Stresstests unterschiedlich bewertet
Berlin: (hib/FLA) )Stresstests waren ein beherrschendes Thema, als der 2. Untersuchungsausschuss Zeugen aus der Nuklearwirtschaft zum Umgang der Regierung mit den drei verbliebenen deutschen Kernkraftwerken nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 27. Februar 2022 befragte. Mehrere solcher Tests mit immer schärferen Parametern hätten die Sicherheits-Bewertungen des Ministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV) und des Ministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) bestimmt, erklärte Tim Meyerjürgens, Vorstandsmitglied und Chief Operating Officer von TenneT TSO, einem der vier deutschen Netzbetreiber. Sie waren beteiligt, als die Szenarien durchgespielt wurden.
Um den schon vor dem russischen Angriff begonnenen Anstieg der Gaspreise sei es gegangen, um einen ungewöhnlich trockenen Frühsommer mit Transportbehinderungen für die Kohlekraftwerke und um die im europäischen Netzverbund spürbaren Auswirkungen der zeitweisen Abschaltung französischer Kernkraftwerke. In diesem Zusammenhang sei auch durchgespielt worden, die Atomkraftwerke Isar 2, Neckarwestheim II und Emsland weiterzubetreiben, obwohl sie eigentlich per Gesetz zum Jahresende hätten stillgelegt werden müssen.
„Wir haben die Parameter in die Höhe gespielt, erinnerte sich Meyerjürgens bei der Sitzung unter der Leitung von Stefan Heck (CDU). Eine Möglichkeit: Abschalten, aber als Reserve vorhalten. Eine andere: Streckbetrieb, also Verlängerung der Laufzeit. Darauf habe er gesetzt, sagte Meyerjürgens. Ein “durchaus hilfreicher Aspekt„ sei das gewesen. Für ihn wäre der Weiterbetrieb “ein überschaubarer Beitrag, aber ein Beitrag„ gewesen. Allerdings veröffentlichten die beiden Ministerien am 7. März 2022 einen gemeinsamen “Prüfvermerk„, in dem unter anderem aus Gründen der nationalen Sicherheit an der Abschaltung festgehalten wird.
Im Ausschuss ging es auch darum, welche Rolle Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dabei gespielt haben könnte. Bei der Sitzung wurde eine angebliche Vorgabe von ihm an die mit den Szenarien ebenfalls befasste Bundesnetzagentur erwähnt: Es dürfe nicht der Eindruck entstehen, der Grüne Habeck habe beim Grünen Klaus Müller, dem Präsidenten der Agentur, ein Wunschpapier bestellt. Darauf ließ sich bei ihrer Zeugenvernehmung eine Mitarbeiterin Müllers im Referat “Versorgungssicherheit Strom„ nicht ein. Nach ihrer Wahrnehmung habe das Ergebnis der Lageanalysen zuvor nicht festgestanden. Die Auswirkungen der Abschaltungen seien für Deutschland überschaubar gewesen. Für den Schritt habe es “keine eindeutige Notwendigkeit„ gegeben.
Dass er zu der Thematik erst gar nicht befragt wurde, darüber hatte sich Jörg Harren, Geschäftsführer der Urenco Deutschland GmbH, gewundert, bekundete er als Zeuge. Es seien offenbar von den Ministerien sehr wenig Fragen an die Nuklearindustrie gestellt worden. Er hätte sonst darstellen können, dass sein Unternehmen mit entsprechendem Verfahren kurzfristig mehr angereichertes Uran für Brennstäbe hätte liefern können. Dabei hätten die drei letzten deutschen Kernkraftwerke für sein Unternehmen ohnehin nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Er verwies auf den “deutschen Sonderweg„ bei der Nutzung der Kernenergie und sprach von einem “ideologisch geprägten Prozess„. Konfrontiert mit der Behauptung, die weltweiten Uranvorräte reichten nur noch 20 Jahre, meinte er: “Quatsch mit Soße„. Uran komme viel häufiger vor als etwa Gold. Es gebe auch keine Abhängigkeit von Russland. Es liefere 20 Prozent dieses Metalls.