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„Unsere Bundeswehr verdient Respekt und auch Dankbarkeit“ – Interview, 08.04.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der Verbandszeitung des DBwV vom April 2022

„Unsere Bundeswehr verdient Respekt und auch Dankbarkeit“

Wir erleben eine Zeitenwende: Die Landes- und Bündnisverteidigung, zwar schon vor sechs Jahren im Weißbuch als neue Marschrichtung ausgegeben, rückt nach dem Kriegsbeginn unweit der NATO-Ostflanke in den Blickpunkt. Was ist aus Ihrer Sicht akut zu tun?

Dr. Eva Högl: Zunächst noch einmal kurz ein Blick auf das Jahr 2021. Das war das Jahr der Bundeswehr: Die Truppe war da, wo sie gebraucht wurde, hochmotiviert, hochprofessionell und sehr zuverlässig. Das reichte von der Amtshilfe zur Corona-Bekämpfung,  der Amtshilfe beim Hochwasser in Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz bis hin zur Evakuierungsaktion nach dem Rückzug aus Afghanistan im Sommer 2021. Putins fürchterlicher Angriffskrieg in der Ukraine stellt uns jetzt vor neue Herausforderungen. Darauf muss die Bundeswehr auch reagieren. Es zeigt sich, dass Landes- und Bündnisverteidigung keine theoretische Diskussion mehr ist. Die Gefahr ist näher gerückt. Das ist sehr real. Unsere Soldatinnen und Soldaten brauchen deshalb die besten Rahmenbedingungen in diesen Zeiten, um auf die Herausforderungen optimal vorbereitet zu sein.

Haben wir uns zu sehr darauf verlassen, dass das Ende des kalten Krieges nach Meinung vieler keiner besonders großen und schlagkräftigen Bundeswehr mehr bedurfte?

Wir waren 1989 beim Fall der Mauer und dem Ende des kalten Krieges sehr zuversichtlich, dass wir künftig nur noch von Freunden umgeben sind. Das hat auch mehr als 30 Jahre gehalten, wir hatten zumindest in Mitteleuropa keine kriegerischen Auseinandersetzungen mehr. Heute ist klar, wir sind nicht nur von Freunden umgeben, Putin ist offenbar zu allem bereit. Darauf muss die NATO, reagieren, ebenso die EU und auch die Bundeswehr.

100 Milliarden Euro Sondervermögen für bessere Ausrüstung der Bundeswehr. Oberst André Wüstner, der Vorsitzende des BundeswehrVerbandes, hat das seit Monaten gefordert. Hat die Wehrbeauftragte bei der Entscheidung über die große Summe auch ein Wort mitzureden?

Die Forderung nach einem Sondervermögen habe ich immer unterstützt. Und ich habe immer deutlich gemacht – auch vor dem Krieg in der Ukraine – dass eine Absenkung des Verteidigungshaushaltes nicht zur Diskussion stehen darf, sondern wir im Gegenteil mehr Geld brauchen. Die Ankündigung des Sondervermögens ist eine gute Nachricht für die Bundeswehr.

Hinterlässt der Krieg in der Ukraine endlich einen so tiefen Eindruck, dass man dauerhaft einen Konsens im Parlament erreichen kann, die Bundeswehr als Parlamentsarmee von allen respektiert und anzuerkennen? Vielen Soldaten fehlt das. Zum freundlichen Desinteresse an der Bundeswehr passt leider auch der unterlassene Empfang für die letzten Heimkehrer aus Afghanistan samt dem verspäteten Zapfenstreich und der unappetitlichen Begleitmusik. Jetzt scheinen sich wieder mehr Politiker und Bürger zu freuen, dass es die Bundewehr gibt?

Die Bundeswehr verdient vor allem eines, das ist Interesse. Und selbstverständlich  Lob, Anerkennung, Respekt und Dankbarkeit. Die 184.000 Soldatinnen und Soldaten beweisen jeden Tag, dass sie engagiert und hochmotiviert ihren Dienst leisten. Das hat schon das Jahr 2021 gezeigt. Ich sehe da schon eine Veränderung, weil viele Bürger während der Amtshilfe wieder mehr mit der Bundeswehr in Kontakt gekommen sind. Aber die Bundeswehr braucht diese Unterstützung vor allem für den Kernauftrag. Der Krieg führt auch dazu, dass vielen bewusst wird, wofür wir die Bundeswehr brauchen. Sie sichert unseren Frieden und unsere Freiheit.

