26.01.2021 Arbeit und Soziales — Anhörung — hib 105/2021

Kriegsopferleistungen für ehemalige Waffen-SS-Freiwillige

Berlin: (hib/SAS) Die Forderung der Fraktion Die Linke, ehemaligen Waffen-SS-Freiwilligen nicht länger Kriegsopferleistungen zu gewähren, ist bei Experten zwar grundsätzlich auf Verständnis und Zustimmung gestoßen. Einige Sachverständige äußerten jedoch rechtliche Bedenken hinsichtlich der Umsetzung. Das zeigte eine öffentliche Anhörung im Ausschuss für Arbeit und Soziales unter der Leitung von Matthias W. Birkwald (Die Linke) am Montagnachmittag.

In ihrem Antrag (19/14150) fordert Die Linke die Bundesregierung auf, einen Entwurf zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) vorzulegen, „der darauf abzielt, Leistungen an Personen, die freiwillig der Waffen-SS beigetreten waren, einzustellen“. Die Praxis der Gewährung von Leistungen nach dem BVG an Ausländer, die während des Zweiten Weltkrieges für das NS-Regime gekämpft haben, rufe „in der demokratischen Öffentlichkeit auch des Auslandes Empörung und Besorgnis“ hervor, betont die Fraktion. Die Zahlung von Kriegsopferrenten an die als Kollaborateure angesehenen ehemaligen Waffen-SS-Freiwilligen würden dort als Belohnung für die Kollaboration gewertet.

Diese Auffassung teilte der Historiker Stefan Klemp, der als Einzelsachverständiger geladen war: Der Eindruck, der in Nachbarländern wie Frankreich oder Belgien durch die Kriegsopferrenten für mutmaßliche NS-Täter entstehe, sei „verheerend“. Klemp, der im Rahmen eines Gemeinschaftsprojekts des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales und des Simon Wiesenthal Centers mithalf, rund 70.000 Namen von NS-Tätern zu übermitteln, bei denen eine Entziehung der Kriegsopferrente in Betracht gekommen wäre, zeigte sich enttäuscht, dass dies bis heute nur in 99 Fällen gelungen sei. Der Bundestag könne mit einer Gesetzesänderung „ein Zeichen setzen“, auch wenn dies angesichts der sinkenden Zahl von Leistungsempfängern konkret nicht mehr viel bewirken könne. Umso wichtiger sei es, das Thema weiter zu erforschen.

Für eine Gesetzesänderung sprach sich Andreas Nachama, Rabbiner der Synagogengemeinde Sukkat Schalom, aus: Die Mitglieder der Waffen-SS-hätten sich selbst als Elite empfunden, seien „hochgradig ideologisiert“ gewesen, betonte er. „Wenn sie nun wenigstens noch einmal einen Schreck bekämen und finanzielle Einbußen erleiden müssten, wäre das eine gerechte Form des Umgangs mit ihnen“, sagte der Historiker und langjährige Direktor der Dokumentationsstelle Topographie des Terrors. Der Ausgangspunkt des BVG sei bereits bei seiner Verabschiedung im Jahr 1950 falsch gewesen: „Da ist man allein von der Kriegsverletzung als Voraussetzung für den Versorgungsanspruch ausgegangen.“

Peter J. Anders, Leiter des Fachbereichs Soziale Entschädigung beim Landschaftsverband Rheinland, hob als Erklärung für die vergleichsweise geringe Zahl von Leistungsentziehungen die Schwierigkeit einer nachträglichen Überprüfung von Anschuldigungen hervor. Ob sich ein Leistungsberechtigter durch sein individuelles Verhalten schuldig gemacht habe, sei über 75 Jahre nach Kriegsende für die Verwaltungsbehörden äußerst aufwändig und schwer zu ermitteln, betonte Anders wie zuvor schon Eva Friebel, zuständig für Soziales Entschädigungsrecht beim saarländischen Landesamt für Soziales. „Versorgungsverwaltungen sind keine Strafverfolgungsbehörden.“ Vor diesem Hintergrund sei eine einfachere Regelung, wie von der Linksfraktion vorgeschlagen, sicher „vorzugswürdig“. Ob sie auch mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sei, sei allerdings fraglich.

Diese Zweifel teilte Thomas Kerner, Leiter der Abteilung Soziale Entschädigung des Landesversorgungsamtes Zentrum Bayern Familien und Soziales, in seiner Stellungnahme. Er wies darauf hin, dass der Entzug von Leistungen einen Eingriff in bestehende Rechte darstelle. Dieser könne nicht pauschal mit der Mitgliedschaft in einer Gruppe oder Organisation - auch nicht in einer verbrecherischen, wie der Waffen-SS - begründet werden. Es brauche eine individuelle Prüfung, so Kerner. „Es muss ein konkreter Verstoß gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit, eine individuelle Schuld, nachgewiesen werden.“

Thomas Will, Leiter der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen, erläuterte daran anknüpfend, dass die geforderte Gesetzesänderung eine Umkehrung der Beweislast in „zweifacher Hinsicht“ bedeute. Die Betroffenen müssten beweisen, dass sie nicht gegen Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen hätten und nicht freiwillig Mitglied der Waffen-SS gewesen seien. Dies sei angesichts mangelnder Quellen heute kaum noch möglich - insbesondere nicht durch die Hinterbliebenen. Der Oberstaatsanwalt sprach sich statt einer Änderung des BVG für eine weitere Überprüfung der verbliebenen Leistungsberechtigten aus. Man verfüge heute über deutlich mehr Namenssätze und bessere, EDV-gestützte Instrumente als in den 1990er- und 2000er-Jahren. Dafür brauche es keine neue gesetzliche Regelung: „Die Voraussetzung bietet bereits der gegenwärtige Paragraf 1a BVG.“

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