15.01.2025 2. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 24/2025

Lemke hielt kurzzeitige Laufzeitverlängerung für hinnehmbar

Berlin: (hib/HLE) Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hat Darstellungen widersprochen, dass ihr Ministerium eine Verlängerung des Betriebs der letzten drei deutschen Kernkraftwerke über das vorgesehene Abschaltdatum Ende 2022 hinaus von vornherein abgelehnt habe. Bei ihrer Vernehmung durch den 2. Untersuchungsausschuss unter Leitung des Vorsitzenden Stefan Heck (CDU) am Mittwoch sagte die Ministerin, sie habe im Februar 2022 eine Bewertung angefordert, unter welchen Bedingungen ein Weiterbetrieb der Kernkraftwerke möglich sei. Die Fachebene ihres Ministeriums habe nie formuliert, dass kein Weiterbetrieb möglich sei, sondern habe Bedingungen, Voraussetzungen und Notwendigkeiten formuliert. Auch habe der Abteilungsleiter im Ministerium, Gerrit Niehaus, den von der Fachebene erstellten Vermerk nicht umgeschrieben. Das hätte sie nie akzeptiert. Der Abteilungsleiter habe dem Vermerk eine Einschätzung hinzugefügt, die auf den Ausstiegsbeschluss von 2011 zurückgehe, wonach das Restrisiko nur für eine gewisse Zeit tragbar sei.

Lemke erklärte, die Sicherheitslage für Kernkraftwerke habe sich in der Zeit danach nicht verbessert - im Gegenteil. Der Ukraine-Krieg habe erstmals gezeigt, dass Atomanlagen unmittelbar von kriegerischen Handlungen betroffen sein könnten. Sie sprach in der Vernehmung mehrfach den Beschuss des Kernkraftwerks Saporischschja in der Ukraine an. Lemke bezeichnete die Risiken der Kernkraft als enorm. Sie reichten weit über Saporischschja hinaus, wie der Fall der japanischen Atomanlage Fukushima zeige.

Grundsätzlich erklärte Lemke, es sei ihre Aufgabe, das geltende Atomgesetz einzuhalten und umzusetzen. Den Willen des Gesetzgebers könne sie nicht nach Gutdünken ändern oder interpretieren. 2011 sei im Atomgesetz festgehalten worden, dass das Restrisiko der Atomkraft nur noch für bestimmte Zeit hinnehmbar sei. Damals sei gesagt worden: Das Risiko sei so groß, dass man es nur noch eine begrenzte Zeit tragen wollte. Das hätten auch die Kraftwerksbetreiber so gesehen, sagte sie mit Blick auf die von den Betreibern abgelehnte Laufzeitverlängerung. Laut Lemke war dies ein Ausschlusskriterium für eine langjährige Laufzeitverlängerung gewesen. Eine langjährige Laufzeitverlängerung sei auch deshalb ausgeschlossen gewesen, weil die Betreiber erklärt hätten, sie seien nur zu einer langjährigen Laufzeitverlängerung bereit, wenn der Staat die Haftung übernehme.

Außerdem hätten die Betreiber weitere Bedingungen gestellt wie eine Reduzierung der Prüftiefe. Bei Mängeln hätten sie einen Verzicht auf Nachrüstungen verlangt. Das wären Abstriche an der nuklearen Sicherheit gewesen. Das sei für ihr Ministerium nicht verhandelbar gewesen. „Für mich steht als Umweltministerin die nukleare Sicherheit an erster Stelle“, erklärte Lemke.

Im Sommer 2022 habe das Risiko eines großflächigen Blackouts nicht ausgeschlossen werden können, berichtete Lemke. Die bayerische Staatsregierung habe die Möglichkeit eines großflächigen Blackouts in den Raum gestellt. Im Endeffekt sei man in der Bundesregierung nach Abwägung aller Risiken zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Verlängerung der Laufzeiten der letzten drei Kernkraftwerke um dreieinhalb Monate möglich sei. Dass die Brennelemente für diese Zeit noch ausreichen würden, sei im Frühjahr noch nicht von den Betreibern kommuniziert worden. Die Kabinettsbefassung über eine Laufzeitverlängerung habe sich verzögert, weil die FDP zunächst neben dem Weiterbetrieb der drei noch aktiven Kernkraftwerke auch das Wiederanfahren von zwei bereits stillgelegten Anlagen verlangt hatte.

In einem Telefonat habe ihr Bundeskanzler Olaf Scholz später seine Richtlinienentscheidung mitgeteilt, die Laufzeit um dreieinhalb Monate zu verlängern, berichtete die Ministerin. Dem habe sie auch unter dem Aspekt der nuklearen Sicherheit zugestimmt. Sie bezeichnete den gesamten Entscheidungsprozess als völlig transparent.

Angesprochen auf den Vorschlag von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), die letzten Atomkraftwerke in einen Reservebetrieb zu nehmen, sagte die Ministerin, Habecks Idee der Einsatzreserve stamme aus dem Atomgesetz von 2011, sei aber damals schon umstritten gewesen. Der Vorschlag sei dann 2022 geprüft worden. Für die energiewirtschaftliche Bewertung sei das Bundeswirtschaftsministerium zuständig gewesen. Das Umweltministerium habe die atomare Sicherheit zu bewerten gehabt. Es habe intensive Beratungen darüber gegeben. Die ersten Vorschläge hätten noch nicht der atomaren Sicherheit entsprochen. Nach Veränderungen der Vorschläge sei der Reservebetrieb technisch nicht mehr von dem schließlich auf den Weg gebrachten Streckbetrieb zu unterscheiden gewesen.