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„Bundeswehr ist keine Hilfsorganisation“ – Interview, 28.12.2021

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten im „Deutschlandfunk“ vom 28. Dezember 2021

„Bundeswehr ist keine Hilfsorganisation“

Küpper: Frau Högl, wir haben es gerade gehört: Die Bundeswehr hilft in dieser Pandemie, springt mittlerweile vielerorts ein. Verlässt sich unsere Gesellschaft, die Politik, die Verwaltung, die Landkreise zu stark und zu selbstverständlich auf die Truppe?

Högl: Ja, unsere Gesellschaft kann sich auf die Bundeswehr verlassen, und das ist ja die gute Nachricht. Sie zeigt immer, was sie kann, und sie zeigt das jetzt ganz besonders seit März 2020 bei der Unterstützung, bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Die Soldatinnen und Soldaten machen das wirklich exzellent.

Aber ich will Ihnen auch ganz deutlich sagen, dass ich finde, dass jetzt Zivile gefragt sind, denn für Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz sind in Deutschland die Zivilen zuständig, sind die Landkreise und andere zivile Stellen zuständig. Die Bundeswehr leistet die Amtshilfe, aber die Amtshilfe ist subsidiär. Das heißt: Immer dann, wenn andere nicht leisten können, kommt die Bundeswehr ins Spiel. Aber ich finde, jetzt sind mal langsam Zivile gefragt.

Küpper: Verschwimmen da schon die Grenzen, die Pflichten? Das Wort der Urlaubsvertretung macht ja sogar die Runde.

Högl: Ja, es ist so, dass natürlich alle wissen, wie toll unsere Soldatinnen und Soldaten das machen, und die Rückmeldungen der Ämter, aber auch aus der Bevölkerung sind ja entsprechend. Aber der Kernauftrag unserer Bundeswehr ist ein anderer. Unsere Bundeswehr ist dazu da, Frieden zu schaffen, Frieden zu sichern. Sie ist eine Streitkraft und sie ist fürs Kämpfen da und sie ist eben nicht eine andere oder bessere Hilfsorganisation, THW, Rotes Kreuz und so weiter. Deswegen kritisiere ich das auch, weil die Bundeswehr, wenn sie in einem so großen Ausmaß mit so vielen Soldatinnen und Soldaten in der Amtshilfe tätig ist, dann fallen andere Aufgaben, die sie dringend erledigen muss, hinten über.

Küpper: Woran liegt das, dass man jetzt so stark nach der Bundeswehr ruft? Ist es einfach so bequem, oder sind die Soldaten so gut?

Högl: Sie sind so gut. Das können wir überall feststellen, sowohl zugewandt und aufmerksam in den Senioren- und Pflegeheimen, Kompetenz bei der Kontaktnachverfolgung in den Gesundheitsämtern, exzellent beim Testen und Impfen. Das spüren wir jeden Tag und dafür sind wir auch sehr, sehr dankbar und darauf können wir vor allen Dingen sehr stolz sein. Aber natürlich ist es für die zivilen Einrichtungen auch bequem. Die Amtshilfe ist kostenfrei. Das ist zu Beginn der Pandemie mal so entschieden worden. Und natürlich ist es viel bequemer für die zivil zuständigen Stellen zu sagen, wir holen noch mal wieder Soldatinnen und Soldaten, denn erstens, das kostet nichts, zweitens, Exzellenz ist garantiert bei der Erfüllung der Aufgaben, und drittens, man muss sich keine Gedanken machen und herumschlagen mit anderem Personal, was man erst schulen müsste oder einweisen müsste.

Küpper: Aber das sind ja viele gute Gründe. Warum sollte das Ganze denn jetzt enden?

