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„Wenn die 100 Milliarden ausgegeben werden wie bisher, gibt es ein Problem“– Interview, 23.05.2022

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in der taz vom 23. Mai 2022

„Wenn die 100 Milliarden ausgegeben werden wie bisher, gibt es ein Problem“

taz: Frau Högl, wie finden Sie die Toten Hosen?

Eva Högl: Die Toten Hosen höre ich eher weniger. Aber ich habe mit Freude festgestellt, dass Campino gesagt hat: Wenn er heute noch mal entscheiden müsste, würde er zur Bundeswehr gehen und Wehrdienst ableisten. Das fand ich cool.

Das sind schon seltsame Zeiten, wenn ein Punkmusiker so eine Aussage trifft.

Das sind schwierige Zeiten. Aber wie soll es anders sein, wenn es einen brutalen Krieg in der Ukraine gibt? Das verändert alles. Man muss ganz viele Dinge ganz neu denken. Und wenn ich noch mal auf Campino zurückkommen darf: Es wird jetzt mehr Menschen klar, warum wir die Bundeswehr haben, wofür wir sie brauchen. Auch denjenigen, denen das vielleicht vorher egal war oder die sich mit Militär schwergetan haben.

Sie kommen aus der Friedensbewegung. Seit 2020 sind Sie Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags. Wann hat sich Ihr Verhältnis zur Bundeswehr verändert?

Ich musste gar nichts ändern.

Tatsächlich?

Tatsächlich. Ich bin in Niedersachsen am Rande eines Fliegerhorstes mit der Bundeswehr aufgewachsen und hatte immer ein positives Bild. Ich habe nie gedacht, wir brauchen das Militär nicht. Dennoch war ich der Auffassung, wir müssen versuchen, Konflikte möglichst ohne Militär zu lösen. Daher erklärt sich meine Neigung zum Pazifismus und auch meine Beteiligung an Ostermärschen.

Seit dem 24. Februar scheint sich die Logik umgekehrt zu haben: Militär ist gerade die Voraussetzung, um Konflikte zu lösen.

So stellt es sich tatsächlich im Moment dar, dass es im Sinne von Abschreckungspolitik ohne Militär und auch ohne eine gute Ausstattung nicht geht. Wir mussten feststellen, dass wir die Ukraine militärisch unterstützen müssen, damit Putin den Krieg nicht gewinnt.

Finden Sie diese Begeisterung für Waffenlieferungen und alles Militärische nicht auch etwas unheimlich?

Es ist eine bittere Erkenntnis, dass die jahrelangen Handelsbeziehungen zu Russland und die Verständigung auf persönlicher Ebene nicht zu einem dauerhaften Frieden in Europa geführt haben. Viele müssen ihr Bild von Putin und von Russland grundlegend revidieren. Ich gehöre dazu.

Ein Ausdruck dieser Zeitenwende ist das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen für die Bundeswehr. Olaf Scholz hatte es angekündigt. Noch verhandelt die Ampelregierung mit der Union. Wie groß sind die Erwartungen in der Bundeswehr, dass der Bundestag es schnell verabschiedet?

Riesig. Die Soldatinnen und Soldaten gehen davon aus, dass das Geld zügig bei ihnen ankommt und sie spürbar besser ausgestattet und ausgerüstet sind. Und das zu recht.

Momentan streiten sich Union und Ampel darüber, wie der Kanzler das mit dem Sondervermögen gemeint hat: Ist es nur für die Bundeswehr oder auch für Hacker, die Cyberangriffe abwehren?

Als Wehrbeauftragte sage ich Ihnen: Der Kanzler war sehr klar. Er hat gesagt, dieses Geld soll komplett für die Bundeswehr zur Verfügung stehen. Und die Erwartung in der Bundeswehr ist, dass es so kommt.

Ausschließlich?

Hundert Prozent. Denn wenn wir schauen, wofür das Geld ausgegeben werden soll, dann ist es relativ schnell verplant.

