„Die Truppe ist Abbild der Gesellschaft“ – Interview, 24.9.2020
Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Jüdischen Allgemeinen“ vom 24. September 2020
„Die Truppe ist Abbild der Gesellschaft“
Frau Högl, seit Mai sind Sie Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages. Als solche vertreten Sie die Anliegen der Bundeswehrangehörigen in der Politik. Sie sind gewissermaßen die Vermittlerin zwischen Truppe und Parlament. Was heißt das genau?
Mittlerin trifft es ganz gut. Ich bin die Anwältin der Soldatinnen und Soldaten – das ist für mich die schönste Beschreibung. Die Soldatinnen und Soldaten können sich ohne Einhaltung eines Dienstweges direkt an mich wenden – und das tun sie auch. Ich bin so etwas wie Ombudsfrau und Petitionsausschuss in einem. Wir gehen jeder einzelnen Eingabe nach. Im Gesetz steht, dass ich das Hilfsorgan des Deutschen Bundestages bei der Kontrolle unserer Parlamentsarmee bin. Ich unterstütze umgekehrt den Bundestag dabei, seine Befugnisse gut auszuüben. Außerdem achte ich auf die Einhaltung der Grundrechte der Soldatinnen und Soldaten wie auch auf die Einhaltung der Grundsätze der Inneren Führung.
Welchen Eindruck haben Sie bislang gewonnen in puncto demokratische Grundhaltung? Nicht zuletzt bei den jüngsten „Corona-Demos“ sollen auch Demonstranten in Bundeswehruniform gesichtet worden sein.
Nach dem, was ich bisher erfahren habe und aus den Gesprächen weiß, steht die absolute Mehrheit der Soldatinnen und Soldaten fest auf dem Boden des Grundgesetzes. Sie vertreten unsere Demokratie, unseren Rechtsstaat, verrichten den Dienst jeden Tag verantwortungsvoll.
Mit Ihrer Amtsübernahme im Mai gab es gleich einen Rechtsextremismus-Skandal beim Kommando Spezialkräfte (KSK).
Wir dürfen das Rechtsextremismus-Problem nicht kleinreden. Das sind Einzelfälle, schlimme Einzelfälle, und da muss man sehr genau hinschauen: Gibt es Strukturen, Rahmenbedingungen, die Rechtsextremismus begünstigen oder wo sich etwas verselbstständigt. Das haben wir beim KSK gesehen.
Sie befassen sich seit Jahren mit dem Thema Rechtsextremismus – in der Gesellschaft insgesamt, insbesondere bei Polizei und Verfassungsschutz. Wird das auch jetzt ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein?
Ja, auf jeden Fall. Die Bundeswehr ist das Abbild der Gesellschaft: Was wir in der Gesellschaft finden, finden wir auch in der Bundeswehr. Rechtsextremismus ist eine Bedrohung für unsere demokratische Gesellschaft. Ich will nicht den Blick weglenken von anderen Extremismusformen, das ist auch alles gefährlich und nicht zu dulden, aber der Rechtsextremismus ist allein zahlenmäßig die größte Bedrohung. Umso weniger dürfen wir das in der Truppe tolerieren, denn Soldatinnen und Soldaten haben viel Verantwortung: Sie verteidigen unseren Frieden, unsere Sicherheit, und sie stehen im Zweifel mit ihrem Leben dafür ein.
Die Einzelfälle tauchen kontinuierlich auf, ob 2007 ein Oberstleutnant, 2014 Franco A., 2017 Pascal D. – alle verblieben nach Bekanntwerden ihrer Aktivitäten weiter in der Truppe. Warum dauern disziplinarische Untersuchungen so lange?
Da sprechen Sie einen wichtigen Punkt an. Natürlich muss jeder Einzelfall zügig und gründlich aufgeklärt werden. Wenn etwas vorkommt, muss gehandelt werden. Es gibt Maßnahmen, die sofort greifen: das Uniformtrageverbot oder ein Betretungsverbot der Kaserne. Aber wenn ein Soldat aus der Truppe entfernt werden soll, dann muss man dem Soldaten sein Vergehen rechtskräftig nachweisen. Dann gibt es möglicherweise gerichtliche Verfahren, das Truppengericht etwa oder andere rechtsstaatliche Prozesse. Das erfordert unser Rechtsstaat, aber das dauert oft zu lang. Ich setze mich dafür ein, dass diese Verfahren beschleunigt werden. Wir brauchen hier vor allem mehr Personal. Eine zügige Einzelfallbearbeitung halte ich für ganz entscheidend, um Netzwerke und Strukturen verhindern zu können.