Högl: Es ist so, dass ich finde, dass wir ganz dringend – und das steht ja auch im Koalitionsvertrag und die neue Mehrheit im Bundestag und Regierung hat sich das vorgenommen – die Strukturen in der Katastrophenhilfe und im Bevölkerungsschutz überarbeiten müssen. Das hat die Pandemie gezeigt, dass ganz offensichtlich unsere Strukturen nicht so sicher sind, so krisensicher, dass man auf eine Pandemie oder auf eine andere Krise, die man sich ja vorstellen kann, Cyber-Angriff, Sie sprachen eben im Beitrag auch von kritischer Infrastruktur, dass man da entsprechend gewappnet ist. Das muss sich ändern und dann muss noch mal ganz deutlich werden, Bundeswehr kann subsidiär ins Spiel kommen, kann Unterstützung leisten. Wir haben das jetzt beim Hochwasser im Rheinland und bei der Ahr gesehen, dass die Bundeswehr das toll macht, aber punktuell in einer Krise und nicht über so einen langen Zeitraum.

Küpper: Die Bundeswehr als Notnagel, aber nicht mehr?

Högl: So ist das, denn die Soldatinnen und Soldaten haben einen anderen Kernauftrag und den müssen sie auch erfüllen. Wenn wir auf die internationale Landkarte gucken, dann wissen wir, die Bedrohungen nehmen nicht ab, sondern zu, und dafür, um unseren Frieden zu sichern, brauchen wir unsere Bundeswehr.

Küpper: Früher gab es immer wieder Aufschreie oder zumindest lautstarke Meldungen, wenn die Soldatinnen und Soldaten im Inland eingesetzt wurden. Davon hört man jetzt nichts. Warum?

Högl: Man hört davon nichts und das begrüße ich natürlich ganz ausdrücklich, denn Artikel 35, der die Amtshilfe vorsieht, der funktioniert, und das zeigt diese Pandemie. Es gibt die Anträge der zivilen Stellen, die werden sorgfältig geprüft vom Kommando Territoriale Aufgaben, und dann wird entschieden, wo die Bundeswehr, wo die Soldatinnen und Soldaten konkret eingesetzt werden. Diese Pandemie hat wirklich gezeigt, dass wir keine Debatte über den Einsatz der Bundeswehr brauchen, denn die Bundeswehr kann im Inneren eingesetzt werden, aber nicht bewaffnet, sondern zivil.

Küpper: Es ist ein besonderes Jahr für diese Bundeswehr. Nicht nur die Einsätze in der Corona-Pandemie, Sie haben auch schon das Hochwasser angesprochen. Es ist auch das Jahr, in dem der längste Einsatz in der Geschichte der Bundeswehr in Afghanistan zu Ende gegangen ist, ungewollt spektakulär, ein Einsatz, der die Bundeswehr wohl auch verändert hat. Dennoch im Nachgang dazu, da fehlte es wirklich, muss man sagen, an Wertschätzung. So gut wie kein Politiker hat die Soldaten hierzulande empfangen. Erst später gab es dann Aktionen. Auch die versprochene Aufarbeitung dieses Einsatzes stockt. Wir haben gerade viel über die Bundeswehr gesprochen, wo sie gebraucht wird. Auf der anderen Seite: Zeigt dieses Jahr auch exemplarisch, dass es in unserer Gesellschaft vielleicht ein Stück weit auch an Wertschätzung für die Soldatinnen und Soldaten fehlt?

Högl: Ja und vor allen Dingen an Interesse und an Debatte über die Bundeswehr, und das spüren die Soldatinnen und Soldaten auch und das fordern sie zurecht auch ein, dass wir uns alle mit ihr auseinandersetzen, mit der Bundeswehr, dass klar ist, wofür wir sie haben, wofür wir sie brauchen und wie exzellent unsere Soldatinnen und Soldaten sind. Deswegen braucht es zu allererst dieses Interesse und die Wertschätzung in der Gesellschaft, aber es braucht auch intensive Debatten zum Beispiel im Deutschen Bundestag, aber auch in anderen Bereichen, weswegen ich mich auch freue, dass im Koalitionsvertrag jetzt drinsteht, dass der lange, fast 20 Jahre Afghanistan-Einsatz umfassend in Form einer Enquete-Kommission ausgewertet wird, dass geschaut wird, wo lagen die Fehler, was muss man nächstes Mal bei so einem Einsatz besser machen, aber dass mit dieser Enquete-Kommission auch die Möglichkeit besteht, für künftige und laufende Einsätze auch Ideen zu formulieren und Schlussfolgerungen zu ziehen, und vor allen Dingen, dass es eine intensive Beschäftigung damit gibt. Unsere Soldatinnen und Soldaten dürfen das von der gesamten Gesellschaft erwarten, nämlich dass sie nicht nur Respekt, Anerkennung und Stolz bekommen, sondern auch eine ganze Portion Interesse. Ich glaube, das hat 2021 insgesamt besser funktioniert als in den Jahren davor, aber wir können da noch besser werden und ich verspreche mir für das Jahr 2022, dass unsere Soldatinnen und Soldaten diese Aufmerksamkeit aus der Gesellschaft bekommen.

