11.09.2024 Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz — Ausschuss — hib 594/2024

Lemke will gefälschte Klimaschutzprojekte rückabwickeln

Berlin: (hib/SAS) Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Bündnis 90/Die Grünen) hat den Umweltausschuss in einer von der CDU/CSU-Fraktion beantragten Sondersitzung am Mittwochmorgen über den Stand der Aufklärung des Betrugsverdachts bei Upstream-Emissions-Reduction-Projekten, kurz UER-Projekten, in China informiert.

Demnach hat sich offenbar der Verdacht eines Betrugs bei solchen Klimaschutzprojekten, welche Unternehmen der Mineralölindustrie zur Erreichung ihrer gesetzlich vorgegebenen Klimaziele in Deutschland nutzen, erhärtet. Im Fall von acht Projekten, über deren Freischaltung das Umweltbundesamt (UBA) als zuständige Behörde bis Ende August zu entscheiden hatte, wurde diese aufgrund gravierender rechtlicher und technischer Ungereimtheiten nicht genehmigt.

Die mutmaßlichen Betrugsfälle bei UER-Projekten hätten das Vertrauen in eine solche Regulierung und das Erreichen von Klimazielen untergraben, erklärte Lemke im Ausschuss. Das bereits zu Zeiten der Großen Koalition geschaffene UER-Anrechnungssystem habe sich als intransparent und betrugsanfällig erwiesen. Daher habe ihr Ministerium es mit Wirkung zum 1. Juli beendet. Neue UER-Projekte könnten nicht mehr angemeldet werden, sagte die Umweltministerin. Der Stopp sei nötig gewesen, da das System aufgrund seiner Struktur nicht zu kontrollieren gewesen sei.

Im Fall von sieben der acht Projekte seien die Anträge auf Freischaltung von den durchführenden Unternehmen selbst zurückgezogen worden, nachdem das UBA sie mit den Vorwürfen konfrontiert habe, erklärte Lemke. Selbst internationale Unternehmen mit großen Compliance-Abteilungen hätten die Ungereimtheiten zunächst nicht erkannt. Das spreche für die Vielschichtigkeit der mutmaßlich bewussten Täuschung.

Aus den acht Projekten seien keine neuen UER-Zertifikate in den Markt gelangt und auf die Treibhausgasminderungsquote (THG-Quote) angerechnet worden. Auch für 2023 seien keine Zertifikate ausgestellt worden. Laut dem UBA sei so verhindert worden, dass unberechtigte UER-Zertifikate im Umfang von 159.574 Tonnen CO2-Äquivalente in den Markt gelangt sind.

Weitere kritische Fälle würden untersucht, um mutmaßliche Betrugsfälle aufzudecken, betonte Lemke. Wo verwaltungsrechtlich möglich, müssten gefälschte Projekte auch rückabgewickelt und der entstandene Klimaschaden kompensiert werden. Gefälschte UER-Nachweise abzuerkennen, sei grundsätzlich möglich, aber mit hohen rechtlichen Hürden verbunden, heißt es zudem in einem Bericht des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) vom 9. September. In einem Fall sei dies aber bereits erfolgt.

Bei den Ermittlungen werden Ministerium und UBA von einer internationalen Anwaltskanzlei unterstützt, welche Projekte in China auch vor Ort untersucht. Insgesamt gibt es laut Angaben des UBA weltweit 75 UER-Projekte, 66 davon in China. Einem Vertreter der Anwaltskanzlei zufolge stehen 45 dieser Projekte in China unter Verdacht, dass sie einem Schattenvertragssystem angehören. Elf Projekte seien unverdächtig, bei zehn Projekten sei die Untersuchung noch nicht abgeschlossen, so der Kanzleimitarbeiter.

