21.05.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 339/2024

Nato diskutierte intensiv über eine Nachfolgemission

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan hat vergangene Woche den ehemaligen Leiter der Abteilung Politik im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Detlef Wächter, befragt. Wie der Zeuge konstatierte, konnte das bis dahin Aufgebaute nicht ordentlich zurückgelassen werden, und das habe mit dem raschen Abzug der USA aus Afghanistan zu tun gehabt. Der Ausschuss untersucht die Zeit zwischen dem Abschluss des Doha-Abkommens, mit dem die USA und die Taliban den Abzug internationaler Truppen regelten, und der chaotischen Evakuierungsoperation am Flughafen Kabul Mitte August 2021.

Laut Wächter, er war politischer Berater der damaligen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kamp-Karrenbauer (CDU), habe das BMVg immer einen geordneten Abzug bevorzugt. Doch Doha sei mit einem Verfallsdatum versehen und daher der Anfang des Endes gewesen. In den Augen des Zeugen war es „ein Verhandlungsprodukt, mit dem man sehr schwer umgehen konnte aber umgehen musste - mit erheblichen Schwierigkeiten.“

„In together, out together“ sei zwar ein strapaziertes Motto, aber gleichzeitig auch mehr als das, sagte der Wächter, man dürfe damit nicht leichtfertig umgehen. Dann fügte er hinzu: „Ein vorzeitiger Abzug wäre für uns kein gangbarer Weg gewesen. Deshalb haben wir den Abzug in der Nato gemeinsam beschlossen.“

Danach sei in der Allianz intensiv über eine Nachfolgemission nachgedacht worden, erinnerte sich Wächter. Auch Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg habe diese Option immer wieder thematisiert. Er selbst sei der Meinung gewesen, dass die internationale Gemeinschaft in Afghanistan weiter eine Rolle spielen sollte, wenn es die Situation hergebe, so der Zeuge. Aber der Zeitablauf habe einen Strich durch die Rechnung gemacht. Als im Sommer 2021 die ersten konzeptionellen Überlegungen diskutiert wurden, sei es zum Durchmarsch der Taliban und den Ereignissen am Flughafen Kabul gekommen.

„Ich war nicht eng an Doha dran“, berichtete der 58-jährige, aber auch in seinen Gesprächen sei es nicht ausgeschlossen worden, dass die Taliban sich zu einer Verhandlungslösung bewegen lassen könnten, auch wenn die Hoffnung nicht mehr so groß gewesen sei wie vor Doha.

„Der Knackpunkt war der definitive Abzugsdatum“, so Detlef Wächter: „Wir hatten den Eindruck, dass die Taliban sich damit zurücklehnen konnten. Einen größeren Gefallen hätte man den Taliban nicht tun können.“

Dass die militärische Lage prekär gewesen sei, sei allen klar gewesen, teilte der Zeuge mit, „denn wir kannten die vitale Rolle der Amerikaner für die afghanischen Truppen und auch für unseren Einsatz.“ Seine Auffassung sei jedoch gewesen, dass durch die hochprofessionelle Ausbildung der afghanischen Streitkräfte ein Patt hätte erreicht werden können. Man habe auf eine inklusive Regierung mit Beteiligung der Taliban gehofft.

Der Afghanistan-Sonderbeauftragte der Bundesregierung Markus Potzel habe den Taliban zu Verstehen gegeben, dass Doha „time based“ sei, aber im Text auch anderes stünde, sie Teil einer Regierung werden könnten, die keine Paria-Regierung wäre, diplomatische Kontakte habe und im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit auch finanziell unterstützt werde. „Diesen Verhandlungsweg mussten wir gehen“, sagte Wächter, sonst wäre die Konsequenz ein Abzug über Nacht gewesen.

Dass die US-Botschaft in Kabul schließlich evakuiert wurde, habe er nicht aus seinen, sondern aus öffentlichen Kanälen erfahren. Damit sei klar geworden, dass dies keine Phase gewesen sei, in der Deutschland über jeden amerikanischen Schritt in „gewünschter Detailliertheit“ informiert wurde: „Wir haben nicht genau gewusst, was passiert. Wir haben uns so stark abgestimmt, wie es ging.“

So sei der Druck auf die Bundesregierung gewachsen, die deutschen Staatsbürger, die Ortskräfte und weitere gefährdete Personen zu evakuieren. Am 12. August sei klar gewesen, dass eine robuste Aktion geplant werden musste, denn nachdem Kandahar eingenommen worden war, habe es Anzeichen dafür gegeben, dass die Taliban auch Kabul stürmen würden.

In dieser dramatischen Situation im August habe sich sein „kurzer Draht“ zur Ministerin Kamp-Karrenbauer ausgezahlt, erklärte Wächter und fügte hinzu: „Es gab eine sehr schnelle Absprache mit ihr.“ Innerhalb von 36 Stunden sei ein unterschriftsreifer Mandatsentwurf vorbereitet gewesen. Kamp-Karrenbauer habe darauf bestanden, ihn selbst dem Bundeskabinett vorzulegen. Drei Tage später sei die Evakuierungsmission vom Bundestag mandatiert worden.

Zu der Diskussion darüber, warum die Vereinfachung des Ortskräfteverfahrens so lange gedauert hat, sagte Wächter, man habe sich im BMVg gewünscht, dass man sich schneller durchsetzen könnte. Das sei aber die Realität in einer Koalitionsregierung. Wächter betonte, dass es der Ministerin Kamp-Karrenbauer ein Bedürfnis gewesen sei, dass sie den Menschen, die mit Deutschland kooperierten, nach „unserem Abzug“ die Sicherheit zu geben, nicht der Rache der Taliban ausgesetzt zu werden.

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