Küpper: Aber dieses Zeitfenster scheint, sich ein Stück weit zu schließen. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes ist jetzt schon Monate her und ich habe im Vorfeld zu unserem Gespräch mit einigen Veteranen, auch mit Soldatinnen gesprochen, die in Afghanistan waren und die erzählten, dass sich da schon eine Enttäuschung aufbaut und dass sie wenig daran glauben, dass jetzt noch aufgearbeitet wird, weil sich dieses Zeitfenster immer stärker schließt.

Högl: Das kann ich gut verstehen, denn gerade die Veteraninnen und Veteranen – und es waren fast 100.000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan im Einsatz in den fast 20 Jahren –, bei denen kommt natürlich viel hoch. Gerade dieses fürchterliche Ende, aber auch – Sie haben es angesprochen – der 30. Juni, die so zum Ausdruck gebrachte fehlende Wertschätzung (so haben das Soldatinnen und Soldaten empfunden) bei der Ankunft der letzten in Wunstorf, das alles liegt auf der Seele. Aber im Koalitionsvertrag ist das verankert und ich gehe fest davon aus, dass die drei Parteien, die das dort festgeschrieben haben, diesen Auftrag sehr ernst nehmen, dass die Enquete-Kommission bald eingerichtet wird, und ich erwarte auch, dass insbesondere die Veteraninnen und Veteranen an dieser Diskussion in der Enquete-Kommission beteiligt werden.

Küpper: Wie groß ist vor all diesem Hintergrund, von dem wir gerade sprechen, in dem Fall die Pandemie, die Zusammenarbeit der Gesellschaft mit den Soldatinnen und Soldaten, dass man da Berührungspunkte schafft?

Högl: Ja, das hat die Pandemie natürlich gezeigt, dass es wichtig ist, dass unsere Gesellschaft auch mit der Bundeswehr Berührungspunkte hat, und das finde ich auch sehr gut. Das zeigt im Übrigen auch das kostenfreie Bahnfahren. Soldatinnen und Soldaten sind sichtbar in den Zügen. Das ist alles prima. Aber mir ist es sehr wichtig, dass die Soldatinnen und Soldaten dieses Interesse und diese Wertschätzung für ihren Kernauftrag bekommen, nämlich als Streitkraft dafür, was sie leisten müssen, zum Beispiel durch Präsenz an der Grenze zu Russland, im Baltikum oder auch in den sehr gefährlichen und herausfordernden Einsätzen in Mali und im Niger, aber auch in anderen Teilen der Welt, auch die Präsenz im südchinesischen Meer. Dafür brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten auch die Unterstützung und Wertschätzung.

Küpper: Frau Högl, die Zeit läuft ein wenig weg, aber noch ganz kurz zum Abschluss. Ab wann haben Sie Hoffnung, dass die Amtshilfe zurückgefahren werden kann?

Högl: Na ja, sobald wir besser durch sind durch die Pandemie. Das haben wir jetzt schon ganz oft gehofft. Ich glaube tatsächlich, dass die Soldatinnen und Soldaten noch, solange wir so intensiv mit der Pandemie beschäftigt sind, auch weiter im Amtshilfeeinsatz bleiben. Aber ich wünsche mir, dass danach eine Debatte darüber losgeht, wie man das künftig besser und anders machen kann, mit weniger Bundeswehr.


Interview: Moritz Küpper

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