Was Sie in Ihrem Jahresbericht anprangern, sind zum Teil Themen, die auch Ihre Vorgänger im Amt umgetrieben haben. Schlechte Infrastruktur, mangelhafte oder fehlende persönliche Ausrüstung, kaum Munition für den Ernstfall, zu wenig einsatzbereites Material. Nimmt der Bundestag seine Wehrbeauftragten ernst genug?

Ich erlebe, dass die Arbeit der Wehrbeauftragten sehr ernst genommen wurde und wird. Ich arbeite für den Deutschen Bundestag. Die Wehrbeauftragten haben immer wieder gefordert, dass sich die Ausstattung der Bundeswehr, die Infrastruktur verbessern muss. Das permanente Anmahnen war ein Weckruf für die meisten Abgeordneten im Parlament und alle sind sich einig, wie dringend notwendig es ist, unsere Bundeswehr jetzt besser auszustatten.

Das hat sicher mit dazu geführt, dass der Verteidigungshaushalt seit 2014 wieder aufgewachsen ist. Jetzt bekommt die Truppe wieder viel Geld, das muss aber auch zielgerichtet und schnell ankommen. Die langen und komplizierten Vergabeverfahren waren da oft hinderlich.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat in seiner Regierungserklärung deutlich gemacht, dass die Bundeswehr auch personell wachsen muss. Mit welchen Instrumenten wird es aus Ihrer Sicht am besten gelingen, mehr qualifiziertes Personal für die Bundeswehr anzuwerben?

Das ist eine große Herausforderung und Aufgabe, gutes Personal zu gewinnen, zu halten und zu entwickeln. Deshalb ist das auch ein wichtiger Schwerpunkt in meinem Jahresbericht. Wir brauchen auch eine große Anstrengung, um mehr junge Leute für die Truppe zu gewinnen. Die Bundeswehr muss gut für sich werben, aber auch ein realistisches Bild des Dienstes zeigen. Eine Lage, wie wir sie jetzt haben, kann bei Bewerberinnen und Bewerbern dazu führen, dass sie sagen, ich will für Frieden und Freiheit dienen. Andere merken jetzt, dass es kein normaler Beruf ist, Soldatin oder Soldat zu sein. Im Ernstfall riskieren sie ihr Leben. Die Bundeswehr soll bis 2031 erst einmal auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten aufwachsen. Das muss jetzt angepackt werden. Wir haben einige Instrumente und Maßnahmen, die müssen langfristig wirken, manche wie zum Beispiel der Freiwillige Wehrdienst Heimatschutz müssen noch besser aufgestellt werden.

Was halten Sie von den Forderungen des CDU-Oppositionsführers Friedrich Merz zum Sondervermögen? Es müssten dauerhaft zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes dauerhaft aufgewendet werden – das fordert die NATO auch – und das Geld aus dem Sondervermögen von 100 Milliarden dürfe nur der Bundeswehr zugutekommen …

Der Bundeskanzler hat genau das vorgesehen und im Deutschen Bundestag angekündigt. 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, damit sie ihre Einsatzbereitschaft wieder herstellen kann und eine moderne und schlagkräftige Armee wird. Mit dem Sondervermögen wird auch die Vereinbarung zum Zwei-Prozent-Ziel erreicht.

Die Masse der Soldatinnen und Soldaten sind Soldaten auf Zeit. Bei den Unteroffizieren mit Portepee sind tausende Dienstposten nicht besetzt. Was muss getan werden, um dieses Laufbahnmodell attraktiver zu gestalten?

Die Vakanzen sind immer noch ein Riesenproblem. Es sind immer noch 20.000 Stellen oberhalb der Mannschaften nicht besetzt. Es ist Auftrag der Bundeswehr, nicht nur gutes Personal zu gewinnen, sondern das Personal auch weiterzuentwickeln.

