21.10.2022 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 593/2022

Amerikanische Entscheidungsfindung war eine „Blackbox“

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss des Bundestages hat gestern Abend nach dem Referenten in der Ständigen Vertretung Deutschlands bei der Nato den ehemaligen Leiter des Referats Afghanistan/Pakistan beim Auswärtigen Amt befragt. Erneut versuchten die Abgeordneten, die diplomatischen Herausforderungen und Entscheidungen zu rekonstruieren, die sich für die Bundesregierung aus der Unterzeichnung des Doha-Abkommens zwischen den USA und den Taliban ergaben.

Mit dem Abkommen wurde im Februar 2020 der Rückzug der US-Truppen und damit auch indirekt der internationalen Truppen aus Afghanistan besiegelt. Der Außenamts-Mitarbeiter erklärte dazu, wie schon mehrere Zeugen zuvor, dass deutschen Diplomaten an den Verhandlungen nicht beteiligt gewesen seien, wohl aber an den, letztlich ergebnislosen Gesprächen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban.

Er hob hervor, dass die Bundesregierung und auch die anderen Verbündeten der USA in Afghanistan den Inhalt des Doha-Abkommens erst am 28. Februar 2020, also lediglich einen Tag vor dessen Veröffentlichung, hätten einsehen können. „Wir hatten alle gehofft, dass das Abkommen besser verhandelt worden wäre, als es wirklich war“, gab er zu Protokoll. Sie seien überrascht gewesen, denn noch während der Verhandlungen habe der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Zalmay Khalilzad, der Bundesregierung seine Ideen vorgestellt. Kurz darauf habe auch der damalige US-Außenminister Mike Pompeo in einem Tweet betont, das Abkommen sei an Konditionen gebunden. Deshalb habe man deutlich stärkere Elemente eines konditionsbasierten Ansatzes erwartet.

Doch die Bundesregierung habe im Abkommen nur „leichte Anzeichen eines konditionsbasierten Ansatzes“ gesehen. Diese Sorge habe er bereits in der afghanischen Hauptstadt Kabul zum Ausdruck gebracht, wo er sich zu diesem Zeitpunkt aufhielt, und insbesondere gegenüber der Vertreterin der USA.

Damals habe in Washington „eine sehr spezifische US-Regierung“ regiert, sagte der Zeuge - in Anspielung auf die Präsidentschaft Donald Trumps. Sein Referat habe dem damaligen Außenminister Heiko Maas (SPD) die Empfehlung gegeben, trotz der Geburtsfehler und Probleme des Abkommens, zu versuchen, den politischen Prozess zu unterstützen, um letztendlich auch eine politische Lösung des Konflikts zu erreichen.

Konkret sollte die Bundesregierung von den USA mehr Transparenz fordern, und angesichts „einer gewissen Konditionierung im Abkommen“, schauen, ob es möglich wäre, einen inklusiven Friedensprozess zu unterstützen. Das Ziel Trumps sei offensichtlich gewesen, doch es habe auch starke Gegenmeinungen gegeben. „Deshalb gab es durchaus Anknüpfungspunkte, auf das Einhalten des Geistes des Abkommens zu drängen“, berichtete der Zeuge, der gleichzeitig zugab, dass „die Entscheidungsfindung auf der amerikanischen Seite auch für die deutschen Diplomaten ein Blackbox war“.

Nach dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten Joe Biden hätten die Partner in der Mission Resolute Support eine gemeinsame Bewertung des Abkommens gefordert, um dann gemeinsame Entscheidungen zu treffen zu können. „Wir haben versucht, eine Koppelung des Militärischen und des Zivilen zu erreichen. Wir waren nicht besonders erfolgreich“, räumte der ehemalige Referatsleiter im Auswärtigen Amt ein. Angesichts der Möglichkeit eines neuen US-Präsidenten habe man nicht gleich in die Planung des Abzugs einsteigen wollen, erklärte er weiter. Denn man habe nicht das Signal geben wollen, „wir gehen, egal was die Taliban tun“.

Der Zeuge wurde von den Abgeordneten auch zum Ortskräfteverfahren befragt. Er erklärte, das Auswärtige Amt sei davon ausgegangen, dass das militärische Engagement beendet werden müsse, aber das zivile Engagement weitergehen würde. Deshalb habe man nicht vorhersehen können, dass die Nachfrage nach Evakuierungen derart steigen würde. Auch organisatorische Probleme habe es gegeben. In Kabul habe zum Beispiel keine Visastelle existiert.

Für die nächste Sitzung am 10. November plant der Untersuchungsausschuss eine Anhörung von ehemaligen Ortskräften.

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