22.03.2021 Haushalt — Anhörung — hib 367/2021

Experten unterstützen EU-Eigenmittelbeschluss

Berlin: (hib/JOH) Das Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz der Bundesregierung (19/26821) zur Finanzierung des mehrjährigen EU-Haushalts 2021 - 2027 und des Aufbauinstruments „Next Generation EU“ (NGEU) ist am Montag, dem 22. März 2021, in einer öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses auf große Zustimmung bei Experten gestoßen. Eine Mehrheit unterstützte den zugrunde liegenden Beschluss des Rates, nach dem die EU-Kommission ermächtigt wird, für den NGEU einmalig und befristet Kredite in Höhe von bis zu 750 Milliarden Euro auf dem Kapitalmarkt aufzunehmen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie europaweit abzufedern.

Zuvor müssen alle nationalen Parlamente in der EU den Ratsbeschluss ratifizieren. Der Bundestag will dies am Donnerstag, dem 25. März 2021, tun. Die FDP-Fraktion hat einen Gesetzentwurf (19/26877) vorgelegt, in dem sie verstärkte Informationsrechte des Haushaltsausschusses für das Next Generation-EU-Programm und die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne der EU-Mitgliedstaaten fordert.

In der zweistündigen Anhörung unter Leitung von Peter Boehringer (AfD) urteilten die Wirtschaftswissenschaftler Lars Feld, Clemens Fuest und Margit Schratzenstaller, der Fonds habe bereits bei seiner Verabschiedung im vergangenen Jahr eine wichtige stabilisierende Wirkung in den Mitgliedstaaten zur Folge gehabt. Nun komme es darauf an, dass die Mittel tatsächlich zur Steigerung der Produktivität und des Produktionspotenzials in den Mitgliedstaaten eingesetzt würden, sagte Feld, der das Walter Eucken Institut an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg leitet. Auch nach Ansicht von Clemens Fuest vom ifo Institut werden die mittelfristigen Wirkungen des Fonds stark von der Mittelverwendung abhängen und von der Frage, ob und wie die nationalen Ausgabenpolitiken angepasst oder weitere wirtschaftspolitische Reformen ausgelöst werden.

Schratzenstaller vom Österreichischen Institut für Wirtschaftsforschung appellierte an die Mitgliedstaaten, ihre nationalen Resilienz- und Aufbaupläne „so schnell wie möglich“ bei der EU-Kommission einzureichen. Von den ökonomischen Effekten des Rettungspakets würden alle Länder profitieren. Céline Gauer von der Task Force Aufbau und Resilienz (RECOVER) des Generalsekretariats der Europäischen Kommission warnte, sollte es zu signifikanten Verzögerungen beim Start des NGEU kommen, würde dies zu einer Fragmentierung des Binnenmarktes und einer Einschränkung der Wettbewerbsbedingungen in der EU führen. Aus ihrer Sicht ist der Nutzen stabiler Liefer- und Wertschöpfungsketten in Europa für Volkswirtschaften wie Deutschland „noch größer, als der Nutzen, der direkt aus dem Fonds gezogen wird“.

Lucas Guttenberg vom Jacques Delors Centre der Hertie School nannte es wünschenswert, die EU mit einem dauerhaften Instrument auszustatten, das bei Bedarf ebenfalls über gemeinsame Anleihen finanziert werden könne. Dies bedürfe jedoch neuer politischer Beschlüsse. Gefragt nach möglichen Risiken des NGEU für den Bundeshaushalt, sagte Guttenberg, er sehe keine „akuten Auswirkungen“. Durch die vorgesehene Rückzahlung über den EU-Haushalt sei das finanzielle Risiko für einzelne Mitgliedstaaten beim NGEU deutlich begrenzt. Auch sei ein möglicher „Zahlungsausfall“ anderer Mitgliedstaaten ein wenig überzeugendes Szenario für eine mögliche Zusatzbelastung. Dass Mitgliedstaaten sich über einen längeren Zeitraum weigerten, ihre Beiträge an den EU-Haushalt abzuführen, sei „unrealistisch“.

Für den Deutschen Gewerkschaftsbund begrüßte Susanne Wixforth den Eigenmittelbeschluss, bemängelte jedoch eine unzureichende „Parlamentarisierung des Prozesses“ und fehlende Mitspracherechte der Zivilgesellschaft und der Sozialpartner bei der Verwaltung der Aufbau- und Resilienzfazilität des NGEU. Bei einem Erfolg sollte das Aufbauinstrument fortgesetzt werden, betonte Wixforth.

Die Forderung der FDP-Fraktion, ein erweitertes, auf den NGEU angepasstes Stellungnahmerecht des Bundestages einzuführen, damit der Gesetzgeber auf die Projektauswahl, Auszahlung und Zielerreichung des Aufbauinstruments Einfluss nehmen kann, stieß bei den Sachverständigen auf ein geteiltes Echo. Thu Nguyen vom Jacques Delors Centre warnte vor einer erheblichen Verlangsamung der Entscheidungsprozesse. Die notwendige Kontrolle sollte einheitlich auf europäischer Ebene durch die Europäische Kommission unter Aufsicht des Europäischen Parlaments erfolgen. Nguyen warf auch die Frage auf, warum nationale Parlamente Vorabkontrollrechte über das Wiederaufbauinstrument erhalten sollten, obwohl sie keine ähnlichen Rechte über Ausgaben im EU-Haushalt haben. Hier liege die Haushaltskontrolle auch „selbstverständlich“ beim Europäischen Parlament.

Clemens Fuest nannte es hingegen sinnvoll, den Bundestag stärker in das Monitoring einzubinden. Das werde auch das Bundesverfassungsgericht „sicher“ vorschreiben, liege doch das Budgetrecht bei den nationalen Parlamenten. Jedoch müssten für die Vorkontrolle klare Fristen gesetzt werden, damit es nicht zu Verzögerungen komme, sagte Fuest.

Laut Klaus-Heiner Lehne vom Europäischen Rechnungshof bestehen noch viele Unsicherheiten in Bezug auf die genaue Umsetzung der Aufbau- und Resilienzfazilität. Beim Europäischen Rechnungshof sei daher zurzeit ein Entscheidungsfindungsprozess im Gange, um genau festzulegen, welcher Prüfungsansatz in Bezug auf das Aufbauinstrument verfolgt werden solle. Angesichts der absehbaren zusätzlichen Arbeitsbelastung habe der Hof außerdem beschlossen, im Rahmen des jährlichen Haushaltsverfahrens einen Antrag auf zusätzliches Personal ab 2022 zu stellen.

Gegen den Eigenmittelbeschluss sprach sich als einziger Experte der Staatsrechtler Karl-Albrecht Schachtschneider aus. Die Politik der Schuldenaufnahme habe „keinerlei Grundlagen in den Gründungsverträgen“, urteilte er, mit dem NGEU würde zudem die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Bundestags verletzt. Falsch sei auch, dass die Kommission sich beim NGEU auf die Ausnahmeklausel in Artikel 122 Absatz 2 der EU-Verträge berufe, die bei Naturkatastrophen und außergewöhnlichen Ereignisse finanzielle Hilfen der Union für einen Mitgliedstaat erlaube. „Die Corona-Pandemie ist keine Naturkatastrophe und sie ist unter finanzwirtschaftlichen Gesichtspunkten auch kein außergewöhnliches Ereignis“, urteilte Schachtschneider. „Schon gar nicht ein solches, das sich der Kontrolle des Staates entzieht“.

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