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„Nach dem Krieg ist nichts mehr, wie es vorher war“ - Interview, 10.03.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten im Redaktionsnetzwerk Deutschland vom 10. März 2022

„Nach dem Krieg ist nichts mehr, wie es vorher war“

Frau Högl, Sie haben einen Einblick in das Seelenleben der Bundeswehr. Was nehmen Sie da seit Beginn des Ukraine-Krieges wahr?

Es ist für Soldatinnen und Soldaten nochmal ganz anders als für alle anderen, wenn ein Krieg ausbricht. Dieser fürchterliche Angriff von Wladimir Putin auf die Ukraine führt auch dazu, dass sie sich fragen, inwieweit sie jetzt selbst gefordert sind. Die Truppe wurde in Litauen und Rumänien sehr schnell verstärkt. Wir haben eine geringere Reaktionszeit der Kräfte, die für die Nato bereitstehen. Hinzu kommt die geplante Stationierung von Kräften in der Slowakei. Der Krieg hat Auswirkungen auf alle Verbände und jeden Soldaten, jede Soldatin.

Wo wir gerade dabei sind: Rechnen Sie damit, dass dies Auswirkungen auf den Mali-Einsatz hat, über dessen Verlängerung spätestens im Mai entschieden werden muss?

Es muss sorgfältig diskutiert werden, was unter den neuen Umständen noch leistbar ist und wo die Bundeswehr im Einsatz sein sollte. Natürlich führt dieser Krieg dazu, dass Bündnis- und Landesverteidigung noch mehr Priorität haben als bisher. Das kann dazu führen, dass die Auslandseinsätze reduziert werden, weil die Kräfte benötigt und die Ostflanke der Nato gestärkt werden muss. Man sieht es bereits deutlich: Soldatinnen und Soldaten mit sehr speziellen Ausbildungen, werden an anderer Stelle benötigt.

Aber Sie haben noch keine Hinweise, was Mali betrifft.

Nein. An der Stelle will ich aber etwas anderes anmahnen: Die Amtshilfe der Bundeswehr zur Bewältigung der Corona-Pandemie muss deutlich reduziert werden oder besser ganz enden. Denn diese Kräfte werden jetzt bei der Bündnisverteidigung dringend gebraucht. Zurzeit sind rund 4700 Kräfte durch die Amtshilfe gebunden. Bei den Panzerpionieren in Havelberg etwa, die ich unlängst besucht habe, sind von 600 Soldatinnen und Soldaten 173 noch in der Amtshilfe gebunden. Das ist in anderen Verbänden ähnlich und eindeutig zu viel.

Machen sich die Soldaten eigentlich mehr Sorgen? Oder fühlen sie sich in ihrem Selbstwert bestärkt, weil alle nun sehen, wie notwendig Verteidigung ist?

Viele Soldatinnen und Soldaten sind besorgt wie wir alle. Aber sie sehen auch, dass viele Menschen ihnen jetzt mit Respekt und Anerkennung begegnen, weil klar wird, dass die Bundeswehr unseren Frieden, unsere Freiheit und unsere Sicherheit gewährleistet. Sie spüren mehr Rückhalt und können unter Beweis stellen, was sie leisten.

Die Bundeswehr soll nun mit einem Sondervermögen von zusätzlich 100 Milliarden Euro mehr Geld denn je bekommen. Wird das Wirklichkeit? Oder bleibt es bei Ankündigungen?

Der Bundeskanzler hat das angekündigt und der Deutsche Bundestag entscheidet darüber, ob der Verteidigungshaushalt so wie geplant auf über zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts wächst. Ich gehe davon aus, dass das genauso umgesetzt wird. Eine Mehrheit zeichnet sich ab – zumal das Geld für sinnvolle Investitionen dringend benötigt wird.

In der Koalition gibt es Stimmen, die sagen, die 100 Milliarden Euro sollten auch für Zivilschutz, Entwicklungshilfe und Energiesicherheit verwandt werden. Wie stehen Sie dazu?