100 Milliarden Euro?

Dazu braucht es nicht viel Phantasie. 20 Milliarden Euro brauchen wir allein für Munition. Die Tornado-Nachfolger kosten viel Geld, die schweren Transporthubschrauber ebenfalls. Wenn man dann noch ein U-Boot will und eine Fregatte, dann sind die 100 Milliarden schnell weg.

Der Bundeskanzler hat auch gesagt, er wolle den Verteidigungsetat auf 2 Prozent der deutschen Wirtschaftskraft erhöhen, was jedes Jahr etwa 20 Milliarden Euro mehr als bislang wären. Die SPD sagt jetzt, das Geld kommt aus dem Sondervermögen. Die Union meint, das komme obendrauf. Wie haben Sie Olaf Scholz verstanden?

100 Milliarden Euro plus, das 2-Prozent-Ziel. Das hieße dann 70 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt. Aber letztendlich muss das ja auch ausgegeben werden. Ich finde es viel wichtiger, dass dieses Geld auch bei der Truppe ankommt.

Aber wenn wir künftig Jahr für Jahr 20 Milliarden Euro mehr für die Bundeswehr ausgeben, bleibt weniger für Bildung oder Kindergrundsicherung. Wie findet die SPD-Genossin Högl das?

Ich kann alle verstehen, die skeptisch sind. Aber ich nehme auch wahr, dass die Bundesregierung die soziale Sicherheit gleichermaßen im Blick hat und nicht gegeneinander ausspielt. Die Bundeswehr ist in einem Zustand, in dem sie nicht voll einsatzbereit ist. Das muss beendet werden, denn wir müssen auch unser Land verteidigen.

Sind wir schutzlos?

So weit ist es nicht. Aber unseren 184.000 Soldatinnen und Soldaten fehlen zum Teil die Basics: Schutzwesten, Helme, Kälte-Nässe-Schutz, Rucksäcke. Unsere Funkgeräte sind nicht kompatibel mit denen anderer Länder. Das heißt, die Soldatinnen und Soldaten im Nato-Einsatz müssen vom Panzer heruntersteigen, sich etwas zurufen und wieder in den Panzer hinein. Wir wären also im Gefecht nicht kommunikationsfähig.

Im Aktenschrank in ihrem Vorzimmer stehen allein drei Ordner zum Beschaffungswesen. Wie groß ist die Gefahr, dass diese 100 Milliarden einfach in einem schwarzen Loch versenkt werden?

Das darf nicht passieren. Damit es nicht dazu kommt, muss mit der Bereitstellung des Sondervermögens eine grundlegende Reform des Beschaffungswesens einher-gehen. Wenn die 100 Milliarden Euro so ausgegeben werden wie bisher, gibt es ein Problem. Ich bin viel in der Truppe unterwegs und unterhalte mich mit Soldatinnen und Soldaten. Es ist unfassbar, in welchen Zeiträumen geplant, umgesetzt und beschafft wird. Selbst bei am Markt verfügbaren Ausrüstungsgegenständen dauert es oft Jahre.

Haben Sie ein Beispiel?

Die Spezialkräfte der Luftwaffe brauchen einen ballistischen Schutzhelm. Der ist in den USA seit Mitte der 90er im Einsatz. 2013 gab es die Idee, ihn für die hiesige Luftwaffe anzuschaffen. Als ich 2022 im März am Stützpunkt war, wurde mir gesagt: Vielleicht bekommen wir den Helm 2023. Das sind dann zehn Jahre für einen Helm, der in den USA seit Mitte der 90er Jahre im Gebrauch ist. Absurd.

Wo hakt es denn?

Man muss den Helm, der in den USA im Gebrauch ist, erst nochmal ganz umfänglich testen, ob er auch auf die deutschen Köpfe passt und wirklich so schützt, wie man das nach deutschen Standards erwartet. Solche Beispiele gibt es aus der Bundeswehr leider viel zu viele und deswegen braucht es in der Beschaffung einen grundlegenden Wechsel. Ich finde es gut, mehr am Markt Verfügbares zu kaufen, also das, was unsere Partner in Nato und EU auch nutzen. Nicht immer die Goldrandlösung.