Sie gelten als resolute Aufklärerin, nicht zuletzt aufgrund Ihrer Arbeit im NSU-Untersuchungsausschuss. Hier kamen Sie zu dem Schluss, die Sicherheitsbehörden hätten bei der Aufklärung der NSU-Terrorzelle „systematisch und flächendeckend“ versagt. Die Ursache dafür sei vor allem strukturell. Ist von Ihnen ein ähnlich resolutes Vorgehen beim Thema Rechtsextremismus in der Bundeswehr zu erwarten?
Ich habe jetzt eine andere Rolle. Nun müssen andere aufklären. Ich bin weder Staatsanwältin noch Wehrdienstdisziplinaranwältin oder Ministerin, sondern in erster Linie dazu da, auf die Einhaltung des rechtsstaatlichen Verfahrens zu achten. Aber ich werde auch diejenige sein, die bei allen Verantwortlichen anmahnt, die Fälle zügig aufzuklären, dann auch Konsequenzen zu ziehen und alles dafür zu tun, dass Rechtsextreme gar nicht erst in die Truppe kommen.
Wie könnte das aussehen?
Vor allem in der Aus- und Fortbildung müssen wir dafür sorgen, dass Rechtsextreme auffallen, sich nicht breitmachen können, keine Mitstreiter finden. Wenn rechtsextremistische Aktivitäten stattfinden, müssen diejenigen aus der Truppe entfernt werden. Rechtsextremismus hat in der Truppe keinen Platz. Da unterstütze ich die Verteidigungsministerin in ihrem klaren, kompromisslosen Vorgehen.
Auf welches Echo stößt dieses Vorgehen in der Truppe? Die Fälle beim KSK und Militärischen Abschirmdienst (MAD) haben viel Staub aufgewirbelt.
Das ist unterschiedlich. Manche haben Angst, dass sie unter einen Generalverdacht gestellt werden. Deswegen ist es mir wichtig: Es gibt keinen Generalverdacht, aber es gibt problematische Entwicklungen, die über Einzelfälle hinausgehen. Das wird in der Truppe sehr sensibel wahrgenommen. Die wollen nicht alle in den Schmutz gezogen werden. Aber das heißt eben auch, dass sich diejenigen dann auch klar abgrenzen müssen von rechtsextremen Kameraden.
Geschieht das bislang zu wenig?
Ich werbe sehr dafür, dass das in der Truppe selbst diskutiert und dann gegengehalten wird. Wenn Rechtsextremismus geduldet wird, dann ist das falsch verstandener Korpsgeist. Beim NSU haben wir gesehen, dass sich das systematische Versagen einerseits gespeist hat aus rassistisch geprägten Einstellungen bei der Ermittlungsarbeit und andererseits aus der Verharmlosung. Das betrifft nicht nur den Rechtsextremismus, sondern auch Antisemitismus.
Inwiefern wirkt sich das angespannte politische Klima auf die Bundeswehr aus?
Was wir in der Gesellschaft erleben, spiegelt sich auch in der Truppe wider. Gleichzeitig ist aber die Aufmerksamkeit gestiegen. Das, was früher vielleicht gar nicht gemeldet worden wäre, erreicht mich jetzt über den Weg der meldepflichtigen Ereignisse.
Zum Beispiel?
Die Soldatinnen und Soldaten berichten von Äußerungen, Aufklebern, Social-Media-Chats – das wird wahrgenommen und gemeldet. Dadurch haben wir auch eine gestiegene Zahl von Fällen. Die Wahrnehmung und die Sensibilität sind gewachsen.
Aufklärung und Bildung kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den Einsatz von Militärrabbinern?
Grundsätzlich haben Militärseelsorger in der Truppe eine starke Stellung – weit über das Religiöse hinaus. Sie werden sehr oft angesprochen, auch bei alltäglichen Sorgen und Nöten. Sie machen Lebensberatung im besten Sinne. Die Militärrabbiner werden eine Bereicherung für die Truppe sein – nicht nur in Bezug auf den religiösen Aspekt. Sie können sensibilisieren für jüdisches Leben, sodass klar wird: Jüdinnen und Juden sind ganz selbstverständlich auch Teil der Truppe. Auch was Antisemitismus angeht, können Rabbinerinnen und Rabbiner hier viel beitragen. Denn da herrscht viel Unkenntnis. Es muss wahrgenommen werden, was antisemitisch ist.
Das ist vielen nicht bewusst.
Der großen Mehrheit ist das bewusst, aber Militärrabbiner können etwa bei der Ausbildung, bei Fortbildungen, in Lehrgängen viel stärker dafür sensibilisieren, wo die Grenzen sind.
