22.02.2021 Inneres und Heimat — Ausschuss — hib 216/2021

Umgang mit den Sicherheitsgesetzen im Fokus

Berlin: (hib/FLA) Ein Vorstoß der FDP-Fraktion zum Umgang mit den Sicherheitsgesetzen ist von Experten überwiegend zurückhaltend bis kritisch betrachtet worden. Im Ausschuss für Inneres und Heimat ging es bei einer öffentlichen Anhörung unter Leitung von Andrea Lindholz (CSU) um einen Antrag der Liberalen (19/23695), mit dem sie auf eine „Überwachungsgesamtrechnung statt weiterer Einschränkungen der Bürgerrechte“ drängen.

Benjamin Bremert (Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein) legte dar, das Bundesverfassungsgericht habe mit Blick auf die Schaffung neuer Sicherheits- und Überwachungsgesetze auf eine rote Linie hinsichtlich des zulässigen Maßes der Gesamtüberwachung verwiesen. Es habe sich der Begriff der „Überwachungsgesamtrechnung“ etabliert. Er sehe in dem Urteil einen Arbeitsauftrag an den Gesetzgeber zur umfassenden Prüfung der Überwachungsgesamtsituation. Wie der konkret umgesetzt werden könne, müsse ausgearbeitet werden. Davon abgesehen sollte es seiner Meinung nach dem Selbstverständnis eines rechtsstaatlichen Gesetzgebers entsprechen, sich proaktiv für den Schutz von Grundrechten einzusetzen statt erst nach gerichtlichen Entscheidungen im Einzelfall zu reagieren.

Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, betonte, die Sicherheitsbehörden hätten in den letzten Jahren kontinuierlich weitere Befugnisse erhalten. Das Bundesverfassungsgericht habe immer häufiger geurteilt, dass die Vorschriften enger gefasst werden müssten, weil Grundrechte negativ betroffen seien. Ersichtlich müsse es eine Gesetzgebungspraxis geben, die bezüglich der Grundrechte alle Zusammenhänge in den Blick nehme. Bei einer Überwachungsgesamtrechnung seien wissenschaftliche Methoden und empirische Belastbarkeit nötig. Statt vorschnellen Rufen nach neuen Gesetzen, wenn denn ein Ereignis große Aufmerksamkeit erregt habe, sei zuerst eine Bestandsaufnahme notwendig. Abzulehnen seien insbesondere Maßnahmen, die in die Grundrechte eingriffen, ohne wirklich die Sicherheitslage zu verbessern.

Markus Löffelmann von der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung beschrieb, dass der Antrag für die Entwicklung einer Methodik zur Erfassung des gesamten Bestands an sicherheitsbehördlichen Überwachungsbefugnissen und deren Auswirkungen auf den Grundrechtsschutz werbe. Der rechtswissenschaftliche Diskurs zu dieser Thematik mit ihrem hohem Komplexitätsniveau befinde sich noch ganz am Anfang. Der Begriff „Überwachungsgesamtrechnung“ beinhalte derzeit nicht mehr als eine vage Idee und sei ein programmatisches Schlagwort. Er eigne sich nicht, um aktuell notwendige Reformen im Sicherheitsrecht zu suspendieren. Er stelle auch keine Alternative zu notwendigen Grundrechtseinschränkungen dar, könne aber helfen, deren Verhältnismäßigkeit genauer zu bewerten.

Markus Möstl von der Universität Bayreuth setzte sich kritisch mit einer Überwachungsgesamtrechnung auseinander. So seien Teilaspekte dessen, was damit angestrebt werde, seit jeher selbstverständlicher Bestandteil einer grundrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprüfung in Bezug auf jede neue Überwachungsmaßnahme. Der Sachverständige lenkte den Blick auf das im Antrag angesprochene Sicherheitsgesetz-Moratorium, das sich etwa notwendigen Weiterentwicklungen der Überwachungsbefugnisse prinzipiell verschließe, solange bestimmte Bedingungen wie die Etablierung einer Überwachungsgesamtrechnung nicht erfüllt seien. Dies berge die Gefahr einer strukturellen Schutzpflichtverletzung staatlicher Organe infolge einer selbst auferlegten Untätigkeit, sollte es tatsächlich zu neuen Gefährdungslagen kommen, die zusätzliche Maßnahmen erfordern.

Ralf Poscher erläuterte, in seiner Abteilung am Freiburger Max-Planck-Institut zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht werde seit Herbst 2020 ein Konzept erarbeitet, mit dem sich die Überwachungsgesamtrechnung operationalisieren lasse. Es befinde sich noch in einem sehr frühen Stadium. Grundidee sei, einen Weg aufzuzeigen, wie sich eine größere Transparenz in Bezug auf staatliche Überwachungsmaßnahmen herstellen lasse. Am Ende solle ein Überwachungsbarometer erstellt werden, das einen Eindruck von dem Gesamtüberwachungsstatus durch die Sicherheitsbehörden vermittele.

Kyrill Alexander Schwarz (Julius-Maximilian-Universität Würzburg) sah in dem Antrag zunächst eine staatsrechtliche Selbstverständlichkeit, nämlich die Tatsache, dass der Staat zur Rechenschaft gegenüber dem Souverän verpflichtet sei. Im Grunde hätten Gedanken wie der einer Gesamtrechnung durchaus Berechtigung. Sie könnten aber bei ihrer Umsetzung im Einzelfall auf ganz erhebliche Schwierigkeiten stoßen. Das in dem Antrag angestrebte Sicherheitsgesetz-Moratorium begegne durchgreifenden Bedenken, weil es im Ergebnis eine Selbstverpflichtung des Gesetzgebers zur Zurückhaltung begründen solle, die dem Wesen demokratischer Gesetzgebung diametral entgegengesetzt sei. Sowohl aus der Staatsaufgabe Sicherheit als auch aus den grundrechtlichen Schutzpflichten könnten Handlungspflichten des Gesetzgebers folgen, bei denen er bezüglich der Maßnahmen über einen weitreichenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum verfüge.

Marginalspalte