29.04.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 290/2024

GIZ-Rückzug aus Afghanistan war zunächst nicht vorgesehen

Berlin: (hib/CRS) Nach Tanja Gönner hat der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan am Donnerstag auch Thorsten Schäfer-Gümbel, als Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ), befragt. Er erläuterte, aus welchen Gründen und auf welche Weise die GIZ vorhatte, nach dem Abzug der Truppen weiter in Afghanistan zu bleiben, und warum sie nicht mit dem Fall Kabuls gerechnet hatte. Der Ausschuss untersucht den Zeitraum zwischen der Unterzeichnung des Doha-Abkommens zwischen der USA und den Taliban zum Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan in Februar 2020 und dem Fall Kabuls in August 2021.

Laut Schäfer-Gümbel arbeitet die GIZ in vielen Ländern, „in denen die Militärs entweder noch nicht oder nicht mehr da sind“ und habe darin eine „enorme Erfahrung“. Daher habe auch in Afghanistan ein Rückzug der GIZ nicht zur Debatte gestanden. Der Zeuge räumte jedoch ein, dass man die Lage damals falsch analysiert habe. „Wir haben eher mit einem Bürgerkrieg gerechnet als mit der kompletten Übernahme der Macht“, sagte er. Man habe ein Szenario für wahrscheinlich gehalten, in dem die Macht zwischen den Taliban und der gewählten Regierung geteilt worden wäre.

Es habe Überlegungen gegeben, was passiert wäre, „wenn wir eine längere Phase operativ handlungsunfähig sind.“ Teil der Überlegung sei dann auch gewesen, unter welchen Rahmenbedingungen die nationalen Mitarbeiter das Land nicht verlassen würden. So sei die Idee entstanden, die Ortskräfte finanziell in die Lage zu versetzen, mit solch einer Phase umzugehen. Dass dieses finanzielle Angebot in der Öffentlichkeit „Bleibeprämie“ genannt wurde, sei ein Punkt, der ihn emotional aufwühle, so Schäfer-Gümbel.

Als dann am 15. August 2021 die Hauptstadt Kabul in die Hände der Taliban fiel, sei die GIZ für eine Evakuierung der Ortskräfte nicht vorbereitet gewesen. Eine Evakuierung der Ortskräfte sei damals gesetzlich nicht vorgesehen gewesen. Das offizielle Ortskräfteverfahren (OKV) schreibe vor, dass jeder Mitarbeiter, der eine Gefahrenanzeige stelle, den Nachweis erbringen muss, dass die Bedrohung unmittelbar mit der Arbeit zu tun hat, die er für deutsche Organisationen erbracht hat, sagte Schäfer-Gümbel.

Andererseits seien sich er und der damalige Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Martin Jäger darin einig gewesen, dass das OKV im „absoluten Krisenfall“ keine Lösung sei. Dies zu ändern, sei eine politische Entscheidung gewesen, welche die GiZ nicht habe treffen könne, betonte Schäfer-Gümbel. „Wenn das Bundesunternehmen GiZ sich nicht an gesetzlichen Vorgaben hält, wer sonst?“, fragte er.

Der „absolute Krisenfall“ sei mit dem Fall Kabuls eingetreten, sagte der frühere SPD-Politiker. Daraufhin sei am 15. August zunächst fernmündlich die Entscheidung gekommen, von der individuellen Prüfung der Ortskräfte zu pauschalen Listenverfahren zu übergehen. Diese sei zwei Tage später auch schriftlich vom Bundesinnenministerium bestätigt worden. Danach sei die GIZ ihrer Fürsorgepflicht nachgekommen, indem sie 1.358 Mitarbeiter und ihre Familien evakuiert habe. Insgesamt seien es bislang mehr als 30.000 Menschen gewesen. Er könne Kritik der Ortskräfte nachvollziehen, führte Schäfer-Gümbel aus, aber die GIZ hätte sich an die Regeln gehalten.

Zu später Stunde hat der Ausschuss am Donnerstagabend auch eine damalige Unterabteilungsleiterin im BMZ vernommen, die neben anderen Länder auch für Afghanistan verantwortlich war. Auch sie bestätigte, dass das BMZ in vielen Krisenländern unterwegs sei und dass die Organisation genau das auszeichne. „Wir wollen mit der Bevölkerung zusammenarbeiten und sie nicht allein lassen“, sagte sie.

Im Untersuchungszeitraum habe es die Überlegung gegeben, mit den Taliban direkt Gespräche zu führen. Vorschlag des Auswärtigen Amtes (AA) sei gewesen, dass das BMZ den Taliban vermittle, was Entwicklungszusammenarbeit bedeute. Laut der Zeugin sei das zwar mit Risiken verbunden gewesen, aber nicht ins Gespräch zu kommen, sei auch keine Lösung gewesen. Ein Gespräch sei letztlich aber nie zustande gekommen.

Mit dem Hinweis darauf, dass man bis zum Sommer 2021 höchstens 70 Gefahrenanzeigen erhalten habe und keine Tötungen aufgrund einer unmittelbaren Beschäftigung im Rahmen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit bekannt geworden seien, erklärte die Zeugin, dass es objektiv gesehen damals zunächst keine latente Gefährdung der Ortskräfte in Afghanistan gegeben habe.

Dennoch hätte man dafür gesorgt, dass die Mitarbeiter ihre Pässe hatten und eine Liste der am meisten gefährdeten Ortskräfte erstellt wurde, um sie im schlimmsten Fall als erstes außer Landes zu bringen. Die Zeugin lobte außerdem die Arbeit der Bundeswehrsoldaten während der Evakuierung. Nach einem Telefonat hätten diese unter Lebensgefahr das Flughafen-Gelände verlassen, um dort ankommende Menschen reinzuholen.

Die Entscheidung der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), den Kreis der Aufnahmeberechtigten auch auf die Ortskräfte des BMZ auszuweiten, habe das Ministerium in Schwierigkeit gebracht, erinnerte sich die Zeugin. Denn dadurch sei die Zahl der zusageberechtigten Ortskräfte von ungefähr 1.600 auf eine fünfstellige Anzahl gestiegen.

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