Bundeswehr als Abbild der Gesellschaft – ist so auch Ihr Vorstoß zu verstehen, das Thema Wehrpflicht neu zu debattieren?
Natürlich will ich nicht die alte Wehrpflicht zurück. Aber als die Wehrpflicht 2011 abgeschafft wurde, hielt ich das für falsch. Denn ob Bundeswehr oder ziviler Dienst – man begegnet Menschen, denen man sonst nicht begegnet wäre, macht Dinge, die man sonst nicht machen würde. Das tut den Einzelnen und der Gesellschaft gut, wenn alle sich eine Zeit lang engagieren. Da gibt es zwischen Freiwilligkeit und Verbindlichkeit viele Möglichkeiten. Natürlich löst die Wehrpflicht nicht das Problem des Rechtsextremismus, aber wenn sich die Gesellschaft eben auch in der Bundeswehr mischt, dann hat das ganz viele positive Aspekte, auch integrative. Die Bundeswehr muss fest in der Gesellschaft verankert sein.
Welchen Stellenwert hat die Bundeswehr derzeit in der Gesellschaft?
Mir fehlt die stärkere Auseinandersetzung der Gesellschaft mit der Bundeswehr. Zum Beispiel über die Auslandseinsätze: Was passiert eigentlich in Mali, wie geht es weiter in Afghanistan? Das sind ja wichtige Entscheidungen. Ich sehe meine Aufgabe darin, auch solche Debatten anzustoßen.
Im August fanden gemeinsame Manöver zwischen israelischer Luftwaffe und Bundeswehr erstmals in Deutschland statt. Wie wichtig sind solche Übungen?
Mir ist das Herz aufgegangen. Ich fand das wunderbar und ganz wichtig! Es war ein starkes freundschaftliches Symbol in einer schwierigen Zeit: Wir stehen zusammen, uns verbindet ganz viel. Berührt war ich, als der israelische Präsident Rivlin anrief und die beiden Inspekteure dort standen und mit ihm telefonierten. Das war etwas ganz Besonderes. Je mehr Kooperation, je mehr Austausch, umso besser.
Geht die Zusammenarbeit künftig auch darüber hinaus? Ist es denkbar, dass irgendwann auch einmal ein deutscher Kampfjet Israels Sicherheit mitverteidigt?
Ein deutsches Kampfflugzeug über Israel? Das ist ein sensibles Thema und müsste getragen sein von sehr viel Akzeptanz. Aber ich bin eine Befürworterin von sehr enger Kooperation. So habe ich mich in Israel über das Thema bewaffnete Drohnen informiert.
Wie kam das?
Als Abgeordnete einer kleinen Reisegruppe bin ich einmal im Jahr nach Israel gereist – aus tiefem Interesse an dem Land und der Region. Jedes Jahr hatten wir einen anderen Themenschwerpunkt, mal Bildung, mal Kultur, mal Wirtschaft. Bei einem dieser Besuche hatten wir das Thema Verteidigung und Militär, und da ging es auch um den Einsatz von Drohnen.
Nach Claire Marienfeld sind Sie die zweite Frau in diesem Amt und die erste, seit es Soldatinnen gibt.
Das wird wahrgenommen. Die Bundeswehr ist noch sehr männlich geprägt, aber ich bin für alle da, nicht nur für die zwölf Prozent Soldatinnen. Es gibt Themen wie sexuelle Belästigung oder Frauen in Führungspositionen, bei denen ich genauer hinschaue. Insgesamt stelle ich fest: Die Bundeswehr ist auch hier ein Spiegelbild der Gesellschaft. Sie wird bunter und vielfältiger, und das tut der Truppe gut.
Welche Akzente wollen Sie setzen?
Corona ist aktuell ein zentrales Thema in der Truppe. Es fallen Lehrgänge aus, es müssen Abstände, Hygienekonzepte eingehalten werden. Das betrifft ja auch die Einsätze. Zugleich führt Corona dazu, dass die Truppe sehr sichtbar ist durch ihre Unterstützung, etwa in den Gesundheitsämtern, bei den Tests, den Evakuierungsflügen, dem Aufbau von Krankenhäusern. Auch sonst bestimmen die Soldatinnen und Soldaten mit ihren Eingaben meine Agenda. Dauerbrenner sind Ausrüstung und Ausstattung, denn das hat konkrete Auswirkungen auf die Dienste und das Engagement, die Motivation. Ein weiteres Thema ist die Vereinbarkeit von Familie und Dienst. Planbarkeit, Flexibilität – diese Themen kommen auch von jungen Männern. Das ist ein gutes Zeichen.
Interview: Katharina Schmidt-Hirschfelder