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„Soldaten fühlen sich nicht genug unterstützt“ – Interview, 17.06.2021

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der Rheinischen Post vom 17. Juni 2021

„Soldaten fühlen sich nicht genug unterstützt“

Frau Högl, wie konnte es zu den Affären und Skandalen bei der Elitetruppe KSK kommen?

Högl: Da hatte sich sehr viel verselbstständigt. Im Grunde hat die Entwicklung über Jahre dazu geführt. Sicherlich lag es auch daran, dass das KSK immer sehr abgeschottet war, dass es sehr intransparent und nach speziellen Regeln agierte. Das ist wohl überinterpretiert worden. Da kam einiges zusammen.

Das KSK mag erfolgreich sein, man weiß kaum etwas. Ist die Geheimhaltung auch Grund dafür, dass sich die Elitesoldaten nach innen orientierten und deshalb verselbstständigten?

Högl: Wir reden viel zu wenig über das, was die Frauen und Männer dort leisten. Bei laufenden Kommandoeinsätzen ist die Geheimhaltung selbstverständlich. Aber danach könnten wir ruhig darüber sprechen, ohne operative Details zu nennen. Das hätte längst geschehen müssen.

Und was ist mit den Opfern?

Högl: Ein KSK-Soldat ist bei einem Einsatz in Afghanistan ums Leben gekommen. Es waren auch Verletzte zu beklagen. Und manche sind an der Seele verletzt worden, sind traumatisiert zurückgekommen, waren lange krankgeschrieben oder sind dienstunfähig geworden.

Auch über das KSK hinaus gibt es ja das Phänomen, dass die Zahl der Soldaten in den Einsätzen deutlich abnimmt, die Zahl der traumatisierten Soldaten jedoch zu-nimmt. Wie ist das zu erklären?

Högl: Viele bemerken erst viele Jahre später, dass sie aus den Einsätzen etwas mit-genommen haben, was sie beschäftigt und erkranken lässt. Manche Soldaten bemerken erst mit großer Verzögerung, dass sie in den harten Jahren in Afghanistan Posttraumatische Belastungsstörungen, kurz: PTBS, erlitten haben.

Hätten sie besser vorbereitet werden müssen, oder übersteigen die kriegerischen Erlebnisse einfach das menschliche Fassungsvermögen?

Högl: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass die Einsatzvorbereitung sehr gut und sehr umfassend ist. Dabei geht es auch um die mentale Stabilisierung. Aber nichts ist so gut, dass es nicht noch besser werden kann.

Wird in der Nachsorge genug getan?

Högl: Wir haben ein exzellent funktionierendes Netzwerk mit breitgefächerter Unterstützung. Da ist in den letzten Jahren viel entwickelt worden. Verbessert werden sollte vor allem die Information, damit die Soldatinnen und Soldaten wissen, welche Hilfsmöglichkeiten es gibt. Ich bin als Wehrbeauftragte zwar nur für die Soldatinnen und Soldaten zuständig, aber ich finde es wichtig, immer auch die Angehörigen mitzunehmen. Sie müssen mit einbezogen, betreut und umsorgt werden. Sie müssen fähig sein zu erkennen, wann eine PTBS-Erkrankung vorliegt. Viele sind überfordert, wenn sich der Partner nach einem Einsatz merkwürdig verhält.

Die Zahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle in der Bundeswehr ist in den zurückliegenden beiden Jahren von 592 auf 843 gestiegen. Wird die Zahl weiter steigen?

Högl: Ja, ich rechne damit, dass die Zahl rechtsextremistischer Verdachtsfälle weiter steigt. Es gibt eine größere Sensibilität. Vieles wird heute gemeldet, was früher verschwiegen wurde. Tätowierungen, Hakenkreuzschmierereien, inakzeptable Äußerungen – das wird sehr genau beobachtet. Ich spüre eine breite Verantwortung bei Vorgesetzten und im Kameradenkreis, das nicht zu dulden.

