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„Was muss man künftig anders machen?“ – Interview, 02.09.2021

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der Passauer Neuen Presse vom 2. September 2021

„Was muss man künftig anders machen?“

Sie haben die Evakuierungskräfte bei ihrer Rückkehr aus Afghanistan empfangen. Was hat dieser Einsatz mit den Soldatinnen und Soldaten gemacht?

Eva Högl: Die Soldatinnen und Soldaten, die daran beteiligt waren, haben Großartiges geleistet und sind dabei über ihre Belastungsgrenzen hinausgegangen. Wir können stolz und dankbar dafür sein. Sie haben bis zur letzten Minute unter Gefahren ihr Leben riskiert. Das war hoch belastend für viele. Sie müssen das jetzt verarbeiten und dafür die nötigen Hilfestellungen erhalten. Die Gefahr traumatischer Beeinträchtigungen ist zweifellos hoch. Es ging um Leben und Tod, um viel menschliches Leid, das sie am Flughafen in Kabul erlebten.

Hat die Evakuierungsmission dem Ansehen und Respekt für die Truppe in der Gesellschaft einen Push gegeben?

Högl: Ich denke ja. Wir haben schon während der Corona-Pandemie, dann bei der Flutkatastrophe, gesehen, was wir an der Bundeswehr haben. Und jetzt, bei dem Evakuierungseinsatz ist das noch einmal vielen vor Augen geführt worden, auch denen, die ihr bisher eher skeptisch gegenüberstanden, wie wichtig es ist, dass es die Bundeswehr gibt.

Nun hat das Kapitel Afghanistan ein alles andere als rühmliches Ende für Deutschland und seine Partner genommen. Ist dadurch die Distanz von Soldatinnen und Soldaten, die in dem Land Dienst getan haben, zur Politik gewachsen?

Högl: Diese Gefahr besteht. Viele Soldatinnen und Soldaten, vor allem die, die in den letzten 20 Jahren in Afghanistan im Einsatz waren, stellen sich die Frage, was ihr Einsatz, ihr Engagement gebracht hat. Deshalb ist es so wichtig, das zeigen mir Gespräche mit den Betroffenen, dass der Afghanistan-Einsatz sehr selbstkritisch bilanziert wird. Wo haben die Fehler gelegen, was muss man künftig anders machen? Dafür braucht es viel Zeit. Das erwarten die Soldatinnen und Soldaten, und zwar mit Recht.

Muss das unrühmliche Ende der Afghanistan-Mission Konsequenzen für aktuelle und künftige Einsätze der Bundeswehr im Ausland haben?

Högl: Definitiv. Für den Mali-Einsatz müssen wir klar benennen, welches Ziel wir dort verfolgen, wie die Kooperation mit unseren Partnern läuft und mit welchen Mitteln und Möglichkeiten. Und gerade in Mali müssen wir uns fragen, ob wir die dortigen Sicherheitskräfte so ausbilden, dass sie im Ernstfall auch die Verantwortung übernehmen können. Nach der Bundestagswahl sollten wir eine grundsätzliche Debatte darüber führen, wo, in welchen Teilen der Welt sich die Bundeswehr mit welchen Mitteln und Zielen engagieren soll.

Wird Afghanistan dazu führen, dass die Debatte über Mängel in der Bundeswehr-Ausrüstung anders läuft?

Högl: Gerade der Evakuierungseinsatz hat gezeigt, wie notwendig eine gute Ausrüstung der Bundeswehr ist, auch mit Großgeräten, wie dem A400M-Transporter. Allen muss die Notwendigkeit einer guten Ausrüstung unserer Truppen deutlich geworden sein. Das ist aber nicht nur eine Frage des Geldes, sondern das erfordert auch effizientere Auftrags- und Vergabeverfahren.

Was heißt es, wenn gesagt wird, Europa müsse militärisch eigenständiger werden?

Högl: Das heißt ganz konkret sehr viel mehr Geld für die Verteidigungshaushalte der europäischen Mitgliedstaaten. Das ist keine Kleinigkeit. Gegenwärtig sind wir nicht in der Lage, auf Augenhöhe mit den USA zu agieren. Eine Abzugs- und Evakuierungsmission wie die in Afghanistan können wir ohne die USA nicht schultern. Es wird noch ein langer Weg werden, bis mehr europäische Eigenständigkeit möglich ist.


Interview: Markus Decker