppe: Wo rechtsextreme Ansichten geäußert werden, müssen Soldatinnen und Soldaten sofort Widerspruch von Kameraden und Vorgesetzten erfahren.
Immer häufiger fallen Reservisten auf, die sich rechten Gruppen anschließen. Muss genauer hingeschaut werden?
Definitiv. Da wurde bislang zu wenig getan. Wir haben das Problem, dass die Zuständigkeiten bei Reservisten bislang nicht klar genug zwischen Verfassungsschutzämtern und dem Militärischen Abschirmdienst geklärt sind. Das wird jetzt auch strukturell in einer Arbeitsgruppe angegangen. Die Reservisten, die zum Dienst herangezogen werden, sollten vorher sicherheitsüberprüft werden. Diese Aufgabe muss beim Militärischen Abschirmdienst liegen.
Sie hatten die Rückkehr zur Wehrpflicht zur Debatte gestellt, auch um rechten Tendenzen in der Truppe entgegenzuwirken. Dafür haben Sie Kritik einstecken müssen. Ist die Wehrpflicht für Sie erledigt?
2021 ist es zehn Jahre her, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde. Ich will deshalb eine Debatte über die Frage führen: War es richtig, die Bundeswehr zur Berufsarmee umzustrukturieren? Haben wir die Ziele erreicht? Ich glaube, dass es allen guttut, eine Zeit lang einen Dienst für die Gesellschaft zu leisten.
Als Pflichtjahr?
Zwischen freiwillig oder verpflichtend kann ich mir vieles vorstellen. Ich habe stapelweise positive Rückmeldungen bekommen. Das heißt nicht, dass ich die Kreiswehrersatzämter wieder errichten und die alte Wehrpflicht zurück haben will. Die Welt hat sich aber verändert: Die Landes- und Bündnisverteidigung wird wieder wichtiger. Auch darüber sollten wir reden.
Wo liegen die Versäumnisse der Politik, wenn Parolen rechter Gruppen und rechtspopulistischer Parteien offenkundig Anklang bei Soldaten finden?
Rechtsextremismus ist eine Gefahr für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat und das muss klar gesagt werden. Skepsis gegenüber der Politik resultiert auch daraus, dass Soldaten das Gefühl haben, dass sie nicht genügend vom Parlament unterstützt werden. Jeder Soldat, jede Soldatin muss bestens ausgestattet sein; nicht nur im Einsatz, sondern auch in der Ausbildung und bei Übungen. Ich höre aber immer wieder: Soldaten warten anderthalb Jahre auf ihre Jacke oder neue Stiefel. Das ist inakzeptabel und brandgefährlich für eine Parlamentsarmee.
Wenn der Bundestag Auslandseinsätze verlängert, wirkt das mitunter wie eine lästige Routine.
Soldaten in Auslandseinsätze zu schicken ist die schwerste Entscheidung des Bundestages. Aber die Mandatsverlängerungen verlaufen immer ritualisierter. Das mag mit der Vielzahl an Missionen zusammenhängen. Wir müssen wieder ausführlicher debattieren - über jede einzelne Mission. 20 Jahre nach dem Beginn des Einsatzes in Afghanistan etwa brauchen wir eine schonungslose Analyse: Was wollten wir da? Was haben wir erreicht? Das ist für jede einzelne Soldatin, für jeden einzelnen Soldaten wichtig, zu wissen: Wofür mache ich das? Ich erwarte von der Regierung, dass sie 2021 eine Bilanz vorlegt.
Falls es im nächsten Jahr zum geplanten Truppenabzug in Afghanistan kommt, kann man dann sagen: Auftrag erledigt?
Nein. Dann geht es in Afghanistan weiter, aber ohne Beteiligung der Bundeswehr. Fertig ist die internationale Gemeinschaft aber nicht geworden. Möglicherweise waren unsere Ziele auch zu hoch gesteckt. Wenn die Bundeswehr irgendwann rausgeht und das Land zumindest sicherer geworden ist und stabilere Strukturen hat, dann wäre schon viel erreicht.
In Mali hat die unter anderem von der Bundeswehr ausgebildete Armee die Regierung gestürzt. Was heißt das für das Konzept, ausländische Truppen im Kampf gegen Bedrohungen zu ertüchtigen anstatt selber einzugreifen?
Ich halte es für problematisch, dass die Putschisten zum Teil auch in Europa ausgebildet wurden. Solche Missionen setzen voraus, dass wir in den Ländern legitimierte Regierungen als Partner haben. Ausbildungsmissionen sind wichtig. Aber so ein Fall wie in Mali gibt Anlass, in Zukunft vorsichtiger zu sein und genauer hinzuschauen, welche Regime wir mit unseren Fähigkeiten unterstützen - und dann, gegebenenfalls, auch nein zu sagen.
Interview: Mike Szymanski