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„Nicht vollständig einsatzbereit“ – Interview, 22.11.2023

Tageszeitungen liegen aufgefächert auf einer schwarzen Unterlage.

(© Presse- und Informationsamt der Bundesregierung)

Interview mit der Wehrbeauftragten im „Weser-Kurier“ vom 22. November 2023

„Nicht vollständig einsatzbereit“

Frau Högl, mit dem völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine ist Krieg in Europa wieder zur traurigen Realität geworden. Wie steht es aktuell um die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr?

Eva Högl: Die Bundeswehr ist gegenwärtig nicht vollständig einsatzbereit. Jetzt geht es darum, dass dies wieder der Fall ist, damit die Truppe ihre Verpflichtungen in der Nato wahrnehmen kann. Auch wenn die Rahmenbedingungen in der Truppe nicht überall optimal sind: Unsere Soldatinnen und Soldaten sind hochprofessionell, verantwortungsbewusst und sehr kreativ.

Wo mangelt es Ihrer Ansicht nach am meisten?

Es braucht mehr Material, mehr Personal und dabei die richtige Person zur richtigen Zeit auf dem richtigen Dienstposten – voll ausgebildet. Und schließlich müssen gravierende Mängel bei der Infrastruktur beseitigt werden. Viele Kasernen sind leider in keinem guten Zustand. Das müssen wir abstellen.

Was wurde in den vergangenen Jahren versäumt?

Die Ursachen sind vielfältig. Vieles lag am fehlenden Geld, aber auch daran, dass wir geglaubt hatten, der Kalte Krieg ist vorbei. Die Landes- und Bündnisverteidigung rückte in den Hintergrund, internationale Kriseneinsätze wie in Afghanistan standen im Mittelpunkt.

Welche Anliegen übermitteln Ihnen die Soldatinnen und Soldaten vorrangig?

Das ganze Soldatenleben erreicht mich. 2022 waren es 2343 Eingaben – von der Vereinbarkeit von Dienst und Familie über Ausbildung, Beförderung und Zulagen bis hin zum Essen in der Kantine und Mängeln in den Sportanlagen.

In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Berichte über Kontakte von Angehörigen der Truppe zu rechtsextremen Netzwerken. Wie groß sehen Sie die Gefahr extremistischer Tendenzen in der Bundeswehr?

Der Kampf gegen den Rechtsextremismus ist eine Daueraufgabe. Aber ich sehe eine gute Entwicklung: Zu Beginn meiner Amtszeit waren die rechtsextremen Auswüchse im Kommando Spezialkräfte in aller Munde. Die Bundeswehr hat in diesen dreieinhalb Jahren intensiv daran gearbeitet, dass Fälle von Rechtsextremismus konsequent gemeldet und verfolgt werden. In der vergangenen Woche haben wir ein Gesetz im Deutschen Bundestag verabschiedet, das es ermöglicht, Rechtsextreme schneller aus der Bundeswehr entfernen zu können. Das ist ein wichtiges Instrumentarium, das klar macht: Wer die Werte und Grundrechte des Grundgesetzes nicht verteidigt, muss die Truppe verlassen.

Muss nach dem Sondervermögen weiter in die Bundeswehr investiert werden?

Selbstverständlich. Wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist, muss der Einzelplan 14, also der reguläre Verteidigungsetat, so ausgestattet werden, dass die Bundeswehr umfassend für unsere Sicherheit sorgen kann. Das ist gut investiertes Geld.

Ist die Wehrpflicht für Sie eine Option?

Niemand will die alte Wehrpflicht, die 2011 ausgesetzt wurde, zurück. Darauf wäre die Truppe gar nicht vorbereitet, denn es fehlen dafür Unterkünfte, Ausrüstung und Ausbilder. Aber ich werbe sehr für ein Jahr für die Gesellschaft, wie es unser Bundespräsident vorgeschlagen hat. Jungen Menschen könnte man ein Angebot machen, sich für unser Land einzusetzen. Die Demokratie steht unter Druck wie lange nicht mehr. Wir müssen etwas tun für unseren Frieden, unsere Freiheit und unsere Demokratie.

Wie steht es um die Zukunft des Fliegerhorstes in Diepholz?

Ziel meines Besuchs vor Ort ist es, mich auch darüber zu informieren, wie es um die Zukunft des Standortes steht. Klar ist, dass die Bundeswehr vor dem Hintergrund der Zeitenwende vor ganz neuen Herausforderungen steht. Das bietet vielen Standorten neue Perspektiven.

Welche Botschaft möchten Sie bei Ihrem Besuch im Landkreis Diepholz vermitteln?

Bei meinen Truppenbesuchen bin ich vor Ort, um mich zu erkundigen, wie es den Soldatinnen und Soldaten geht. Mich interessiert dabei immer auch, wie die Kaserne in der Region verankert ist: Gibt es einen Austausch, gibt es ein gutes Miteinander von Zivilgesellschaft und Bundeswehr? Oft nehme ich im Anschluss an den Truppenbesuch an Diskussionsveranstaltungen teil wie heute Abend auf Einladung der örtlichen Bundestagsabgeordneten Peggy Schierenbeck (SPD, Anm. d. Red.). Darauf freue ich mich sehr, denn die Bundeswehr geht uns alle etwas an. Die Gesellschaft muss sich mehr für unsere Soldatinnen und Soldaten interessieren.

 

Interview: Eike Wienbarg

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