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„Zur Zeit der Wehrpflicht war die Truppe in der Mitte unserer Gesellschaft sehr präsent“ – Gastbeitrag, 24.03.2021

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Gastbeitrag der Wehrbeauftragten im Magazin „Die Bundeswehr“ des Deutschen BundeswehrVerbandes vom 24. März 2021

„Zur Zeit der Wehrpflicht war die Truppe in der Mitte unserer Gesellschaft sehr präsent“

Von Eva Högl

Die Aussetzung der Wehrpflicht vor zehn Jahren habe ich damals für einen Fehler gehalten. An meiner Meinung hat sich nichts geändert. Das hat zwei Gründe.

Der erste Grund betrifft die Bundeswehr. Die Aussetzung erfolgte ohne echtes Konzept für die Truppe. Dabei war absehbar, dass sie erhebliche Konsequenzen haben wird. Infrastruktur, Ausrüstung und Ausstattung waren nicht auf eine Freiwilligenarmee eingestellt. Eine hoch spezialisierte Berufsarmee hat ganz andere Anforderungen und Bedürfnisse. Entsprechende Umstellungen brauchen Vorbereitung, Zeit und Geld. Die Trendwenden Material und Finanzen wurden jedoch erst Jahre nach der Aussetzung eingeleitet.

Am deutlichsten – auch heute noch – sind die Konsequenzen beim Thema Personal. Seit Aussetzung ist die Truppe stabslastiger geworden. Sie ist im Durchschnitt um drei Jahre gealtert. Die Bundeswehr muss sich sehr anstrengen, genügend Nachwuchs (und Fachkräfte) zu gewinnen. Der geplante Personalaufwuchs auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten bis 2027 ist eine echte Herausforderung.

Der zweite Grund betrifft die Gesellschaft. Der Bundespräsident hat anlässlich 65 Jahre Bundeswehr gesagt, dass es zwischen Gesellschaft, Politik und Bundeswehr keine Distanz geben dürfe. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Soldatinnen und Soldaten sind Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in Uniform. Sie kommen aus unserer Gesellschaft. Und sie stehen ein für unsere Gesellschaft, Demokratie, Frieden und Sicherheit. Ein besonderes Band hält Gesellschaft, Politik und Bundeswehr zusammen.

Zur Zeit der Wehrpflicht war die Truppe in der Mitte unserer Gesellschaft sehr präsent. In jeder Familie wurde über sie gesprochen – spätestens als man selbst, der Enkel, Sohn, Bruder oder Freund gemustert wurde. Heute gibt es weite Teile der Gesellschaft, die keinerlei Berührungspunkte mit der Bundeswehr haben. Das ist keine gute Entwicklung. Denn die Bundeswehr muss fest in der Gesellschaft verankert sein.

Natürlich: Die Wehrpflicht war kein Automatismus für eine enge Verbindung von Bundeswehr und Gesellschaft. Sie wäre es auch heute nicht. Doch sie könnte wesentlich dazu beitragen. Deswegen bin ich der Überzeugung, dass wir die Aussetzung der Wehrpflicht offen bilanzieren sollten – mit Blick in die Zukunft: Mit welchen Angeboten können wir genügend junge Leute und einen ausreichenden Querschnitt der Bevölkerung für gesellschaftliches Engagement begeistern – in der Bundeswehr und in anderen Bereichen? Zwischen freiwillig und verpflichtend kann ich mir vieles vorstellen. Klar ist, die alte Wehrpflicht kann unter heutigen Bedingungen nicht wieder eingeführt werden. Ich würde mich freuen, wenn wir diese Debatte als Gesellschaft zehn Jahre nach Aussetzung führen.

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