10.06.2024 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 394/2024

Über die Evakuierung gab es Konsens in der Bundesregierung

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan setzte seine Arbeit vergangene Woche mit der Befragung zwei weiterer Zeuginnen fort. Der Ausschuss untersucht die Ereignisse zwischen dem Abschluss des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban im Februar 2020, das den Rückzug internationaler Truppen regelte, und der chaotischen Evakuierung auf dem Flughafen Kabul im August 2021.

Die damalige Gruppenleiterin Außen- und Sicherheitspolitik des Bundeskanzleramtes (BKAmt) erläuterte vor dem Ausschuss, wie das Amt und die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel versuchten, auf die Entwicklungen um Afghanistan einzuwirken. So habe Merkel mit dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump telefoniert und versucht dafür zu werben, dass der Erfolg der innerafghanischen Friedensgespräche zur Kondition des Abzugs gemacht wird. Die Bundesregierung habe sich eine inklusive Regierung in Afghanistan gewünscht. Doch schon vor dem Abschluss des Abkommens sei es nicht einfach gewesen, Informationen über den Inhalt zu bekommen.

Auch gegenüber Trumps Nachfolger Joe Biden habe Merkel den Wunsch der Bundesregierung ins Gespräch gebracht und gehofft, dass er sich das Abkommen wieder anschaut. Aber Biden sei bereits früher dem Afghanistan-Einsatz mit Skepsis begegnet. Die US-Öffentlichkeit sei zu diesem Zeitpunkt ebenfalls sehr skeptisch gewesen. Daher sei man sich darüber im Klaren gewesen, dass die Spielräume sehr eng gewesen seien.

In dieser Zeit habe die Bundesregierung sich auch bemüht, eine aktive Rolle in Afghanistan einzunehmen. „Wir haben uns immer wieder gefragt, was ist die aktive Rolle“, berichtete die Zeugin. Die Bundesregierung habe sich ins Gespräch gebracht und darauf verwiesen, dass Norwegen, das sich ebenfalls eine aktive Rolle wünschte, unterstützen könne.

Zu den chaotischen Tagen im August 2021 gab die Zeugin an, dass sie an allen Gesprächen außer den Kabinettsitzungen, teilgenommen habe. Das BKAmt nehme an diesen Runden teil, um den neuesten Informationsstand zu erfahren. Das Wort bekämen jedoch jene, „die ganz nah dran sind.“

In diesen Gesprächen hätten sich die operativen Schritte in Konsens ergeben. Schon am 13. August sei die Vorbereitung für eine Evakuierungsmission eingeleitet worden. Ein Krisenunterstützungsteam hätte nach Kabul geschickt werden sollen. Die Lage habe sich zu diesem Zeitpunkt immer weiter zugespitzt, aber es sei unklar gewesen, ob Kabul fallen würde.

Außerdem sei diskutiert worden, ob für die Evakuierung ein neues Mandat notwendig gewesen wäre. Nach Meinung der Zeugin sei das juristisch nicht der Fall gewesen, weil das damals vorhandene Mandat auch diese Mission gedeckt habe. Dennoch habe man sich darauf geeinigt, ein neues Mandat zu holen. Das sei schnell geschehen. Bei der Krisenstabssitzung am 15. August sei der Text schnell bearbeitet und am Folgetag dem Kabinett vorgelegt worden.

Als letzte Zeugin hörten die Ausschussmitglieder Claudia Warning, die damals noch die Abteilung im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) geleitet hatte, die unter anderem auch für Asien zuständig ist. Warning betonte, wie dynamisch die Lage in Afghanistan im August 2021 gewesen sei.

Aus Sicht der Zeugin sei in der Frage, wie mit den Ortskräften zu verfahren sei, das BMZ benachteiligt gewesen. Denn die Erweiterung des Berechtigtenkreises des Ortskräfteverfahrens auf die Ortskräfte, die ab 2013 für deutsche Organisationen und Institutionen gearbeitet haben, sei für diejenigen, die im Bereich Entwicklungszusammenarbeit tätig waren kaum zu bewältigen gewesen. Warning rechnete dem Ausschuss vor, dass dann nahezu 50.000 Menschen aufnahmeberechtigt werden würden, was mit dem vorhandenen Personal nicht zu bearbeiten gewesen sei. „Wir wollten die Ungleichbehandlung verhindern“, sagte sie.

Außerdem habe das BMZ seine Arbeit in Afghanistan fortsetzen wollen. „Wir haben sehr frühzeitig überlegt, wie wir mit unseren Projekten umgehen sollten“, sagte Warning. Das BMZ sei von einem „Power sharing“-Szenario ausgegangen, in dem die Taliban sich an der Macht beteiligen würden.

Daher sei überlegt worden, mit den Taliban ins Gespräch zu kommen und ihnen zu erklären, wie die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) funktioniere. Das sei auch „common sense“ in der Gebergemeinschaft gewesen. Um zumindest zu versuchen, das, was in 20 Jahren aufgebaut wurde, zu erhalten, wollte man den Gotteskriegern klarmachen, dass EZ nur unter bestimmten Bedingungen möglich wäre. dazu gehörten eine legitime und inklusive Regierung und keine Unterstützung für Terrororganisationen.

Das BMZ habe vorgehabt, die EZ dann in Zusammenarbeit mit den Nichtregierungsorganisationen (NGO) und den Vereinten Nationen weiterzuführen. Bis heute würden sie „aus der NGO-Szene Rückmeldungen kriegen, dass sie weitermachen wollen“.

Marginalspalte