04.07.2022 Sport — Anhörung — hib 345/2022

Anhörung zur Fußball-WM in Katar

Berlin: (hib/MIS) Es hat sich einiges geändert in Katar - aber es ist längst nicht gut. Das war der Tenor der öffentlichen Anhörung zur Fußball-Weltmeisterschaft 2022 in Katar im Sportausschuss. Die Endrunde des Fifa-Turniers findet wegen der hohen Temperaturen im umstrittenen Gastgeberland erstmals im Winter statt. Der Wüstenstaat steht wegen Menschenrechtsverletzungen international immer wieder in der Kritik.

Heike Ullrich, Generalsekretärin des Deutschen Fußball-Bundes, erklärte den Abgeordneten, dass und warum ein Boykott des Turniers aus Sicht des DFB nicht richtig gewesen wäre. Die Vergabe der WM an Katar könne zwar in vielerlei Hinsicht als problematisch erachtet werden, insbesondere im Hinblick auf Menschenrechte und Nachhaltigkeit. „Im Sinne des Sports, der Sportler und Fans hätte man sich eine andere Entscheidung vorstellen können“, hatte sie in ihrer schriftlichen Stellungnahme festgestellt. Man habe sich aber bei der Abwägung von Chancen und Risiken entschieden, gemeinsam mit anderen teilnehmenden Verbänden zu versuchen, Einfluss auf die Situation vor Ort zu nehmen, zum Beispiel das Gespräch mit NGOs und Wanderarbeitern zu suchen, nach deren Problemen, Beschwerden, Wünschen zu fragen, ein Motor von Entwicklung zu sein und dabei die Potenziale für eine nachhaltige und positive Entwicklung im Ausrichterland im Blick zu haben. „Nach Ansicht des DFB ist es von besonderer Bedeutung, einen vertrauenswollen und regelmäßigen Austausch mit zivilgesellschaftlichen Interessenvertretungen und den für die Menschenrechtspolitik der Bundesrepublik zuständigen staatlichen Akteuren zu pflegen, um Problemfelder zu adressieren und gemeinsam Handlungsoptionen zu erarbeiten“, so Ullrich.

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete und Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfe im Auswärtigen Amt, Luise Amtsberg, thematisierte die potenzielle Doppeldeutigkeit der Vergabe eines Sport-Großereignisses an repressive Regime: Auf der einen Seite böten internationale Sportgroßveranstaltungen ein Potenzial für die Förderung des weltweiten Menschenrechtsschutzes und für Verbesserungen vor Ort. So könnten internationale Aufmerksamkeit, Öffnung und Dialog die Anerkennung und Einhaltung von Menschenrechtsnormen im Gastgeberstaat positiv beeinflussen. Auf der anderen Seite zeigten die Erfahrungen, dass repressive Regime solche Ereignisse nutzen, um Menschenrechtsverletzungen über die hohe Präsenz an internationalen politischen Gästen zu legitimieren. Amtsberg zieht daraus den Schluss, bei der Vergabepraxis müsse es für die Zukunft „dringlich ein Umdenken“ geben. Angesichts der menschenrechtlichen Defizite Katars hätte die Fußball-WM im Jahr 2010 niemals an diesen Staat hätte vergeben werden dürfen. Zukünftig müssen sich Vergabeprozesse strikt nach den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte richten, forderte Amtsberg.

Auch Katja Müller-Fahlbusch, Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International in Deutschland, zeichnete ein differenziertes Bild. Amnesty International habe seit über zehn Jahren in zahlreichen Berichten weitverbreitete und systematische Verletzungen von Rechten von Arbeitsmigranten und -migrantinnen untersucht, sowie Verletzungen der Rechte von Frauen, von LGBTI-Personen sowie der Rechte auf Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit dokumentiert.

Nach fortwährender Kritik habe die katarische Regierung im Jahr 2017 schließlich ein Abkommen mit der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) geschlossen, in dem sich Katar zu weitreichenden Reformen im Bereich der Arbeitsgesetzgebung und insbesondere zur Reform des als Kafala bezeichneten Vormundschaftssystems verpflichtet hat. In der Folge wurde eine Reihe von Reformen angestoßen, die durchaus transformatorischen Charakter haben könnten - wenn sie denn umfassender umgesetzt würden, sagte Müller-Fahlbusch. Nach den ersten Fortschritten in den Jahren 2018 - 2020, habe man 2021 jedoch ein Nachlassen des Reformfortschrittes festgestellt. In Teilen seien durch Untätigkeit der katarischen Regierung sogar bereits erreichte Fortschritte rückgängig gemacht worden. Innerhalb der katarischen Wirtschaft formiere sich zunehmend Widerstand gegen die Reformen, aus Sorge Einfluss und Profitmöglichkeiten zu verlieren. Dennoch bleibe festzuhalten, dass Katar das einzige Land in der Region sei, das überhaupt solche Reformen angestrengt habe. Müller-Fahlbusch forderte die Fifa auf, ein umfassendes Entschädigungsprogramm für sämtliche Menschenrechtsverletzungen, die seit 2010 in unmittelbaren Zusammenhang zur Fußball-Weltmeisterschaft geschehen sind, aufzusetzen. Ein solcher Schritt könnte Signalwirkung haben und ein echter Wendepunkt für die Fifa werden.

