Belarus: Zahl der Minderjährigen in Haft gestiegen
Berlin: (hib/SAS) Die Bundesregierung zeigt sich alarmiert über die verschärften Repressionen gegen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten und andere Akteure der Zivilgesellschaft in Belarus. „Wir erleben eine Menschenrechtskrise präzedenzlosen Ausmaßes“, sagte der Michael Roth (SPD), Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt, am Mittwochnachmittag im Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe.
Präsident Alexander Lukaschenko unterdrücke inzwischen jede „noch so zurückhaltende Kritik an der Staatsführung“. Büros von Menschenrechtsorganisationen würden durchsucht, Anwälte verlören ihre Lizenzen, Medienanstalten ihre Akkreditierung, so Roth. Als „schweren Schlag gegen den unabhängigen Journalismus“ bezeichnete der Staatsminister die Abschaltung der Medienplattform Tut.by. Mindestens 15 Journalisten der Redaktion befänden sich in Haft oder unter Hausarrest. Der Spielraum für die Zivilgesellschaft werde immer kleiner.
Die jüngsten Verschärfungen im „Administrativkodex“ und im Strafgesetzbuch des Landes vollzögen jedoch eigentlich nur rechtlich, was „was schon lange Fakt war“, betonte Roth. Nichtregierungsorganisationen sprächen zurecht von einem „rechtsstaatlichen Kollaps“: Die Schwere der Verurteilungen habe zugenommen, so der Staatsminister. Das Strafrecht werde verstärkt genutzt, um Menschen mundtot zu machen. Die Bilanz: 470 politische Gefangene und mehr als 35.000 Menschen, die seit Beginn der Proteste im August 2020 Strafen im Gefängnis abgesessen hätten. 1.000 Personen seien inzwischen angeklagt und 700 verurteilt worden. Mehr als 1.000 Fälle von Folter seien zudem aktenkundig, mindestens vier Menschen im Zusammenhang mit den Protesten gestorben.
Als „besonders skandalös“ verurteilte Roth den Umgang mit Minderjährigen. Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes habe sich bereits im vergangenen Jahr besorgt über die hohe Inhaftierungsrate, unangemessene Haftbedingungen und den mangelnden Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung geäußert. Die Lage habe sich seitdem verschlechtert, so der Staatsminister. „Der Sicherheitsapparat scheut sich nicht, Minderjährige festzunehmen, anzuklagen und Eltern Sorgerechtsentzug bei Fehlverhalten ihrer Kinder anzudrohen.“ Das gelte auch für Schüler, die auf die Straße gegangen seien, um gegen die Regierung zu protestieren, betonte Roth. Laut Menschenrechtsorganisationen befänden sich bis zu 200 Minderjährige unter den bei Demonstrationen willkürlich Festgenommen.
Vor diesem Hintergrund verfolgten Deutschland und die EU eine Doppelstrategie aus Druck auf das Regime und Unterstützung für die Zivilgesellschaft: Roth nannte als Beispiel die nach der „erzwungenen Flugzeugumleitung“ im Mai verhängten Sanktionen gegen 91 Personen und Organisationen. Weitere wirtschaftliche und finanzielle Sanktionen seien in Vorbereitung. Zudem verwies Roth auf ein Programm der Bundesregierung zur Unterstützung der Zivilgesellschaft, das neben anderen Maßnahmen auch eine erleichterte Einreise für Verfolgte und ihre engsten Familienangehörigen ermögliche. 21 Millionen Euro stünden zur Verfügung, um etwa unabhängige Medien und Journalisten zu unterstützen, so der Staatsminister. Auch die Dokumentation und Archivierung begangener Straftaten werde so mitfinanziert. Deutschland arbeitet laut dem Auswärtigen Amt mit 18 Staaten zusammen, um langfristig eine strafrechtliche Verfolgung in Belarus oder in Drittstaaten zu ermöglichen.
In der anschließenden Diskussion zeigte sich ein Vertreter der CDU/CSU-Fraktion skeptisch, ob Sanktionen ausreichten. Auch die FDP-Fraktion forderte mehr Unterstützung der EU für Polen angesichts der Spannungen zwischen Warschau und Minsk. Die polnische Minderheit in Belarus stehe unter Druck, die Angst sei groß, sagte ein Abgeordneter. Während die AfD-Fraktion dafür plädierte, das Gespräch mit Russland zu suchen, um auf Belarus einzuwirken, drang die SPD auf eine stärkere Einbeziehung von internationalen Gremien wie dem Europarat. Die Linke kritisierte das EU-Flugverbot für belarussische Fluggesellschaften: Damit werde den Menschen nur die Flucht erschwert, ein „Mehrwert“ lasse sich nicht erkennen, so ein Fraktionsmitglied. Nach der Haltung der Bundesregierung zur Forderung nach einem internationalen Tribunal gegen Lukaschenko, welche die belarussischen Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja erhebt, fragte schließlich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.