13.10.2022 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 552/2022

Kritik an handwerklichen Fehlern des Doha-Abkommens

Berlin: (hib/LL) Das Doha-Friedensabkommen zwischen den USA und den Taliban über den Abzug der US-Streitkräfte aus Afghanistan hat nach Ansicht des ehemaligen Gesandten in der Deutschen Botschaft Kabul viele handwerkliche Fehler gehabt. Es habe einerseits eine Chance für einen Friedensprozess geboten, andererseits sei es ein wesentlicher Grund für die Erosion der Macht der afghanischen Regierung und Streitkräfte gewesen, sagte der Zeuge am Donnerstagnachmittag im 1. Untersuchungsausschuss.

Die Mitglieder des Ausschusses wollten von dem ehemaligen stellvertretenden Botschafter vor allem dessen damalige Einschätzung des Doha-Abkommens und seine Bewertung der Sicherheitslage infolge des Abkommens erfahren. Er habe das Doha-Abkommen von Beginn an „sehr kritisch“ gesehen, gab der Zeuge zu Protokoll, und sprach von „Geburtsfehlern“ und „strukturellen Defiziten“ des Vertrages.

Das sogenannte Friedensabkommen sei „ein Vertrag zulasten Dritter“ gewesen, hätte doch die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Donald Trump weder ihre Verbündeten einbezogen noch die damalige afghanische Regierung, sondern das Abkommen bilateral mit den Taliban abgeschlossen. „Alle anderen wurden vor vollendete Tatsachen gestellt.“ Außerdem sei der Friedensvertrag „im Prinzip ein Truppenabzugsabkommen der Amerikaner“ gewesen. Die Taliban seien der Idee, mit der afghanischen Regierung und anderen politischen Kräften im Land Friedensgespräche zu führen, nicht nachgekommen.

Für ihren Truppenabzug habe die amerikanische Seite von den Taliban nur vage formulierte Gegenleistungen wie eine „Verpflichtung zur Reduzierung der Gewalt“ oder „keine Angriffe auf die abziehenden Truppen“ verlangt, während die Formulierungen, die sich auf die afghanische und die US-Regierung selbst bezogen hätten, sehr viel präziser gewesen seien.

Die Taliban hätten stets auf die genaue Erfüllung des Wortlautes gepocht, etwa beim Austausch von 5.000 Gefangenen, berichtete der Zeuge, während der US-Oberkommandierende Arthur S. Miller die Taliban immer wieder habe „beknien“ müssen, offenbar nur mündlich gemachte Zusagen einzuhalten, um eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Das sei „die große Schwäche des Abkommens“ gewesen. Der ehemaligen Gesandte, der das Zustandekommen des Doha-Abkommens nach eigener Aussage lediglich durch die Berichterstattung aus der Ferne verfolgt habe, habe sich gewundert, warum wesentliche Dinge nicht oder nur derart abgeschwächt in das Dokument hineingeschrieben worden seien.

„Im Umfeld des Doha-Abkommens“, das schließlich zum kompletten Abzug der internationalen Kräfte aus Afghanistan geführt habe, und zu seiner Zeit im Generalkonsulat in Masar-e Scharif und in der Botschaft in Kabul, sei die Sicherheitslage „immer weiter erodiert“, berichtete der Zeuge. „Die Sicherheitslage hat sich kontinuierlich verschlechtert. Täglich wurde ja in der Mehrheit der Provinzen gekämpft. Das war täglich in allen Besprechungen das erste Thema.“ Der Abschluss des US-Taliban-Abkommens habe viele afghanische Kräfte in Regierung, Verwaltung, Polizei und vor allem den Streitkräften demoralisiert und paralysiert.

Obwohl es für den angestrebten Friedensprozess in Afghanistan kaum praxistauglich gewesen sei, habe die deutsche Seite, also die Bundesregierung und das Auswärtige Amt, es als eine seit fast 40 Jahren nicht dagewesene Chance begriffen und versucht, den Friedensprozess zu begleiten und zu unterstützen. „Es war das einzige Forum“, das sich geboten habe. Was hätte man sonst tun sollen, als darauf einzugehen und zu versuchen, das Beste daraus zu machen?, fragte der Zeuge. „Wir haben diesen Rahmen genommen und diesen Prozess unterstützt, einfach weil es der einzige war.“ Die afghanische Regierung und die Taliban hätten sich erstmals an einen Tisch gesetzt und sich zumindest als Gesprächspartner akzeptiert.

Dennoch habe er auf die zahlreichen Steine hingewiesen, die der Hoffnung auf Frieden aus seiner Sicht im Weg lagen. „Meine Aufgabe war es, auf Risiken hinzuweisen.“ Die Hauptbelastung für den Friedensprozess sei gewesen, dass immer weiter gekämpft wurde.„ Der unbestimmte Passus “Reduzierung der Gewalt„ habe die Taliban im Grunde auf nichts festgelegt. Die Taliban hätten zudem nie mit der afghanischen Regierung verhandelt und diese nie anerkannt, sondern “sie wollten immer nur mit den USA reden„.

Die Zeugenvernehmung dauert weiter an. Zwei weitere Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes sind am Donnerstag noch in den Zeugenstand geladen.

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