07.05.2021 3. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 622/2021

Anwalt von Wirecard sieht sich von Vorständen getäuscht

Berlin: (hib/LL) Erst auf massiven Druck der Abgeordneten des 3. Untersuchungsausschuss („Wirecard“) und nach zwei Sitzungsstunden hatte am Donnerstag, 6. Mai 2021, die Geschäftsführung von EY Deutschland die Geheimhaltung der für die Befragung des ersten Zeugen benötigten Dokumente aufgehoben, so dass Christian Muth, Forensiker bei der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY, in öffentlicher Sitzung dem Gremium Rede und Antwort stehen konnte. Auch der zweite Zeuge des Vernehmungstages, der Anwalt der insolventen Wirecard AG Franz Enderle, trug dazu bei, Lücken in dem komplexen Puzzle rund um den Bilanzbetrug zu schließen.

Er sei 2016 von Wirecard angesprochen worden, das Unternehmen gegen angebliche Marktmanipulationen zu verteidigen, berichtete Enderle. Er habe dann 2017 direkt an die Münchner Staatsanwaltschaft berichtet. Das Verhältnis des renommierten Münchner Anwalts zur Oberstaatsanwältin Bäumler-Hösl bei der Staatsanwaltschaft München I interessierte die Abgeordneten besonders. Er habe ein langjähriges, vertrauensvolles Arbeitsverhältnis zu Bäumler-Hösl gepflegt. „Frau Bäumler-Hösl kenne ich seit Mitte der 2000er Jahre.“

Die von Wirecard so wahrgenommenen Bedrohungen habe man sehr ernst genommen. In der Kanzlei habe man damals an die Geschichte seines Mandanten geglaubt. Und „die Dinge, wie ich sie gesehen habe“, an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Er habe Bäumler-Hösl die akute, bedrohliche Situation geschildert. „Ich sortiere nicht aus. Ob die Dinge gefälscht waren, weiß ich nicht. Ich kann dem Mandanten nicht unterstellen, dass er mir gefälschte Dinge liefert.“ Im Nachhinein aber fühle er sich von den ehemaligen Wirecard-Vorständen Jan Marsalek und Markus Braun getäuscht.

Allerdings sei es nicht etwa so, dass von ihm oder der Oberstaatsanwältin die Idee ausgegangen sei, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zu dem im Februar 2019 erlassenen Leerverkaufsverbot für Wirecard-Papiere zu drängen, versicherte Enderle. „Ich war in die Erwirkung des Leerverkaufsverbots nicht eingebunden. Das Thema war kein Gesprächsgegenstand zwischen Frau Bäumler-Hösl und mir.“ Der Ursprung dieser Maßnahme sei vielmehr innerhalb der BaFin zu suchen.

Die Ausschussmitglieder wollten wissen, ob er sich Gedanken gemacht habe, was an der kritischen Berichterstattung der „Financial Times“ gegenüber Wirecard dran sein könne, wie es sein konnte, dass die Staatsanwaltschaft statt gegen die Richtigen gegen investigative Journalisten ermittelt habe, die dann massiv bedroht wurden, und ob er überlegt habe, das Mandat für Wirecard niederzulegen.

In erster Linie habe man sich seinem Mandanten verpflichtet gefühlt. Am Ende seien dann von den ehemaligen Hauptgesprächspartnern der Wirecard-Geschäftsführung die eine nicht mehr zu sprechen gewesen, einer in Haft und der andere auf der Flucht gewesen. Und seitdem sitze an deren Stelle der Insolvenzverwalter. Man schätze sich.

Bei den beiden ganz unterschiedlichen Delikten aber, einerseits der vermuteten Beeinflussung von Kursen von außen mithilfe journalistischer Berichterstattung oder den viel zitierten „Zatarra Reports“ und andererseits der Bilanzmanipulation durch Wirecard selbst, sei man eben zunächst der Geschichte von Wirecard aufgesessen. Noch bis Herbst 2019 aber habe niemand genug in der Hand gehabt, was auch nur im Ansatz einen strafrechtlichen Anfangsverdacht beispielsweise gegen die Wirecard-Spitze begründet hätte, führte Enderle aus. Der Jahresabschluss 2018 reichte dafür nicht aus. Und seine Aufgabe sei es ja auch nicht gewesen, Material gegen seinen Mandanten zu sammeln.

Eines seiner Spezialgebiete seien Bilanzen und Jahresabschlüsse, so Enderle. Er habe dann zunächst abgewartet. „Ich wusste ja, dass da Prüfer dran waren. Und bin nicht auf die Idee gekommen, dass da größere Geldbeträge nicht vorhanden waren.“ Jede Bilanz weise Ungenauigkeiten in einer gewissen Bandbreite auf. „Aber um den Vorwurf der Bilanzfälschung zu erheben, brauchen Sie eine gewisse Größenordnung. Wenn dann aber 1,9 Milliarden auf den Philippinen nicht existieren...“

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