Sorge um den Fachkräftenachwuchs
Berlin: (hib/HARI) Der Ausbildungsmarkt hat sich noch nicht von der Corona-Krise erholt, davon unabhängig bestehen weiterhin strukturelle Probleme in der Beruflichen Bildung: Darin waren sich die Expertinnen und Experten von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaft einig bei dem öffentlichen Fachgespräch am Mittwoch im Ausschusses für Bildung, Forschung und Technologiefolgenabschätzung. Konsens ist, dass der Rückgang der abgeschlossenen Ausbildungsverträge die Zukunft von Wirtschaft und Gesellschaft ernsthaft gefährde. Über Ursachen und Lösungswege gibt es unterschiedliche Einschätzungen.
Barbara Dorn, Abteilungsleiterin Bildung der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber (BDA), unterstrich, dass die Chancen der Jugendlichen im Prinzip - trotz Pandemie - sehr gut seien. Im Verhältnis kämen auf fünf offene Stelle vier Bewerberinnen und Bewerber. Auch sei die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland mit einer Quote von 5,7 Prozent in Relation zum europäischen Durchschnitt von 10,1 Prozent sehr niedrig. Es gebe kein Versorgungsproblem der Jugendlichen. Vielmehr hätten die Betriebe das Problem, geeignete junge Menschen für eine Ausbildung zu finden. Nötig sei deshalb eine intensivere Berufsorientierung an allen Schulformen, einschließlich des Gymnasiums. Im Gegensatz zu den Gewerkschaften spricht Dorn statt von einer „Ausbildungsgarantie“ von einer „Chancengarantie“. Auf lokaler Ebene sollten Schule und Betreibe enger zusammenarbeiten, sich besser vernetzen. Aber: Eine Ausbildungsgarantie für den Wunschberuf könne es nicht geben. Dies wäre eine „Verzerrung des Ausbildungsmarktes“. Auch von einer Umlagefinanzierung hält die Wirtschaftsvertreterin nichts, da sie kleinere Betriebe benachteilige.
Besorgt über die „angespannte Ausbildungslage“ äußerte sich Friedrich Hubert Esser, Präsident des Bundesinstituts für Berufsbildung (BiBB). Dafür machte Esser die zurückgehende Nachfrage nach Ausbildungsplätzen verantwortlich. Als Ursache nannte er einen Strukturwandel weg von der „Industriegesellschaft hin zur Wissensgesellschaft“: „Alles was mit Hand und Herz konnotiert“ sei, habe an Attraktivität eingebüßt. Er sprach in dem Zusammenhang von einer „Verkopfung der Bildung“. Das Problem sei „massiv“, das System der dualen Berufsausbildung drohe zu „kippen“. Auf die deutsche Wirtschaft komme eine „Fachkräftekatastrophe“ zu. Sie sei nur durch einen mentalen Wandel abzuwenden, indem die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung stärker ins öffentliche Bewusstsein rücke. In dem Zusammenhang sprach sich der BiBB-Präsident dafür aus, das „Verfahren des Hochschulzugangs in den Blick zu nehmen“. Berufliche Bildung sei kein „Reparaturbetrieb“ für Versäumnisse der Schule. Wandeln müsse sich auch das Selbstverständnis des Gymnasiums wandeln. Die berufliche Orientierung müsse auf Augenhöhe mit der Vorbereitung auf den Hochschulzugang erfolgen. Das Gymnasium sei faktisch heute „die Volksschule der Wissensgesellschaft“. Auch die Elternhäuser nahm der Wissenschaftler in die Pflicht und forderte „eine Berufsorientierung für Eltern“.
Eine „bedenkliche Entwicklung“ der Ausbildungslage infolge der Corona-Krise stellte auch Elke Hannack, Stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), fest. Die Gewerkschafterin sieht zwar „kleine Lichtblicke“ , trotzdem bestehe weiterhin für die Berufliche Bildung die Gefahr eines „Substanzverlustes“. Die Corana-Beschränkungen in der Ausbildung hätten „massive Auswirkungen“ gehabt. Zehntausende junge Menschen seien dadurch dem Ausbildungsmarkt verloren gegangen, „von denen wir nicht wissen, wo sie verblieben sind“.
In der Altersgruppe der 20-bis 34-Jährigen seien bisher bereits 2,1 Millionen ohne Berufsausbildung. Die isolierte Betrachtung des Verhältnisses der Zahl der Bewerberinnen und Bewerber führe daher „in die Irre“. Zwar seien derzeit 63.000 Ausbildungsplätze unbesetzt, aber auch 68.000 junge Menschen unversorgt geblieben. Das betriebliche Angebot reiche nicht aus, um jedem eine Ausbildung zu ermöglichen. Eine Großteil des Angebotes lasse zudem Jugendliche mit Hauptschulabschluss außen vor, kritisierte Hannack. Eine Lösung der Ausbildungsmisere sieht der DGB in einer umlagefinanzierten Ausbildungsgarantie, die allen die Chance gebe, in einen Beruf zu starten. Beim Übergang von Schule in den Beruf dürfe kein junger Mensch verloren gehen. Die Gewerkschafterin plädierte für einen „Pakt für Berufliche Schulen“ und wies vor allem auf das Problem des Lehrkräftemangels hin. Hilfreich für junge Menschen, die in Ausbildung wollten, wäre es auch, den Kriterienkatalog der „Ausbildungsreife abzuschaffen.
Dem Ausschuss lagen die Berufsbildungsberichte für 2021 (19/30295) und 2022 (20/19390) vor sowie zwei begleitende Anträge der Fraktionen der CDU/CSU (20/2340) sowie der LINKEN (20/ 2335) vor. Als Maßnahme gegen den drastischen Fachkräftemangel spricht sich die Union unter anderem dafür aus, die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Qualifikation noch deutlicher zu stärken. Die LINKE plädiert unter anderem für einen gesetzlichen Rechtsanspruch auf Ausbildung, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern.
Die hib-Meldung zum Berufgsbildungsbericht: https://www.bundestag.de/presse/hib/kurzmeldungen-896850