Die Idee eines Sondervermögens hat ja den Charme, dass der Bundeshaushalt dadurch nicht tangiert wird. Das ist zusätzliches Geld, so dass die anderen Ausgaben wie geplant im Bundeshaushalt abgebildet werden können. Da soll es keine Abstriche geben.

Wenn das Geld tatsächlich fließt: Wo liegen die Prioritäten?

Dadurch werden Investitionen möglich, die lange geplant, aber nie finanziert waren. Für mich als Wehrbeauftragte hat dabei die unmittelbare Ausstattung der Soldatinnen und Soldaten Priorität. Dazu zählen etwa Helme, Stiefel, Schutzwesten, feste Kleidung – das muss jetzt zügig besorgt werden. Dann müssen wir Funkgeräte ersetzen, die teilweise 30 Jahre alt sind, und wir haben Lücken beim großen Gerät – ob beim Eurofighter, beim Luftabwehrsystem FCAS, bei Hubschraubern, Marine-Schiffen oder Tornado-Flugzeugen.

Große Waffensysteme sind auf dem Markt nicht so einfach zu beschaffen. Das Beschaffungsamt der Bundeswehr ist überdies unterbesetzt und gilt als hochgradig bürokratisch. Wie lange wird es dauern, aus den Plänen, die Bundeswehr zu ertüchtigen, Realität werden zu lassen?

Das muss jetzt schnell gehen. Außerdem müssen die Strukturen verändert und die Verfahren vereinfacht werden. Da ist eine ganze Menge möglich. Man kann mit Ausnahmen arbeiten oder die Grenzbeträge hochsetzen, ab denen Beschaffungen ausgeschrieben werden müssen, um mehr direkte Vergaben zu ermöglichen. Das Geld muss zügig bei der Truppe ankommen und nicht erst 2040. Vieles kann direkt am Markt gekauft werden. Das Material muss nicht immer speziell auf Deutschland zugeschnitten werden. Wir können Waffen kaufen, die unsere Partner in EU und NATO bereits nutzen.

Sind Sie für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine?

Es ist richtig, die Ukraine auch mit Waffen zur Verteidigung zu unterstützen. Das wird sorgfältig beraten, auch vor dem Hintergrund unsere eigene Einsatzbereitschaft nicht zu beschränken.

Bisher scheint sie nur Waffen zu bekommen, die die Bundeswehr nicht mehr gebrauchen kann.

Diesen Eindruck habe ich nicht. Manche Ausrüstungsgegenstände sind zwar alt, aber trotzdem noch gut nutzbar. Im Übrigen ist es so, dass die Ukraine mitteilt, was sie gerne hätte, und das dann abgeglichen wird mit dem, was geliefert werden kann. Die Bundeswehr hat da ein gutes System. Am Ende entscheidet die Ministerin. Und ich hatte zuletzt das Gefühl, das ging ziemlich flott.

Noch eine ganz andere Frage: Sie sind Sozialdemokratin. Wie kann es sein, dass so viele Spitzenvertreter Ihrer Partei die Gefahr, die von Wladimir Putin ausgeht, jahrelang so falsch eingeschätzt haben?

Der Bundeskanzler hat zu Recht gesagt, dass der Angriffskrieg auf die Ukraine eine Zeitenwende sei. Das führt dazu, dass wir bisherige Einstellungen überprüfen müssen – auch die gegenüber Putin. Alles im Verhältnis zu Russland ist nicht mehr so, wie es vorher war. Das betrifft alle, auch die SPD.

Das heißt, Sie wollen nicht zurück gucken, sondern nach vorn.

Genau so ist es. Wir werden unser Verhältnis zu Russland nach über 30 Jahren grundlegend verändern müssen. Das ist eine Zäsur. Nach dem Krieg ist nichts mehr, wie es vorher war.

Interview: Markus Decker

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