Prüfung der Firmen beruht auf Zuarbeit der Ministerien
Berlin: (hib/FMK) Der Leiter der Wirtschaftsabteilung des Kanzleramts, Lars-Hendrik Röller, hat vor dem 3. Untersuchungsausschuss („Wirecard“) die Abläufe zur Vorbereitung von Auslandsreisen der Bundeskanzlerin verteidigt. Es habe keine bösgläubige Haltung gegenüber Wirecard gegeben genauso wenig wie gegenüber anderen Dax-Firmen, für die die Kanzlerin sich auf der internationalen Bühne einsetzt. „Wir im Kanzleramt hatten keine Hinweise auf Unregelmäßigkeiten“, sagte Röller am Dienstag vor dem Ausschuss unter der Leitung von Kay Gottschalk (AfD).
Die Bundeskanzlerin hatte sich auf einem Besuch in Peking im September 2019 bemüht, dem Finanztechnik-Unternehmen Wirecard den Weg für einen Markteintritt in China zu ebnen. Eine solche Erwähnung bei Gesprächen auf höchster Ebene ist so etwas wie ein staatliches Gütesiegel. Die britische Zeitung „Financial Times“ warnte da jedoch bereits vor Unstimmigkeiten bei Wirecard. Ein Dreivierteljahr später war das Unternehmen insolvent. Es stellte sich heraus, dass Umsatz und Gewinn des Zahlungsdienstleisters größtenteils durch ein Finanzkarussell zustande gekommen waren. Heute gilt Wirecard als größter Betrugsfall der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Röller legte auf eine Frage des Abgeordneten Matthias Hauer (CDU) dar, wie Wirecard auf die Liste der förderungswürdigen Anliegen der Kanzlerin gekommen ist und welche Prüfungen vorher erfolgt sind. Am Anfang stand demnach ein Hinweis des Wirtschaftsberaters und ehemaligen Bundesministers Karl-Theodor zu Guttenberg auf den geplanten Zukauf eines Dax-Unternehmen in China. Röller habe daraufhin beim Bundeswirtschaftsministerium und beim Bundesfinanzministerium abgefragt, ob Bedenken gegen ein Engagement für Wirecard vorliegen. Es seien ihm keine Informationen über schwerwiegende Probleme zugegangen.
Dann sei die politische Prüfung im Kanzleramt erfolgt. Es gebe zwei Bedingungen für eine Empfehlung an die Kanzlerin: Das Anliegen in dem betreffenden Land müsse berechtigt sein und das Profil des Engagements müsse zu den deutschen Interessen passen. „Wirecard war ein Dax-Unternehmen und passte hier hundertprozentig hinein“, sagte Röller. Es sei schon seit Jahren ein Ziel der deutschen China-Politik, mehr Investitionen in der dortigen Finanzwelt möglich zu machen. Eine „forensische Prüfung“ von Dax-Konzernen erfolge vorher nicht.
Die Befragung wandte sich dann der Frage zu, wie viel Einfluss Lobbyisten auf das Kanzleramt haben. Ihm sei nicht klar gewesen, wie viel Geld Guttenberg mit seinem Hinweis auf Wirecard verdient habe, sagte Röller auf eine Frage von Cansel Kiziltepe (SPD). „Die Kanzlerin ist nicht eingespannt worden“, insistierte Röller später. „Der Kanzlerin ist empfohlen worden, bestimmte Themen anzusprechen.“
Die Abgeordnete Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) wies darauf hin, dass sich in dieser Zeit gleich drei hochkarätige Lobbyisten für Wirecard stark gemacht hätten: Neben zu Guttenberg (CSU) hätten auch der ehemalige Kanzleramts-Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche (CSU) und der ehemalige Hamburger Bürgermeister Ole von Beust (CDU) im Namen von Wirecard kommuniziert. Röller wusste nicht zu sagen, ob eine solch geballtes Engagement von Beratern im Kanzleramt die Regel oder die Ausnahme sind.
Röller gab an, er als Leiter der Wirtschaftsabteilung lese zwar regelmäßig eine Presseauswertung, kenne aber nicht immer die komplette Nachrichtenlage. Ihm sei nicht bekannt gewesen, dass die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) da schon ein Verfahren wegen Verstößen gegen die Pflicht zur Veröffentlichung korrekter Finanzberichte angestrengt habe. „Ich hätte erwartet, von den Ressorts gewarnt zu werden.“
Zu Misstrauen habe es erst im Rückblick Anlass gegeben. Aus der damaligen Situation heraus gab es keinen Grund, am Funktionieren von Organen wie dem Aufsichtsrat und den Wirtschaftsprüfern zu zweifeln. „Wir müssen uns auf diese institutionellen Voraussetzungen verlassen können“, sagte Röller. „Wir haben die Kanzlerreise vorbereitet, wie wir sie immer vorbereiten.“
Der Abgeordnete Jens Zimmermann (SPD) interessierte sich vor allem für eine E-Mail, in der ein chinesisches Unternehmen sich an Röller wandte, um Kontakt zu Wirecard zu erhalten. Die Schnittstelle sei „die Gattin von Herrn Dr. R.“ - ganz offenbar sei Röller gemeint. Röller selbst gab an, seine Frau sei Hausfrau und erhalte keine finanziellen Leistungen für das Herstellen von Kontakten zwischen chinesischen und deutschen Unternehmen. Der Kontakt sei aber tatsächlich über seine Frau zustande gekommen. Auch wiederholte Nachfragen der Abgeordneten erbrachten keine Antwort auf die „zum Teil eben auch persönliche“ Frage, in welcher Rolle eine Hausfrau den Kontakt zwischen internationalen Unternehmen herstellen wollte.
Hans Michelbach (CSU) wies darauf hin, dass schon der Kauf eines Zahlungsabwicklers wie Allscore in „einem totalitären Staat“ potenziell anrüchig sei. Schließlich sei diese Branche in China Teil der allgegenwärtigen Überwachung. Der Komplex aus Regierung und Wirtschaft erfasse jeden Bezahlvorgang und sammle so Daten zum Privatleben der Bürger.
Röller sagte dazu: Die Öffnung des chinesischen Finanzmarktes sei auch Teil eines Investitionsabkommens, das die EU aktuell mit China abgeschlossen habe. Ein Markteintritt von Wirecard hätte nach damaligem Verständnis ganz der Linie der deutschen Wirtschaftsdiplomatie entsprochen.
Fabio de Masi (Die Linke) fragte noch einmal zur Rolle von Fritsche, der vor seiner Tätigkeit für Wirecard im Kanzleramt für die Nachrichtendienste zuständig war. Später beriet Fritsche die österreichische Partei FPÖ in Geheimdienstfragen. Wirecard soll mit Geheimdiensten weltweit zusammengearbeitet haben. Röller sagte aus, er habe sich seinerzeit nicht darüber gewundert, dass der ehemalige Kollege Kontakt aufgenommen habe. Es gebe viele Kontaktanfragen.