Von den 45 verdächtigen Projekten seien 13 vollkommen abgeschlossen. 32 hingegen liefen noch. Kontroll- und Korrekturmaßnahmen der Verordnung zur Anrechnung von Upstream-Emissionsminderungen auf die Treibhausgasquote (UERV) könnten angewendet, die Nachweise damit auch zurückgenommen werden. Das entspreche etwa vier Millionen Tonnen CO2-Äquivalente, so der Vertreter der Anwaltskanzlei im Ausschuss. Es sei also nicht alles verloren. Im Fall der 13 abgeschlossenen Projekte müsse man die strafrechtlichen Ermittlungen abwarten, ergänzte ein Mitarbeiter des UBA.

Die Staatsanwaltschaft Berlin ermittelt aktuell dem UBA zufolge gegen 17 Personen wegen des Verdachts des gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Betruges. Bei den Beschuldigten handelt es sich um die Geschäftsführer und Mitarbeitende von Prüfstellen, die an der Verifizierung UER-Projekten beteiligt gewesen sein sollen. Gegen die Beschuldigten bestehe der Anfangsverdacht, die zuständigen Mitarbeitenden des UBA hinsichtlich der Existenzverschiedener Klimaschutzprojekte getäuscht zu haben.

Vertreter von Unionfraktion und AfD-Fraktion warfen der Umweltministerin hingegen Versagen bei Zulassung von UER-Projekten vor. Die Aufklärung von Unregelmäßigkeiten sei zudem nur schleppend in Gang gekommen, so ein Mitglied der Union. Wenn das System bekannt für seine Fehleranfälligkeit gewesen sei, warum habe man bei der Änderung der UER-Verordnung im Mai nicht auch die Prüfqualität erhöht und insbesondere die Prüffrist verlängert?

Ein AfD-Abgeordneter vertrat die Meinung, das UBA habe über Google-Satellitenbilder und Luftaufnahmen überprüfen können, ob es die zu zertifizierenden UER-Anlagen überhaupt gebe. Die Gruppe Die Linke verwies auf ähnlich gelagerte Betrugsfälle und kritisierte das System von Ausgleichsprojekten grundsätzlich. Statt einem Handel mit C02-Zertifikaten müsse es um reale Emissionsminderungen gehen.

SPD und FDP drangen ebenfalls auf weitere Aufklärung. Auch andere Bereiche wie etwa die Zertifizierung von Wasserstoff müssten in den Blick genommen werden, damit sich solche Betrugsfälle nicht wiederholten.

Lemke trat der Kritik entgegen: UER-Projekte seien im Prinzip durchaus für Klima- und Umweltschutz sinnvoll, da damit unter anderem so genannte Fackelungen auf Ölbohrtürmen, die Begleitgase bei der Förderung von Erdöl vor Ort verbrennen, abgestellt würden. Doch Betrügereien wären per Google keineswegs aufzudecken gewesen, betonte auch der Vertreter der Anwaltskanzlei. China würde Google gar nicht die Möglichkeiten dazu geben. Generell agierten chinesische Behörden restriktiv insbesondere gegenüber Ausländern und ausländischen Sachverhalten. Relevante Informationen erhalte man nur über spezielle Kanäle oder durch Gespräche vor Ort.

Bei der laufenden Novellierung der THG-Quotengesetzgebung im Rahmen der Umsetzung der neuen Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU (RED III) flössen die Erkenntnisse aus den mutmaßlichen Betrugsfällen ein, bekräftigte Lemke. Dennoch gab aber zu bedenken, dass der Markt für THG-Quoten komplex sei, auch aufgrund der verschiedene Erfüllungsoptionen. Es sei eine Herausforderung, hier ohne eine überbordende Bürokratie für Sicherheit zu sorgen. Das sei aber nicht nur für das Erreichen der Klimaziele relevant, sondern auch für das Vertrauen in staatliches Handeln.

Mehr zum Thema:

BMUV-Informationen zum Umgang mit Betrugsverdachtfällen: https://www.bmuv.de/faq/wie-wurde-mit-blick-auf-den-betrugsverdacht-bei-uer-projekten-gehandelt

Hib-Meldung zur Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1009786

Hib-Meldung zur Antwort der Bundesregierung: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-1013338

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