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„Wir haben nicht genügend Uniformen“ – Interview, 23.05.2024

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Pforzheimer Zeitung“ vom 23. Mai 2024

„Wir haben nicht genügend Uniformen“

PZ: Sie haben jüngst gesagt, es gehe nicht ohne Militär, wenn wir Frieden wollen. Sind Sie denn für die Wiedereinführung der Wehrpflicht?

Eva Högl: Ich bin nicht dafür, die alte Wehrpflicht, welche 2011 ausgesetzt wurde, wieder einzuführen. Wofür ich aber sehr bin, ist über moderne, neue Konzepte zu sprechen. Wie zum Beispiel das von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vorgeschlagene Gesellschaftsjahr, das dann in verschiedenen Bereichen, nicht nur bei der Bundeswehr, geleistet werden könnte.

Wie viele Menschen könnten aktuell jährlich eingezogen werden?

Das ist eine Frage, die das Verteidigungsministerium beantworten muss. Der frühere Generalinspekteur, General Eberhard Zorn, hat mal von ungefähr 10.000 gesprochen. Ich weiß nicht, ob die Zahl noch aktuell ist. Aber dabei muss mein einiges beachten, denn wir haben aktuell nicht genügend Uniformen, nicht genügend Ausbilder, es fehlen die Stuben in den Kasernen und die Kreiswehrersatzämter wurden geschlossen. Es gibt also zurzeit keine Strukturen, um mit Tausenden Wehrpflichtigen umzugehen. Das müsste alles neu aufgesetzt werden. Deswegen bin ich auch sehr dafür, nicht sofort einen ganzen Jahrgang junger Leute einzuziehen, wie das früher war, sondern ganz stark auf Freiwilligkeit zu setzen. Wie etwa in Schweden. Dort bekommen alle jungen Leute eine Nachricht, werden gemustert und dann können sich jene, die geeignet sind, entscheiden, ob sie zu den Streitkräften gehen oder nicht. So ein Modell fände ich auch spannend für Deutschland.

Für die Wehrpflicht wurden nur Männer herangezogen. Ist das noch zeitgemäß?

Ich bin dafür, alle Geschlechter in den Blick zu nehmen. Solange wir über Freiwilligkeit sprechen, sollte diese für Männer und Frauen gelten. Wenn wir in den Bereich der Pflicht kommen, dann müssten wir das Grundgesetz ändern, denn gegenwärtig sieht dieses eine Wehrpflicht nur für Männer vor.

Sie haben ganz grundlegende Dinge wie fehlenden Uniformen und Stuben angesprochen. Wie attraktiv ist die Bundeswehr als Arbeitgeber?

Glücklicherweise ist die Bundeswehr immer auf Platz eins oder zwei bei der Beliebtheit als Arbeitgeber. Und trotzdem ist sie nicht so attraktiv, wie sie es sein müsste, weil die Rahmenbedingungen an vielen Stellen nicht gut sind. Die Kasernen sind nicht modern, nicht saniert oder es gibt zu wenige neue Gebäude. Viele Kasernen haben zum Beispiel kein WLAN, keine ausreichenden Sportmöglichkeiten, sogar keine Truppenküche. Da gibt es enormen Nachholbedarf. Wenn eine junge Frau oder ein junger Mann in ein Panzerbataillon kommt und die dortigen Rahmenbedingungen angenehm sind, aber keine Panzer da sind, dann ist das unattraktiv. Aber dafür hat der Bundestag das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen auf den Weg gebracht, damit jetzt in modernes Material investiert werden kann.

Wie wird der vom Auslandseinsatz auf die Bündnis- und Landesverteidigung verschobene Fokus seitens der Truppe wahrgenommen?

Der brutale Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 hat vieles verändert. Die Soldatinnen und Soldaten wissen, dass es ernst werden kann, dass es schnell gehen muss und dass sie immer einsatzbereit sein müssen. Aber das Positive an dieser schrecklichen Lage ist, dass die Aufmerksamkeit auf Sicherheit und Verteidigungspolitik und auch auf unsere Bundeswehr enorm gestiegen ist. Und das tut unseren Soldatinnen und Soldaten gut, dass die Gesellschaft sich für sie interessiert.

Apropos Gesellschaft: Früher war jeder irgendwie Bundestrainer, heute ist jeder Militärexperte. Leben Sie gerne in einer Gesellschaft, wo das Militärische wieder öfter Thema ist?

Ich halte es für richtig, dass wir uns – ohne übertriebene Hysterie – der Lage und auch Bedrohung bewusst sind, in der wir leben. Wir sehen, dass Frieden, Freiheit und Demokratie in vielen Teilen der Welt bedroht sind. Das heißt, dass wir sowohl nach innen als auch nach außen gegen Angriffe auf unsere Demokratie und Freiheit gewappnet sein müssen. Und darüber können wir in unserer Gesellschaft gar nicht genug diskutieren.

In der Gesellschaft häufen sich Fälle von Extremismus. Auch die Bundeswehr rückte immer wieder ins negative Schlaglicht, wenn es um Extremismus – vor allem Rechtsextremismus – in ihren Reihen geht. Aktuell müssen sich ehemalige Soldaten im Rahmen der „Reichsbürger“-Prozesse verantworten. Wird Ihnen mehr gemeldet oder passiert da noch viel unter dem Radar?

In den vergangenen Jahren hat die Sensibilität in diesem Bereich schon sehr zugenommen. Es ist innerhalb der Bundeswehr angekommen, dass es kein Verstoß gegen die Kameradschaft ist, Extremismus zu melden und dagegen vorzugehen.

Wie geht die Bundeswehr insgesamt damit um?

Rechtsextremismus ist ein Thema in der gesamten Gesellschaft und somit auch in der Bundeswehr. Und die Bundeswehr handelt da sehr konsequent. Sehr lobend möchte ich hier erwähnen, dass das KSK in Calw wirklich intensiv aufgearbeitet hat, was vorgefallen ist. Das sind herausragende Frauen und Männer, die viel dazu beigetragen haben, dass Rechtsextremismus sich dort nicht mehr so breitmachen kann, wie das noch vor einigen Jahren der Fall war.

Zumal wenn man bedenkt, dass vor einigen Jahren noch die Auflösung des Verbands gefordert wurde...

Die damalige Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer war auch sehr konsequent, indem sie die 2. Kompanie aufgelöst hat. Das war ein harter Einschnitt. Sie hat dem KSK ein 60-Punkte-Programm verordnet und da ist vieles abgearbeitet worden. Das hat der Verband aus sich heraus auch als Auftrag angenommen. Der Verband liegt mir sehr am Herzen und ich habe auch sehr eng begleitet, was da seitdem passiert ist.„

 

Interview: Anke Baumgärtel und Nils Gundel

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