23.09.2022 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 476/2022

Auftrag der Bundeswehr war widersprüchlich

Berlin: (hib/CRS) Im zweiten Teil der öffentlichen Anhörung hat der 1. Untersuchungsausschuss Afghanistan am Donnerstag die militärische Lage vor dem Ende des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr analysiert. Im Mittelpunkt stand auch die Zustimmung des Bundestages am 25. März 2021 zur Fortsetzung des Einsatzes, obwohl das Doha-Abkommen bereits einen Rückzug der US-Truppen vorsah. Die USA und die radikalislamischen Taliban hatten das Abkommen im Februar 2020 unterzeichnet.

Der vom Deutschen Bundestag am 8. Juli 2022 eingesetzte 1. Untersuchungsausschuss der 20. Wahlperiode befasst sich unter Leitung von Ralf Stegner (SPD) mit den Geschehnissen im Zusammenhang mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der Evakuierung des deutschen Personals, der Ortskräfte und anderer betroffener Personen. Betrachtet wird der Zeitraum vom 29. Februar 2020 - dem Abschluss des Doha-Abkommens - bis zum Ende des Mandats zur militärischen Evakuierung aus Afghanistan am 30. September 2021.

General a.D. Hans-Lothar Domröse erklärte während der Anhörung den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses, der Wechsel von der Nato-Mission ISAF zur nachfolgenden Mission Resolute Support zu einem Widerspruch in der Mandatierung geführt habe. Denn danach hätten zwei Missionen mit unterschiedlichen Aufgaben nebeneinandergestanden. Während die US-Truppen weiterhin kämpften, sollten gleichzeitig die afghanischen Truppen ausgebildet werden. Niemand mehr habe unterscheiden können, „welches Kontingent 'ausbildete' und welches 'kämpfte'.“

Außerdem habe die Bundeswehr die Kasernen nicht verlassen dürfen. So sei aber die Kontrolle der afghanischen Soldaten nicht mehr möglich gewesen, die ausgebildet wurden. Auch die Kontakt zur Bevölkerung sei dadurch verloren gegangen. „Soldaten werden doch nicht zur Stationierung geschickt“, so Domröse.

In seiner schriftlichen Stellungnahme (20(27)99) bemängelte Domröse auch das Zustandekommen des Doha-Abkommens. Bilaterale Verhandlungen seien nicht geeignet, dauerhaft Frieden zu schaffen und stünden auch im Widerspruch mit dem „militärischen Verständnis“, das bis dahin galt.

Auch Markus Kaim von der Stiftung Wissenschaft und Politik ging auf das Vorgehen der US-Regierung ein. „Bis 2018, 2019 war das Mantra der US-Politik: nie über die Köpfe der Afghanen verhandeln.“ Diese Haltung habe sich danach schlagartig geändert. Ein Punkt, den auch der Schweizer Journalist Franz J. Marty teilt, der seit 2014 in Afghanistan lebt und arbeitet. „Sie haben ihr Mantra über Nacht verworfen und nicht mehr davon gesprochen, die Taliban müssen mit der afghanischen Regierung verhandeln.“ Es sei nur von „den Afghanen“ die Rede gewesen.

Die afghanische Politikerin Fatima Gailani berichtete von den Verhandlungen zwischen den Taliban und den Vertretern Afghanistans, die gemäß Doha-Abkommen parallel zum Abzug der US-Truppen vorgesehen waren. Sie hätten keine Informationen darüber gehabt, was die USA und die Taliban mit dem Doha-Abkommen vereinbarten. Während der Verhandlungen hätten sie jedoch gemerkt, dass beide Unterzeichner des Doha-Abkommens uninteressiert waren.

Der Misserfolg habe schließlich nicht im militärischen Bereich gelegen, sondern im politischen. Die afghanische Delegation habe eine politische Lösung angestrebt, die eine inklusive Regierung beinhalten sollte. Sie hätte sich jedoch keine Gedanken darüber gemacht, wo sie ihre „roten Linien“ hatte und an welcher Stelle sie Kompromisse eingehen könnte. Die Taliban hingegen hätten ganz klar gewusst, was sie erreichen wollten.

Auf die Frage des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, Ralf Stegner, ob er im Rückblick einen Fehler in der letzten Zustimmung des Bundestages zur Weiterführung des Bundeswehreinsatzes erkennen könne, antwortete Markus Kaim, einige Indikatoren und Eckpunkte seien übersehen worden. So sei kurz davor bekannt geworden, dass die afghanische Armee nicht 280.000 Soldaten, wie bis dahin angenommen, sondern nur 150.000 hatte. Außerdem sei es bekannt gewesen, dass die afghanischen Sicherheitskräfte auf die Luftunterstützung der USA angewiesen waren.

Der Kriminalwissenschaftler und AfD-Abgeordnete im Landtag in Nordrhein-Westfalen Daniel Zorbin stellte am Ende der Anhörung seinerseits fest, der Westen habe unbedingt gewollt, „dass dieses Projekt gelingt.“ Das sei ein Fehler gewesen. In Zukunft müsse man genau überlegen, welchen Einsatz man mitmache. Sicherlich müsse die europäische und deutsche Komponente gestärkt werden.

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