Lage der Menschenrechte in Vietnam
Berlin: (hib/SAS) Die Bundesregierung ist besorgt über die Lage der Menschenrechte in Vietnam. Die Verurteilung von drei Journalisten und einer Bloggerin wegen „staatsfeindlicher Delikte“ im Januar zu hohen Haftstrafen sei ein weiterer Beleg dafür, dass sich gerade die Lage der Meinungs- und Pressefreiheit in dem südostasiatischen Land weiter verschärfe, sagte ein Vertreter der Bundesregierung am Mittwochnachmittag während einer Unterrichtung im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Schon seit längerem sei zu beobachten, dass die kommunistische Führung des Landes verstärkt gegen Kritiker vorgehe. Vor Beginn des alle fünf Jahre stattfindenden Nationalkongresses der Kommunistischen Partei Vietnams (KPV) am 25. Januar sei es aber zu noch mehr Verhaftungen gekommen als sonst üblich. Diese Entwicklung spiegele sich auch im Pressefreiheits-Index von Reporter ohne Grenzen wider, so der Regierungsvertreter. Hier belege Vietnam Platz 175 von 180. Nach den Printmedien und dem Fernsehen, das traditionell in staatlicher Hand sei, nähmen die Strafverfolgungsbehörden nun zunehmend das Internet und die sozialen Medien ins Visier. Wichtigstes Instrument der Zensur sei das 2019 in Kraft getretene Cybersicherheitsgesetz, erklärte der Vertreter des Auswärtigen Amtes. Eine „10.000 Mann starke Cyberarmee“, die sogenannte Force 47, überwache das Netz und verbreite Staatspropaganda. Menschenrechtsaktivisten, Blogger und deren Familien würden „eingeschüchtert und nach Gutdünken inhaftiert“. 80 Prozent der politischen Häftlinge in Vietnam säßen laut zivilgesellschaftlichen Organisationen inzwischen aufgrund von Aktivitäten in sozialen Medien ein.
Beunruhigend sei zudem, dass die Todesstrafe weiterhin angewandt werde. Recherchen von Nichtregierungsorganisationen zufolge seien zwischen 2013 und 2016 jährlich etwa 150 Todesurteile vollstreckt worden. Offizielle Stellen hingegen gäben die Zahl der Hinrichtungen zwischen Oktober 2018 und Juli 2019 mit 68 an. Grund für die Vollstreckungen seien vor allem Delikte im Bereich Korruption und Drogenhandel. Unter Druck stehe zudem die Religionsfreiheit, so der Außenamts-Vertreter. Zwar schreibe das Religionsgesetz seit 2018 erstmalig Schutzansprüche der Gläubigen gegenüber dem Staat fest. Doch diese gälten nur für Mitglieder einer registrierten Religionsgemeinschaft. Anhänger religiöser Minderheiten wie den buddhistischen Gruppierungen Cao Dai und Hoa Hao, aber auch Mitglieder protestantischer und katholischer Gemeinden seien Opfer staatlicher Repressionen.
Trotz der Kritik von Menschenrechtsaktivisten und Bloggern sei der Einparteienstaat nicht in Gefahr, so die Einschätzung des Regierungsvertreters. Die „Systemfrage“ stelle sich nicht - auch weil es der KPV gelungen sei, die wirtschaftliche Situation vieler Millionen Menschen zu verbessern. Vietnam habe sich in den vergangenen dreißig Jahren von einem der ärmsten Länder der Welt zu einem aufstrebenden Schwellenland entwickelt. Auch die Covid-19-Pandemie scheine es besser als viele andere gemeistert zu haben.
Um sich für rechtsstaatliche Reformen und Menschenrechte gegenüber der vietnamesischen Führung einzusetzen, sei das allerdings keine einfache Situation, räumte der Außenamts-Vertreter ein. Auch die Hoffnung, die Abgeordnete verschiedener Fraktionen in der anschließenden Diskussion äußerten, über das 2019 geschlossene europäisch-vietnamesische Freihandelsabkommen Druck auszuüben, teilte er nicht. Das Abkommen sei erst seit etwas mehr als einem halben Jahr in Kraft - jetzt bereits mit einer Suspendierung zu drohen, empfinde er als „unangemessen“. Die im Zuge des Abkommens ratifizierten Kernarbeitsnormen und damit „geschaffenen Mechanismen“ bräuchten Zeit, um ihre Wirkung zu entfalten. Europas Einfluss sei abgesehen davon auch als Vietnams fünftwichtigster Handelspartner begrenzt. Trotzdem zeigte sich der Vertreter des Auswärtigen Amtes vorsichtig optimistisch, dass sich langfristig die Bedingungen für einen Dialog über Menschenrechte verbessern könnten. Die aktuelle Staatsführung sei zwar geprägt von kommunistischen Hardlinern, doch in den Ebenen darunter gäbe es durchaus pragmatischere, reformorientiere Köpfe. Es brauche „strategische Geduld“.