Gibt es ein „Haltungsproblem“ in der Bundeswehr?

Högl Nein. Die Soldatinnen und Soldaten sind ganz überwiegend gute Demokratinnen und Demokraten. Aber es gibt einzelne Soldaten mit verfassungsfeindlichen Einstellungen. Und wir müssen ganz genau schauen, ob wir es auch mit Netzwerken zu tun haben. Das gilt sowohl für die Kennverhältnisse innerhalb der Truppe als auch zu einzelnen oder Gruppierungen außerhalb.

Es gibt Spekulationen über Netzwerke von Bundeswehrsoldaten und Angehörigen der „Prepper“-Szene und rechtsextremistischen Bestrebungen. Ist da nach Ihren Erkenntnissen was dran?

Högl: Wenn es sie gibt, sind sie brandgefährlich. Deshalb fordere ich alle Verantwortlichen auf, nicht nur Einzelfällen nachzugehen, sondern immer auch zu schauen, welche Verbindungen dahinterstehen könnten. Sie müssen genau unter-suchen, welche Verbindungen es aus der Bundeswehr heraus zu privaten Sicherheitsdiensten, zur Kampfsportszene gibt. Die neuen Instrumente, die der Bundes-tag jetzt für die Sicherheitsbehörden zur Aufklärung in den Messenger-Diensten geschaffen hat, können uns wichtige Erkenntnisse über solche Netzwerke liefern.

Wie ist das Verhältnis zwischen den Soldaten und der Politik?

Högl: Mich besorgt die große Distanz zur Politik und zu den Medien. Viele Soldatinnen und Soldaten fühlen sich vom Deutschen Bundestag nicht ausreichend unterstützt. Das gilt vor allem für die Frage, ob sie gut ausgestattet und ausgerüstet sind. Sie erleben, dass sie zwar vom Parlament in die Einsätze geschickt werden, dass sie aber nicht das nötige Rüstzeug bekommen, um diese Einsätze auch gut absolvieren zu können. Das gilt zum Beispiel für den fehlenden Schutz durch bewaffnete Drohnen. Das enttäuscht sie.

Woran hapert es denn aus Soldatensicht in der Bundeswehr am meisten?

Högl: An der Ausstattung und Ausrüstung. Es gelingt immer noch nicht, zügig Helme, Winterunterwäsche, Stiefel, Schutzwesten oder Nachtsichtgeräte zu beschaffen. Das birgt ein hohes Frustrationspotenzial, das beklagen viele. Sie verstehen nicht, warum der Helm nicht zum Gehörschutz passt, warum Funkgeräte 30 Jahre alt sind. Man sollte bei einem 50-Milliarden-Euro- Haushalt doch erwarten können, dass unsere Soldatinnen und Soldaten bestens ausgerüstet sind.

Vom Zustand der Kasernen hört man aus vielen Regionen auch nicht das Beste.

Högl: Die Unterkünfte sind oft in einem unfassbar schlechten Zustand. Was ich da schon an verschimmelten Duschen und inakzeptablen Stuben gesehen habe! Dafür kann die Truppe jedoch häufig nichts. Denn selbst wenn die Investitionen genehmigt sind und das Geld zur Verfügung steht, haben wir das Nadelöhr der Landesbauverwaltungen. Die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten sind auf-gerufen, ihre Verwaltungen personell so auszustatten, dass die Bundeswehr endlich gute Gebäude bekommt.

Wie ist Ihr Eindruck vom Mali-Einsatz?

Högl: Die Franzosen haben angekündigt, einen Großteil ihrer Soldaten abzuziehen. Das hat auch Auswirkungen für unseren Einsatz. Angesichts der angespannten Sicherheitslage sind die Soldatinnen und Soldaten zu Recht sehr besorgt. Die Sicherheitslage dort wird ein wichtiges Kriterium sein für die weitere Fortführung des Auftrags.


Interview: Gregor Mayntz

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