Ein Thema, das pensionierte Soldaten ärgert, ist die geringe Hinzuverdienstgrenze. Ist das angesichts des Fachkräftemangels sinnvoll?

Das wird nicht sehr häufig vorgetragen. Ich sehe das im Gesamtzusammenhang: Wie schaffen wir es, Soldatinnen und Soldaten, die ausgeschieden sind, in irgendeiner Form zu halten. Dazu gehört auch der Blick auf die Reserve. Das ist ein Gesamtpaket und betrifft auch die Ruhegehaltsfähigkeit von Zulagen. Da müssen wir hinschauen, ob die Zulagenstruktur, wie wir sie heute haben, gerecht und zeitgemäß ist.

Der Veteranenbegriff ist einer, mit dem viele Menschen in Deutschland noch fremdeln. In Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern ist man den Altgedienten näher. Inzwischen gibt es zehntausende Veteranen, die im Kosovo, in Bosnien und in Afghanistan im Kampfeinsatz gedient haben …

Ich nehme wahr, dass uns der Begriff fremd ist. Ein Problem ist sicher der sehr weit gefasste Veteranenbegriff. Zudem haben wir diese Tradition – eine  gelebte Veteranenkultur wie  in anderen Staaten - in  Deutschland noch nicht. Deshalb will ich mich dafür einsetzen, dass die Veteranen eine wirkliche Wertschätzung erfahren. Die Veteranenkultur sollte ein fester Bestandteil in der Bundeswehr werden, bis hin zu Veteranentreffpunkten oder einem Veteranenheim, auch ein Veteranengeneral ist im Gespräch.

Amtshilfe war ein großes Thema, sie soll es nicht bleiben. Was muss passieren, damit der Katastrophenschutz die Lücken füllen kann?

Die Bundeswehr hat in der Amtshilfe nach Artikel 35 Grundgesetz großartiges geleistet. Mit fast 20.000 Soldaten zur Bekämpfung der Corona-Pandemie war die Truppe mit entscheidend für die Erfolge, die dabei erzielt werden konnten. Die Bundeswehr war hier fast zwei Jahre im Einsatz. Zeit genug, auch für die zivilen Organisationen, sich darauf einzustellen, dass diese Amtshilfe eines Tages enden wird. Die Entscheidung des Generalinspekteurs, die Amtshilfe zu beenden, ist daher richtig und notwendig. Unsere Soldatinnen und Soldaten haben einen anderen Auftrag und für den werden sie dringend gebraucht. Wir schieben eine Corona-Bugwelle in der Bundeswehr vor uns her. Das betrifft Lehrgänge, Ausbildung und Übungen. Das hat seinen Preis. Wir müssen alle Anstrengungen unternehmen, damit diese Bugwelle abebbt.

Eva Högl ist die zweite Frau im Amt der Wehrbeauftragten. Wie ist die Lage der Frauen in der Bundeswehr heute, 20 Jahre nachdem alle Laufbahnen der Bundeswehr auch für Frauen geöffnet sind?

Dafür danke ich dem Deutschen BundeswehrVerband, der das Urteil des EUGH mit Tanja Kreil erstritten hat, sehr. Die Entscheidung des Gerichts war bahnbrechend und mutig. Ich habe mich damals sehr gefreut. Der Frauenanteil muss größer werden, das habe ich im Jahresbericht auch hervorgehoben. Wir haben jetzt 23.606 Frauen, die in der Bundeswehr dienen. Das sind 12,85 Prozent, das ist zu wenig, das muss noch aufwachsen. Ich wünsche mir mehr Frauen in Führungspositionen bei der Bundeswehr. Die Frauen, die heute schon Führungspositionen haben, stellen unter Beweis, dass sie dafür bestens geeignet sind. Das zeichnet die Bundeswehr aus: Frauen und Männer leisten kameradschaftlich Seit‘ an Seit‘ ihren Dienst, das müssen wir weiterentwickeln.


Interview: Frank Jungbluth

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