Die „Anwältin“ der Truppe – Interview, 10.03.2023
Interview mit der Wehrbeauftragten in der „Münsterländischen Volkszeitung“ vom 10. März 2023
Die „Anwältin“ der Truppe
Frau Högl, seit 2020 fragen Sie die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, wo ihnen der Schuh drückt. Haben sich die Gesprächsinhalte seit dem 24. Februar 2022 merkbar verändert?
Eva Högl: Für die Bundeswehr hat sich alles verändert. Dieser entsetzliche Krieg in der Ukraine führt uns allen vor Augen, wofür wir die Bundeswehr haben und wofür wir sie brauchen – nämlich zur Verteidigung unserer Freiheit und unseres Friedens. Unsere Soldatinnen und Soldaten wissen, dass es ernst werden kann. Sie wissen, dass es unter Umständen schnell gehen muss und dass sie immer einsatzbereit sein müssen. Seit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim im Jahr 2014 haben wir eine Diskussion über Bündnis- und Landesverteidigung, aber der brutale Angriffskrieg auf die Ukraine macht intensiv deutlich, dass Bündnis- und Landeverteidigung keine theoretischen Optionen sind, sondern Wirklichkeit. Deswegen geht es darum, unsere Bundeswehr voll einsatzbereit auszustatten.
Wie geht die Truppe mit der neuen Lage „Krieg in Europa“ um?
Högl: Die Soldatinnen und Soldaten teilen mir mit, dass sie die Unterstützung der Ukraine richtig und wichtig finden. Auch wenn es – beim Blick auf die materielle Unterstützung – Lücken bei der Bundeswehr reißt, die selbst von allem zu wenig hat. Es sind wirkliche Härten, wenn zum Beispiel das Panzerbataillon in Augustdorf Leoparden oder das Artilleriebataillon 295 in Stetten am kalten Markt Panzerhaubitzen und Mars-Raketenwerfer, oder die Sanität Rettungszentren abgeben muss. Die Bundeswehr leidet darunter, die Ukraine zu unterstützen. Aber die Soldatinnen und Soldaten, mit denen ich spreche, tragen diese Unterstützung mit. Aber sie verbinden damit auch die Erwartung an Verantwortliche im Verteidigungsministerium und im Parlament, zügig das Material nachzubeschaffen.
Wie bezeichnen Sie den aktuellen Zustand der Bundeswehr? Ist sie verteidigungsfähig?
Högl: Natürlich ist unsere Bundeswehr verteidigungsfähig. Aber sie ist nicht vollständig einsatzbereit, weil ihr Material fehlt, weil ihr Personal fehlt und weil wir auch bei der Infrastruktur Nachholbedarf haben. Das hat Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius auch so zum Ausdruck gebracht. Mit den Partnern im Bündnis ist die Bundeswehr aber verteidigungsfähig, da bringt die Bundeswehr wichtige Fähigkeiten ein.
Sie haben kürzlich in einem Interview der FAZ gesagt, dass es 300 Milliarden Euro bräuchte, um die Bundeswehr besser aufzustellen.
Högl: Ich spreche natürlich mit Expertinnen und Experten. Dann kommt man schnell auf die Zahl 300 Milliarden Euro. Das ist viel Geld. Wir haben Bedarf an Munition, das ist allein ein zweistelliger Milliardenbetrag. Für Infrastruktur gibt es Bedarf in Höhe von 50 Milliarden Euro. Dazu kommen Material, Personal und gestiegen Energiekosten und so weiter. Da braucht man nicht viel Fantasie, um festzustellen, dass die 100 Milliarden Euro nicht reichen. Dennoch ist mir wichtig, dass die 100 Milliarden jetzt gut ausgegeben werden, dass sie bei der Truppe zügig ankommen und das die Bundeswehr eine stabile Finanzierung über den Bundeshaushalt bekommt. Der Einzelplan muss so ausgestattet werden, dass die Bundeswehr kontinuierlich einen Aufwuchs hat.
Verstehen Sie sich eigentlich als Lobbyistin für die Bundeswehr?
Högl: Ich bin Hilfsorgan des Deutschen Bundestages. Eine Aufgabe ist es, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages bei der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte zu unterstützen. Ich sehe mich – so steht es nicht im Gesetz – als Anwältin der Soldatinnen und Soldaten. Deswegen vertrete ich die Interessen der Bundeswehr gegenüber den politisch Verantwortlichen. Ich führe Gespräche mit den Soldatinnen und Soldaten und wenn ich zurück in Berlin bin, trage ich diese Themen auch vor.
Das Sanitätsregiment 4 befindet sich im Aufbau. Könnte der Wechsel an der Spitze des Verteidigungsministeriums bestehende Pläne umwerfen?
Högl: Ich gehe nicht davon aus, dass der Verteidigungsminister Boris Pistorius, schon gar nicht als Osnabrücker, jetzt ein Fragezeichen an den Standort Rheine macht. Ich gehe davon aus, dass so wie geplant und von der vorherigen Ministerin gebilligt, der Aufwuchs hier erfolgen kann, der Standort gestärkt und weiter entwickelt wird.
Interview: Matthias Schrief