Ortskräfte hatten für Kramp-Karrenbauer Priorität
Berlin: (hib/CRS) Nach der Vernehmung des ehemaligen Generalinspekteurs der Bundeswehr, Eberhard Zorn setzte der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan am vergangenen Donnerstag seine Arbeit mit der Befragung des ehemaligen Staatssekretärs im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), Gerd Hoofe, fort. Später folgte der Staatssekretär Benedikt Zimmer aus demselben Ministerium. Beide Staatssekretäre, die sich im Untersuchungszeitraum gegenseitig vertreten hatten, gaben detaillierte Auskunft über operative und politische Aspekte der Evakuierungsoperation. Der Ausschuss beschäftigt sich mit der Zeit zwischen dem Doha-Abkommen im Februar 2020 und der militärischen Evakuierung aus dem Flughafen Kabul im August 2021.
Staatssekretär a.D. Hoofe unterstrich bei seiner Aussage vor dem Ausschuss, dass die militärische Evakuierung nicht ad hoc geschehen sei, sondern es bereits Planungen für eine schnelle und robuste Evakuierung gegeben habe. Bereits im April 2021 seien die „Szenarien verdichtet worden.“
Das BMVg habe die Erweiterung des Berechtigtenkreises für das Ortskräfteverfahren durchgesetzt. Die damalige Ministerin Annegret Kramp-Karrenbauer habe immer wieder auf die besondere Verantwortung gegenüber den afghanischen Ortskräften und ihren Familien hingewiesen, sagte Hoofe: „Für sie war das die höchste Priorität.“ Sein Ministerium habe sich außerdem für die Vereinfachung des Ortskräfteverfahrens (OKV) eingesetzt und eine schnelle und unbürokratische Aufnahme befürwortet, berichtete der ehemalige Staatssekretär. Die anderen Ressorts hätten andere Interessen gehabt. So habe das BMI vor allem Sicherheitsaspekte im Blick gehabt. Das AA und BMZ hätten darüber hinaus darauf Wert gelegt, dass nicht durch eine frühzeitige Evakuierung von Ortskräften „Pull-Effekte“ verursacht würden.
Die Unterscheidung im OKV zwischen direkten Mitarbeitern deutscher Institutionen und Mitarbeitern von Subunternehmern sei seiner Meinung nach nicht sinnvoll, antwortete Hoofe auf entsprechende Nachfrage. Für das BMVg sei das einzig entscheidende Kriterium gewesen, ob die Tätigkeit der Ortskraft, die mit der Bundeswehr zu tun gehabt hatte, zu einer eigenen Bedrohung geführt habe. Das sei beispielsweise bei den Mitarbeitern des Mediencenters der Fall gewesen, die formal für ein Subunternehmen arbeiteten.
In der Nacht vom 12. auf den 13. August sei die Nachricht gekommen, dass die USA Truppen zum Flughafen Kabul verlegten. Da sei klar gewesen, dass die eigenen Evakuierungspläne so schnell wie möglich umgesetzt werden müssten. Dabei sei jedem klar gewesen, dass es in erster Linie um die deutschen Staatsangehörigen, aber auch um Personen von Partnernationen und so weit wie möglich um die Ortskräfte und Repräsentanten der Zivilgesellschaft ging.
Hoofe lobte die Vorbereitung und Ausführung der Operation. Die deutschen Kräfte seien neben den US-Amerikanern und den Briten die ersten in Kabul gewesen. In der Rückschau glaube er jedoch, dass man es noch besser hätte machen können.
Aufgrund der öffentlichen und politischen Debatte darüber, was in einer derartigen Operation geschehen müsse, habe er es für notwendig gehalten, diesen Prozess aufzuarbeiten. Daher habe er, um alle Dokumente über die gesetzlichen Vorschriften hinaus zu sichern, ein Löschmoratorium erlassen, teilte Hoofe mit.
Staatssekretär Benedikt Zimmer hob die Differenzen zwischen den verschiedenen Ressorts in der Frage der Ortskräfte hervor. „Das BMVg war daran interessiert, das OKV so zu gestalten, dass wir unseren Ortskräften die Ausreise ermöglichten“, sagte er und fügte hinzu: Das Auswärtige Amt (AA) sei jedoch nicht daran interessiert gewesen, dass Ortskräfte in großer Zahl nach Deutschland kämen. „Denn sie wollten Afghanistan auch nach dem Abzug der deutschen Truppen weiterhin unterstützen.“ Auch das BMZ habe darauf gedrängt, nach dem Abzug die Fortführung der Entwicklungszusammenarbeit sicherzustellen.
Nachdem die Unterzeichner im Februar 2020 im Doha-Abkommen beschlossen hatten, dass die internationalen Truppen bis zum 1. Mai 2021 das Land verlassen würden, hätten die Taliban die Zusage gemacht, nicht gezielt gegen die internationalen Truppen vorzugehen. Andererseits seien die innerafghanischen Friedensgespräche intensiv gewesen, machte Zimmer deutlich.