19.04.2021 Familie, Senioren, Frauen und Jugend — Anhörung — hib 512/2021

Expertinnen fordern mehr Forschung zu Einsamkeit

Berlin: (hib/AW) Das Thema Einsamkeit bedarf einer grundlegenden Erforschung und einer Anti-Stigmatisierungskampagne. Dies war das einhellige Votum von sieben Expertinnen in einer öffentlichen Anhörung des Familienausschusses am Montag. Die Sachverständigen unterstützten damit einen FDP-Antrag (19/25249), der die Grundlage für die Anhörung bildete.

Die Psychologin Susanne Bücker von der Ruhr-Universität Bochum wies darauf hin, dass Einsamkeit über die gesamte Lebensspanne auftreten könne. In Deutschland litten Millionen Menschen durch alle Altersgruppen unter Einsamkeit. Allerdings seien vor allem junge Erwachsene und Menschen im hohen Lebensalter besonders oft von Einsamkeit betroffen beziehungsweise gefährdet. Ein weiteres Risiko für Einsamkeit stelle Armut dar. Und umgekehrt könne Einsamkeit ein höheres Armutsrisiko darstellen. Ein spezifischer Stadt-Land-Unterschied lasse sich nicht feststellen. Allerdings würden Menschen in Regionen, in denen es an niedrigschwelligen Freizeitangeboten mangele oder die durch eine starke Bevölkerungsfluktuation geprägt seien, sehr viel häufiger angeben, dass sie unter Einsamkeit leiden.

Maike Luhmann, ebenfalls Psychologin an der Ruhr-Universität, wies darauf hin, dass es in Deutschland an belastbaren Daten und Grundlagenforschung zum Thema Einsamkeit mangele. Zudem müsste die Arbeit der wenigen Forscher auf diesem Gebiet besser vernetzt werden. Die Politik müsse sich des Themas verstärkt annehmen. Einsamkeit stelle ein gesundheitliches Problem dar, dass auch wirtschaftlichen Schaden hervorrufe. In Nordrhein-Westfalen habe der Landtag deshalb im vergangenen Jahr eine Enquete-Kommission zu der Problematik eingesetzt, der sie selbst angehöre, berichtete die Expertin.

Die Sozialpädagogin Severine Thomas von der Universität Hildesheim betonte, dass sich bei Jugendlichen das Problem der Einsamkeit in der Corona-Pandemie deutlich verschärft habe. Auffällig sei, dass dies unabhängig von den Haushaltsformen sei, in denen die Jugendlichen leben. Einsamkeit habe für Jugendliche sehr oft auch eine politische Dimension. Gerade in der Corona-Pandemie würden viele Jugendliche ihre Interessen in der Politik nicht vertreten sehen. Es mangele an Partizipationsmöglichkeiten, sagte Thomas. Die Gesundheitspsychologien Sonia Lippke von der Jacobs University Bremen führte aus, dass während der Pandemie mitunter schon die Kommunikation der Behörden zu Kontaktbeschränkungen und Quarantänemaßnahmen das Problem vergrößern könne. So sei es falsch, vom „social distancing“ zu sprechen. Es gehe um körperliche, nicht um soziale Distanz.

Elke Schilling vom Verein Silbernetz und Sabrina Odijk vom Malteser Hilfsdienst machten deutlich, dass ältere Menschen verstärkt direkt angesprochen werden müssten auf das Problem. Besonders gut gelinge dies durch die aufsuchende Hilfe von Ehrenamtlichen. Ältere Menschen seien öfter gesundheitlich bedingt in ihrer Mobilität eingeschränkt oder könnten die digitalen Informations- und Hilfsangebote nicht wahrnehmen. Marion von zur Gathen vom Paritätischen Gesamtverband forderte in diesem Zusammenhang, den Zugang für ältere Menschen zur digitalen Welt zu verbessern. Zugleich warnte sie davor, darin ein Allheilmittel sehen zu wollen. Digitalisierung könne das Problem von Einsamkeit auch verschärfen, wenn sich der Kontakt zu anderen Menschen auf den digitalen Raum begrenze. Man könne ein Smartphone zwar umarmen, aber diese Umarmung werde eben nicht erwidert.

Alle Expertinnen forderten einhellig, das Problem der Einsamkeit von seinem Stigma zu befreien. Dafür wären Informationskampagnen nötig. Menschen dürften nicht das Gefühl des Versagens haben, wenn sie unter Einsamkeit leiden.

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