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„Wir haben eine hohe Dunkelziffer“ - Interview, 19.10.2023

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten auf „Security.table“ vom 19. Oktober 2023

„Wir haben eine hohe Dunkelziffer“

„Frau Högl, wegen des Verdachts sexueller Übergriffe wurden Soldaten auch in höherrangigen Positionen zuletzt vom Dienst suspendiert. Auch der Kommandeur des Zentrums Innere Führung, Generalmajor Marcus Kurczyk, soll in den Ruhestand geschickt werden. Hat die Bundeswehrführung das Thema zu lange ignoriert?

Es muss ganz klar sein, dass sexualisierte Gewalt in der Bundeswehr nicht stattfinden darf. Das ist ein Verstoß gegen die individuellen Rechte jeder und jedes Einzelnen. Das hat aber auch Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft und das Ansehen der Bundeswehr. Deswegen muss es rote Linien geben. Das fängt mit einer blöden Bemerkung an und endet mit Vergewaltigung. Der Umgang damit zeigt auch, ob die Bundeswehr attraktiv ist für Frauen. Denn die Mehrheit der Betroffenen – zu 80 Prozent – sind Frauen. Und ein Drittel der Vorfälle geschieht unter Alkoholeinfluss. Wir hatten im Jahr 2021 357 meldepflichtige Ereignisse und 34 Eingaben. Wir verfolgen die Fälle hier im Amt der Wehrbeauftragten sehr genau und schauen uns auch an, was in den jeweiligen Verbänden getan wird in Sachen Prävention, aber auch, wie ermittelt wird.

Was kann man verbessern?

Auf der Konferenz der militärischen Gleichstellungsbeauftragten wurden kürzlich sehr spannende Ansätze diskutiert. Bei dem Treffen gab es den berechtigten Hinweis, dass häufig die Ermittlungen nicht professionell geführt werden, also vielleicht nicht ausreichend Zeugen vernommen werden oder die nötige Objektivität nicht gegeben ist. Deswegen hatten die Gleichstellungsbeauftragten die Idee, eine möglichst neutrale Instanz mit der Ermittlung zu beauftragen. Das ist eine gute Idee. Eine Gleichstellungsbeauftragte regte an, dass vielleicht die Feldjäger dafür in Betracht kommen. Hier sollte weiter überlegt werden, wie die Ermittlungen professionell geführt werden können. Das sage ich ohne Vorwurf an irgendwen, aber das ist ein wichtiger Bestandteil. Wichtig ist auch, wie Frauen ermuntert und unterstützt werden können, Meldung zu machen. Wir haben eine hohe Dunkelziffer und viele Frauen trauen sich nicht, den Vorfall überhaupt zu melden. Sie ignorieren ihn lieber und lassen es auf sich beruhen, weil sie sagen, ich habe dann mehr Ärger, wenn ich es melde. Das ist keine Lösung.

Stichwort Rechtsextremismus: 2021 gab es 1.452 Verdachtsfälle. Jetzt sollen Rechtsextreme schneller aus der Bundeswehr entfernt werden können. Dazu gibt es einen Gesetzesentwurf, der dem Bundestag vorliegt. Was genau soll sich ändern?

Der Gesetzentwurf ist hervorragend, weil er an der charakterlichen Eignung anknüpft. Man kann einen Soldaten, eine Soldatin entlassen, wenn er oder sie nicht Gewähr für die charakterliche Eignung bietet, auch nicht die Werte und Grundrechte des Grundgesetzes vertritt. Es ist gut, dass damit keine Frist vorgesehen ist. Und der Gesetzentwurf ist auch nicht auf Zeitsoldaten beschränkt, sondern gilt auch für Berufssoldaten und -soldatinnen. Es wäre ein gutes Instrumentarium, das die Bundeswehr dann an der Hand hat, um die Soldatinnen und Soldaten, die nicht in die Bundeswehr passen, entlassen zu können. Und am liebsten hätte ich es, wenn es dieses Jahr noch beschlossen wird. Aber auf jeden Fall sollte es noch in dieser Legislaturperiode passieren.

Also auch als Signal, dass wir die nicht in den Reihen unserer Soldaten haben wollen?

Unbedingt. Und es gilt dann im Übrigen nicht nur für Rechtsextremismus …

Würde das Extremisten wie zum Beispiel Hamas-Sympathisanten einschließen?

Ja, ich hoffe, dass keine Soldatinnen und Soldaten diesem Gedankengut anhängen. Aber es gilt für alle verfassungsfeindlichen Bestrebungen. Es erfordert dann kein Gerichtsverfahren mehr. Das dauert momentan häufig jahrelang. Künftig soll zügig per Verwaltungsakt eine Entlassung verfügt werden können. Das wäre eine echte Erleichterung.

Verteidigungsminister Boris Pistorius hat kürzlich 2025 als Ziel für die Entsendung einer Brigade nach Litauen ausgegeben und setzt dabei auf Freiwilligkeit. Aber laut einer Umfrage ist nur jeder fünfte Soldat bereit, freiwillig zu gehen. Wird das funktionieren?

Es ist grundsätzlich richtig, dass der Minister auf Freiwilligkeit setzt. Die Zahl der Freiwilligen hängt auch davon ab, wie die Rahmenbedingungen sind, sowohl die militärischen Liegenschaften als auch die zivilen. Wie wohnen die Soldatinnen und Soldaten mit ihren Familien? Welcher Ort wird gewählt? Ich kann mir vorstellen, dass Vilnius sehr attraktiv ist für unsere Soldatinnen und Soldaten. Haben die mitreisenden Angehörigen eine Arbeitsmöglichkeit? Gibt es Schulen für die Kinder, vernünftige Kindergärten, Sportmöglichkeiten, Einkaufsmöglichkeiten und Betreuung? Wenn die Rahmenbedingungen konkreter feststehen, dann bin ich mir sicher, dass die Bereitschaft steigt.

Sie meinen, sie brauchen noch ein bisschen Motivation nach dem Motto “Hey, das ist doch ein toller Job„?

Ich war gerade zwölf Tage in den USA, habe mit deutschen Soldatinnen und Soldaten gesprochen und festgestellt, dass ganz viel von der richtigen Information abhängt. Auch da sind unsere Soldatinnen und Soldaten freiwillig. Und trotzdem kämpfen sie mit Bürokratie und dem einen oder anderen, was nicht so rund läuft. Und das sollte man in Litauen möglichst vermeiden.

Ein letztes Wort zur Ausstattung: Der Bundestag hat der Bundeswehr 2,4 Milliarden Euro für die persönliche Ausstattung der Soldaten zugesichert. Können Sie jetzt, wo der Winter naht, sagen: Alle haben eine warme Unterhose?

Es geht voran. In den Verbänden, wo ich bin, landauf, landab, nehme ich wahr, dass die persönliche Ausstattung bei den Soldatinnen und Soldaten ankommt. Schutzweste, Kälte- und Nässe-Schutz, Helm, Rucksack, die Socken nicht zu vernachlässigen. Das ist keine Kleinigkeit, die man belächeln sollte. Es war eine wichtige Entscheidung des Deutschen Bundestages, 2,4 Milliarden Euro dafür zur Verfügung zu stellen, damit das bis 2025 bei der Truppe ankommt. Wir haben im Verteidigungsausschuss gehört, dass es die eine oder andere Lieferschwierigkeit gibt, weil Produzenten insolvent sind oder wegen Corona nicht genügend Personal haben. Trotzdem bin ich optimistisch, dass die persönliche Ausstattung bald bei allen Soldatinnen und Soldaten angekommen sein wird.“

Interview: Nana Brink

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