Pro und Contra zu Weiterentwicklung der StPO
Berlin: (hib/MWO) Um den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung (StPO) und zur Änderung weiterer Vorschriften (19/27654) ging es in einer öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch. In der Sitzung unter Leitung von Ingo Wellenreuther (CDU) bewerteten die als Sachverständige geladenen Vertreter der Rechtsanwaltschaft und der Staatsanwaltschaft den Entwurf in ihren Stellungnahmen unterschiedlich. Mit dem Gesetz sollen Strafverfahren weiter an die sich ständig wandelnden Rahmenbedingungen angepasst werden.
Stefan Conen, Mitglied des Strafrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV), sieht den Entwurf äußerst kritisch. Es handele sich in kurzer Abfolge um den dritten Entwurf dieser Legislaturperiode, der dem Titel nach den Anschein zu erwecken suche, eine kohärente Fortschreibung der Strafprozessordnung für künftige Herausforderungen in Angriff zu nehmen, erklärte Conen in seiner Stellungnahme. Wie den vorhergehenden, gelinge dies auch dem vorliegenden nicht. Konkret lehne der DAV die geplante Anpassung der Belehrungsvorschriften ab, weil sie rechtsstaatlich untauglich sei und dem Beschuldigten nicht den europäischen Mindeststandard garantiere. Ebenfalls abzulehnen sei die vorgesehene Regelung der Geheimhaltung und Zurückstellung von Benachrichtigungen bei Beschlagnahme und Durchsuchung. Änderungen seien bei der Einführung automatisierter Kfz-Kennzeichenabgleichsysteme sowie bei der Ausdehnung des Verletztenbegriffes erforderlich.
Dilken Çelebi vom Deutscher Juristinnenbund (djb) nahm Stellung zu den gleichstellungspolitisch relevanten Teilen des Entwurfs. Die Einführung einer Legaldefinition des Begriffs der „Verletzten“ in der StPO sei ein weiterer wichtiger Schritt zur Umsetzung der EU-Opferschutzrichtlinie. Ebenfalls begrüßt werde die Verbesserung des Schutzes der Zeuginnen und Zeugen, die zugleich Verletzte und deshalb potentiell in größerer Gefahr seien, durch die Änderungen bezüglich der Angaben zu Wohn- und Aufenthaltsort. Der djb bedauere, so Çelebi, dass die Gelegenheit verpasst worden sei, die erwachsenen Verletzten eines sexuellen Übergriffs und von Partnerschaftsgewalt mit einem Anspruch auf kostenfreie anwaltliche Vertretung und psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren auszustatten.
Auch Christoph Knauer, Vorsitzender des Ausschusses Strafprozessrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, sprach sich für Änderungen am Entwurf aus. Er sei „Flickwerk“, und der ursprünglich angedachte große Wurf, den es gebraucht hätte, bleibe aus. Knauer betonte die Notwendigkeit der Wahrung der Beschuldigtenrechte. Eingriffe und Gesetzentscheidungen seien gegen diese Rechte abzuwägen. Die StPO bleibe Magna Carta des Beschuldigten; einseitige, verkürzte und unterkomplexe Begründungen für Änderungen verböten sich vor diesem Hintergrund. So begegne die Einführung der Zurückstellung der Benachrichtigung des Beschuldigten erheblichen Bedenken. Damit werde mit dem Prinzip gebrochen, dass spätestens mit einer Zwangsmaßnahme das Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten transparent zu machen ist, um ihm Rechtsschutz zu ermöglichen.
Ali Norouzi, wie Conen Mitglied des DAV-Strafrechtsausschusses, schickte seinem Statement voraus, dass er angesichts des Entwurfs für ein „Pizza-mit-Allem-Gesetz“ nicht in Rechtsstaatspessimismus verfallen wolle. Viele Kritikpunkte seien bereits angesprochen worden, deshalb wolle er die Regelung zur Revisionsbegründungspflicht hervorheben, die der einzige Lichtblick des Entwurfs sei. Hier nähere sich der Entwurf dem Vorschlag des DAV an, berge aber Risiken.
Gerwin Moldenhauer, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, begrüßte das mit dem Regierungsentwurf verfolgte Ziel, das Strafprozessrecht in einer Vielzahl von Einzelaspekten behutsam zu modernisieren. Hervorzuheben sei, dass der Entwurf insbesondere wichtige neue Ermittlungsinstrumente wie beispielsweise die retrograde Auskunft von Postdienstleistern oder die automatische Kennzeichenerfassung biete und bestehende Instrumente nachjustiere. Ausdrücklich zu begrüßen sei, dass der Gesetzgeber im Begriff sei, die Benachrichtigungspflicht auf richterliche Anordnung zurückstellen zu lassen, sofern der Untersuchungszweck gefährdet wäre, eine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise wesentlich erschwert oder aussichtslos wäre.
Oberstaatsanwalt Alexander Ecker von der Generalstaatsanwaltschaft München bemängelte, dass die Schaffung einer Befugnisnorm für die Abfrage von Sendungsdaten bei Postdienstleistern zur Bekämpfung des organisierten Handels mit illegalen Waren nicht weit genug gehe. Die Einführung einer Befugnis der Strafverfolgungsbehörden zur automatischen Erhebung von Fahrzeugkennzeichen sei viel zu eng gefasst und der praktische Anwendungsbereich damit äußerst begrenzt.
Auch Bernard Südbeck, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Osnabrück, unterstützte die geplante Zurückstellung der Benachrichtigung des Beschuldigten. Durch die angestrebte Neuregelung werde eine Regelungslücke, die bisher zu großen Problemen bei der Ermittlung von Straftaten der Kinderpornografie, dem Drogenhandel und zahlreichen Delikten im Darknet führe, sachgerecht geschlossen, erklärte er in seiner Stellungnahme. Zu begrüßen seien auch die weiteren Regelungen zur Verbesserung der Arbeit der Ermittlungsbehörden. Aus der Sicht von Axel Isak, Leitender Oberstaatsanwalt bei der Staatsanwaltschaft Baden-Baden, sind einige dieser Regelungen noch diskussionsbedürftig.