Rechte für Wanderarbeitnehmer, Mindestlohn ohne Diskriminierung, Abschaffung des Kafala-Systems, neue Arbeitsschutzpolicy - die Bau- und Holzarbeiter-Internationale (BHI), ein globaler Gewerkschaftsbund mit weltweit 12 Millionen Mitgliedern, nehme die Gesetze und Bestimmungen des katarischen Arbeitsrechts anerkennend zur Kenntnis, wie Dietmar Schäfers, BIH-Vizepräsident mitteilte. Ja, die Umsetzung der Reformen erfolge schleppend, der Prozess hinke enorm, „das muss man beklagen“, sagte Schäfers - stellte aber sogleich heraus, dass das Land in der Region „ein Leuchtturm“ sei. Es gab und gebe zu oft eine Kluft zwischen den Gesetzesänderungen und ihrer Umsetzung, selbst bei einigen der grundlegenden rechtlichen Änderungen, die von der Regierung beschlossen wurden und für alle Arbeitsmigranten gelten. Aber bei aller berechtigten Kritik erkenne die BHI die Bemühungen von Katar die Situation der Arbeitsmigranten zu verbessern an und setze weiterhin auf Diplomatie und schrittweise Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen.

Einen ganz anderen Fokus hatte Sebastian Sons vom Center for Applied Research in Partnership with the Orient (CARPO), der den Blick weiten, die geopolitische Relevanz Katars herausstellen und die e Rolle erklären wollte, die Katar in der Welt spielt. Danach verfolge Katar drei Ziele: Sich als verlässlicher Partner präsentieren (als wichtiger Exporteur von Flüssigerdgas, in der Entwicklungszusammenarbeit und bei humanitärer Hilfe); eine Marke zu werden, und bei allem Tun und Lassen im Blick zu behalten, dass es der Legitimität und Macht des Herrschers dient - und als diplomatische Plattform wahrgenommen zu werden (als zum Beispiel ein Land, das mit allen rede, mit den USA genauso wie mit dem Iran). Bei all dem spiele die WM eine wichtige Rolle.

Deutschland brauche dringend eine Strategie zum Umgang mit Katar, sagte Sons. Die Kritik an der WM-Ausrichtung sei gerechtfertigt, allerdings werde dabei zumeist die gewachsene Bedeutung Katars auf energie-, wirtschafts-, sicherheits- und kulturpolitischer Ebene vernachlässigt. Katar sei kein Partner der Wahl, sondern ein Partner der Notwendigkeit. Die WM in Katar biete vor dem Hintergrund der sich verschiebenden geostrategischen Tektonik im Zuge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine eine Chance, in Deutschland eine klare und kohärente Strategie zum Umgang mit autoritären Regimes wie Katar und den anderen Golfmonarchien zu entwickeln. Diese Strategie sollte darauf abzielen, Fragen der Menschenrechte sowie realpolitische Interessen miteinander zu vereinbaren, forderte Sons.

Thomas Beschorner vom Institut für Wirtschaftsethik der Universität St. Gallen stellte sich die Frage: Was kann man bei der Ausrichtung für künftige Sportgroßveranstaltungen lernen? Seine Antwort: Es gelte, erstens, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Fifa ein weltpolitischer, auch geopolitischer Akteur sei, der die Geschicke der Zeit mitgestalte - nicht demokratisch legitimiert, aber wirksam. Damit zusammenhängend sollte, zweitens, der rechtliche Status der Fifa als gemeinnützige Organisation geprüft werden. Drittens sollte sich die Fifa und auch der DFB von einer Rhetorik verabschieden, die Demokratisierungsprozesse durch sportliche Großveranstaltungen vermutet: Dafür gebe es keine wissenschaftliche Evidenz. Viertens erschienen ihm bei der Beobachtung verschiedener Phänomene im Profifußball die Governance-Strukturen von verschiedenen Verbänden (Fifa, Uefa, Vereine) „durchaus tiefere korrupte, wenigstens vetternwirtschaftliche Elemente aufzuweisen“. Beschorners positiv gewendeter Schluss daraus: Eine Verbesserung der Governance-Strukturen, vor allem eine stärkere partizipative und demokratische Orientierung von Spitzenorganisationen im Sport könnte zu Maßnahmen führen, die den Sport wieder in den Mittelpunkt rücken.

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