Greenpeace hat gerade eine Studie zum Beschaffungswesen herausgegeben. Dort heißt es: Auch die Prioritätensetzung muss klarer werden. Kann man die Bundes-wehr denn überhaupt für zwei Ziele gleichzeitig vernünftig ausstatten - für die eigene Verteidigung und für Auslandseinsätze?

Diese Priorisierung muss erfolgen. Und die oberste Priorität ist eigentlich schon seit 2014 die Bündnis- und Landesverteidigung. Wir sind zu nah dran an der Bedrohung durch Russland, um uns wie in den vergangenen Jahren die Priorisierung auf internationalem Krisenmanagement zu erlauben.

Verstehen wir Sie richtig: Sie sagen, nach 2014 hätte man die Bundeswehr stärker auf die Landesverteidigung umstellen müssen?

Das Ziel wurde ja festgeschrieben. Aber die Bedrohung wurde als nicht real empfunden.

Trotzdem ist gerade das Bundeswehrmandat für die UN-Mission in Mali verlängert worden, die Höchstzahl der Soldaten wurde sogar aufgestockt. Dort regiert inzwischen eine Militärregierung und Frankreich zieht seine Truppen ab. Droht Mali zum zweiten Afghanistan zu werden?

Es wird zum Schutz deutscher Soldatinnen und Soldaten aufgestockt. Wir wissen nicht, wie sich die Situation in Mali entwickelt, es bleibt ein gefährlicher Einsatz. Wichtig ist, zu definieren, welches unsere Ziele dort sind. Das war in Afghanistan am Ende nicht mehr klar. Deshalb müssen wir den Afghanistan-Einsatz jetzt zügig evaluieren und daraus Lehren für künftige Einsätze ziehen. Darauf dringe ich als Wehrbeauftragte. Das erwarten auch die Soldatinnen und Soldaten.

Ist es nicht gefährlich, den nächsten Einsatz zu verlängern, ohne das erste Fiasko aufgearbeitet zu haben?

Das wäre besser gewesen, da gebe ich Ihnen recht. Ich glaube trotzdem, dass das Mali-Mandat eine tragfähige Grundlage ist, weil es beide Optionen schafft: Abzug oder eine Aufstockung zur Sicherheit der Soldaten.

An der Spitze des Verteidigungsministeriums steht mit Christine Lambrecht eine Frau, die sehr stark in der Kritik ist. Ist sie die Richtige für diesen anspruchsvollen Job?

Christine Lambrecht ist eine sehr erfahrene Politikerin, kluge Juristin und sehr durchsetzungsstarke Frau. Ich werde sie daran messen, was sie für die Bundes-wehr erreicht.

Abgesehen von dem Helikopterflug mit ihrem Sohn gibt es auch fachliche Kritik. Sie arbeite sich nicht ein, habe keine Lust auf den Job.

Ich kenne Christine Lambrecht ganz anders.

Wie denn?

Sehr klar, sehr deutlich. Sie ist sehr schnell in die ganzen Themen reingekommen, ist sachkundig, setzt Akzente. Und hat jetzt schon gute Entscheidungen getroffen, etwa die Vergabe von Aufträgen erleichtert.

Der Presse wurden zuletzt Interna durchgestochen, die Lambrecht schaden. Bei ihren Vorgängerinnen gab es das auch schon. Ist das Verteidigungsministerium ein schwieriges Haus?

Die Durchstecherei war schon bei den Vorgängerinnen nicht gut. Das muss enden. Es gibt einen Krieg in Europa und alle sollten ein Interesse daran haben, dass die deutsche Verteidigungsministerin stark ist und viel bewirken kann.


Interview: Anna Lehmann und Tobias Schulze

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