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„Marode Kasernen unzumutbar“ – Interview, 4.7.2023

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten in den „Badischen Neuesten Nachrichten“ vom 4. Juli 2023

„Marode Kasernen unzumutbar“

Sie fordern seit Jahren mehr Tempo im Beschaffungswesen der Bundeswehr. Haben Sie den Eindruck, dass Ihre Appelle fruchten?

Högl: Ja, es tut sich was und die Lage erfordert es auch. Seit dem 24. Februar 2022 haben wir eine neue Lage, das hat für die Bundeswehr alles verändert. Sie hat seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine weniger Material als zuvor, und ihr fehlte vorher schon alles an allen Ecken und Enden.

Das Material fehlt wegen der Lieferungen an die Ukraine?

Högl: Ja, auch. Die Abgaben an die Ukraine sind absolut richtig und sinnvoll, das sehen auch alle Soldatinnen und Soldaten so, die ich treffe. Aber es fehlt dadurch der Bundeswehr auch großes Gerät. Wenn man Leopard-Panzer abgibt, reißt das Löcher.

Der Krieg hat für die Bundeswehr alles verändert, sagen Sie. Was genau?

Högl: Es gibt eine ganz andere Aufmerksamkeit für die Streitkräfte durch den Krieg in der Ukraine, auch mehr Wertschätzung und Respekt für die Soldatinnen und Soldaten, und mehr Interesse für die Frage, was sich verändern muss. In einem Bereich bin ich mit dem Tempo der Veränderung nicht zufrieden.

Wo denn?

Högl: Beim Thema Infrastruktur. Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Dienst unter zum Teil schrecklichen Rahmenbedingungen: zu wenige Stuben, keine Truppenküche, kein W-Lan, sanitäre Anlagen in erbärmlichen Zustand und marode Kasernen. Das ist unzumutbar. Der Arbeitsmarkt ist zurzeit so gut, dass junge Leute gute Perspektiven in anderen Branchen haben. Wenn die Bundeswehr in diesem harten Wettbewerb bestehen will, braucht es Kasernen, die gut in Schuss sind.

Sie haben vorgeschlagen, dass die Bundeswehr Teil der Schulbildung sein soll. Baden-Württemberg ist das einzige Bundesland, in dem es ein Werbeverbot für die Bundeswehr in den Schulen gibt. Halten Sie das noch für zeitgemäß?

Högl: Nein, ich halte das Werbeverbot für die Bundeswehr an Schulen für nicht mehr zeitgemäß. Es ist heute eine andere Lage als 2014, als es beschlossen wurde. Die baden-württembergische Landesregierung sollte es überdenken. Es geht mir aber gar nicht um Werbung, sondern darum, dass man in der Schule über die Bundeswehr, über den Soldatenberuf, über Krieg und Frieden spricht, gerne auch strittig und kritisch.

Und dafür braucht es Begegnungen?

Högl: Ja, es braucht Begegnungen. Die Truppe hat hervorragende Jugendoffiziere, die geschult darin sind, mit jungen Leuten zu diskutieren. Ich rate Lehrerinnen und Lehrern, mit ihren Klassen eine Kaserne zu besuchen oder Soldatinnen und Soldaten in die Schule einzuladen.

Der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat 2011 die allgemeine Wehrpflicht ausgesetzt.

Högl: Ich halte das für einen Fehler.

Sollte man sie wieder einführen?

Högl: Die Wehrpflicht in ihrer alten Form braucht es nicht mehr. Aber ich finde es gut, dass Bundespräsident Steinmeier die Debatte über das freiwillige Dienstjahr vorantreibt. So ein Dienstjahr täte den jungen Leuten und der Gesellschaft gut. Ich würde mich freuen, wenn der Bundestag darüber diskutieren würde. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas hat Bürgerräte eingerichtet, etwa einen zum Thema Ernährung, da könnte einer zum Dienstjahr dazukommen.

Wie soll man überhaupt mehr junge Menschen dazu bewegen, zur Bundeswehr zu gehen? Im vergangenen Jahr gab es bei Bewerbungen einen Rückgang um elf Prozent.

Högl: Die Rahmenbedingungen müssen verbessert werden. Wenn junge Leute zur Bundeswehr kommen, und es gibt nicht genügend Panzer zur Ausbildung oder nicht genügend moderne Funkgeräte, dann ist das ein Problem. Außerdem müssen die Karrierecenter die Leute gut beraten, ihnen ein realistisches Bild vermitteln von dem, was sie erwartet. Wir wollen Menschen dafür gewinnen, Frieden, Freiheit und Sicherheit zu verteidigen. Diese ehrenwerte und verantwortungsvolle Aufgabe muss in den Vordergrund gestellt werden. Dann ist die Truppe auch attraktiv für junge Leute.

Die Ankündigung von Minister Pistorius, 4.000 Bundeswehrsoldatinnen und Soldaten dauerhaft in Litauen zu stationieren, hat Unruhe verursacht. Wie stehen Sie zu dem Plan?

Högl: Litauen zu unterstützen, finde ich richtig. Es ist ein starkes Signal, nicht nur eine kurzfristig verlegbare Brigade bereitzuhalten, sondern dauerhaft dort zu stationieren. Dazu braucht es aber Infrastruktur und da ist zunächst Litauen gefordert. Es braucht Wohnungen, Häuser, Schulen, Kasernen, Übungsplätze und Gerät. Bis wir 4.000 Frauen und Männer dort stationiert haben, wird also noch eine Weile Zeit vergehen.

Welche Soldaten könnten denn verlegt werden?

Högl: In der vergangenen Woche habe ich die Deutsch-Französische Brigade besucht. Vielleicht ist es eine Idee, diese Brigade auch stärker an der NATO-Ostflanke einzusetzen.


Interview: Dieter Klink

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