12.05.2022 Sport — Ausschuss — hib 234/2022

Ausschuss berät über Spitzensportreform

Berlin: (hib/MIS) Der Leistungs- und Spitzensport in Deutschland ist in der Krise. Obwohl der Bund zur Umsetzung der Spitzensportreform seine Fördermittel von 167 Millionen Euro im Jahr 2016 kontinuierlich auf 373 Millionen Euro heute angehoben hat, ist bei den Olympischen Sommerspielen ein konstanter Medaillen-Abwärtstrend zu verzeichnen: Barcelona 1992 - 82 Medaillen; Atlanta 1996 - 65 Medaillen; Tokio 2021 - 37 Medaillen. Am Mittwoch befasste sich der Sportausschuss unter anderem auf der Grundlage schriftlich eingereichter Berichte vom zuständigen Innenministerium und betroffener Verbände mit der „Umsetzung und Zukunft der Spitzensportreform“.

Ziel des gemeinsamen Konzepts vom damaligen Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) und dem Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) zur „Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung“ aus dem Jahr 2016 ist es, „den Spitzensport zukünftig erfolgreicher zu machen, Erfolgspotenziale für Podiumsplätze bei Olympischen, Paralympischen und Deaflympischen Spielen, Weltmeisterschaften und World Games zu erkennen und gezielter zu fördern.“

Das BMI merkte in seiner Stellungnahme zum anhaltenden Abwärtstrend kritisch an, im bestehenden Sportfördersystem stelle sich „die essentielle Frage, welche Effektivität (Grad der Zielerreichung) und welche Effizienz (Input-Output-Relation/Nutzen der eingesetzten Steuermittel) mit den vorhandenen institutionellen Ressourcen erreicht werden können und sollen. Ziel müsse es sein, ein professionelles Steuerungsmodell zur Spitzensportförderung zu erarbeiten.

Die im Jahr 2017 geschaffene Potenzialanalyse-Kommission (PotAS-Kommission) ist Teil dieses Prozesses. Sie hat ein System entwickelt, das es ermöglichen soll, eine objektive und transparente Bewertung der Potenziale in den olympischen Disziplinen, die für eine perspektivische Leistungserbringung relevant sind, vorzunehmen. Die eigene betreffend führte die PotAS-Kommission am Mittwoch aus: “PotAs als singuläre Maßnahme (wird) keine Trendumkehr im Medaillenspiegel bewirken können. Allerdings kann PotAS als Ausgangspunkt für begründete Entscheidungen und Maßnahmen herangezogen werden.„

Der DOSB erklärte, Leistungssport wie bisher als Kombination aus Nachwuchsleistungssport und Spitzensport definieren zu wollen. “Ein erfolgreicher Spitzensport setzt einen erfolgreichen Nachwuchsleistungssport voraus.„ Der DOSB bewertete das Konzept zur Neustrukturierung des Leistungssports und der Spitzensportförderung sehr differenziert. Eine vom DOSB in Auftrag gegebene und im November 2021 veröffentlichte Deloitte-Analyse kam bei der Bewertung des Konzepts und der Spitzensportförderung zu dem Ergebnis: Das Konzept zur Leistungssportreform und die derzeitige Spitzensportförderung wird von der Mehrheit der Beteiligten eher positiv betrachtet, die Umsetzung wird aber in Teilen als noch unzureichend betrachtet.

Der Athleten Deutschland e.V kritisierte das Konzept als ein “Potpourri an Maßnahmen„, deren Umsetzungsstand und Wirkungsgrad teilweise nicht bewertbar seien. Grund dafür sei, dass der Reform “von Beginn an ein transparenter Maßnahmenplan fehlte und eine regelmäßige Berichterstattung zu den erfolgten Umsetzungsschritten ausblieb„.

Einen Vorschlag für einen solchen Maßnahmenplan, an dem sich Fortschritte messen ließen, legte das Institut für angewandte Trainingswissenschaft (IAT) am Mittwoch vor. So identifizierte das IAT vier Merkmale, die nach internationalen Analysen des IAT die Entwicklung erfolgreicher Leistungssportsysteme in den letzten Jahren maßgeblich geprägt haben:

1. Gesellschaftlicher Konsens zur Spitzensportförderung/ zur gesellschaftlichen Einordnung des Leistungssports: Unter der Maßgabe, dass die Neustrukturierung der Leistungssportförderung neben der reinen Spitzensportförderung durch den Bund vielfältige gesellschaftliche Bereiche tangiert, ist es not-wendig, Klarheit zu einer in Deutschland akzeptierten gesellschaftlichen Einordnung des Leistungssports zu erreichen: Welchen Leistungssport will man in Deutschland, warum will man ihn beziehungsweise welche gesellschaftlichen Akzente will man mit diesem für Deutschland setzen? Eine solche gesellschaftliche Einordnung steht noch aus.

2. Es braucht eine klare und akzeptierte Zielstellung: In der Regel klar definierter Erfolg auf internationaler Ebene mit entsprechenden Wirkungen auf die eigene Bevölkerung: Auf diese Zielstellung sind alle Maßnahmen der Leistungssportförderung auszurichten. Eine solche Zielsetzung fehlt in dem Konzept Neustrukturierung.

3. Die Spitzensportförderung ist auf eine erfolgreiche Leistungsbilanz auszurichten: Bei der Neustrukturierung der Spitzensportförderung stand bisher vor allem das Bemühen um die Transparenz des Fördermitteleinsatzes und damit das Finden einer “Förderschablone„ im Vordergrund. Diese soll die Förderung auf der Grundlage einer nationalen Analyse der Sportarten bzw. Disziplinen (PotAS) und davon abgeleitet einer Gewichtung der Sportarten im nationalen Vergleich ermöglichen. - Die Leistungsbilanz resultiert jedoch aus dem Messen deutscher Athlet*innen und Trainer*innen, der Sportarten, der deutschen Verbände und damit auch des gesamte deutsche Leistungssportsystems im internationalen Vergleich. Entsprechend der übergeordneten Zielstellung und unter Berücksichtigung der durch PotAS getätigten Analysen muss die strategische und am Weltstand ausgerichtete Planung für eine erfolgreiche Leistungsbilanz sportartspezifisch wie auch für den deutschen Spitzensport insgesamt erfolgen.

4. Leistungssportsteuerung von einer Stelle aus - durch fachlich anerkannte Experten, mit Vertrauen der Finanziers, Eigenständigkeit und Entscheidungsfreiheit: International erfolgreiche Leistungssportsysteme treiben die Ausprägung einer von einer Stelle effizient gesteuerten und koordinierten Leistungssportförderung voran. Diese Stelle besitzt in der Regel hohe, im Sportsystem anerkannte fachliche Expertise, Vertrauen der Finanziers und agiert eigenständig. In Deutschland gibt es gegenwärtig eine zweigleisige Steuerung: Auf der einen Seite die Steuerung über die Förderung des Spitzensports durch das BMI und auf der anderen Seite eine sportfachliche Steuerung durch den DOSB. Diese Zweigleisigkeit erschwert die Umsetzung des Konzepts Neustrukturierung von Beginn an immens.

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