Experten sehen Fortschritte in der Mitbestimmungsnovelle
Berlin: (hib/VOM) Der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Umsetzung der Bestimmungen der Umwandlungsrichtlinie über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitenden Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen (20/3817) ist bei Sachverständigen auf ein überwiegend positives Echo gestoßen. In der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales wurden am Montag auch Vorschläge für eine Weiterentwicklung der Mitbestimmung im europäischen Kontext unterbreitet. Gegenstand der Anhörung war auch ein Antrag der Linksfraktion (20/4056), Lücken bei der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu schließen.
Mit dem Gesetzentwurf soll eine EU-Richtlinie umgesetzt werden, in der es um Änderungen der sogenannten Gesellschaftsrechtsrichtlinie in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen geht. Artikel 1 des Entwurfs enthält ein neues Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei grenzüberschreitendem Formwechsel und bei grenzüberschreitender Spaltung (MgFSG), Artikel 2 ändert das Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung (MgVG). Das MgFSG soll für die Ausgestaltung der Mitbestimmung in Gesellschaften deutscher Rechtsform, die aus einem grenzüberschreitenden Formwechsel oder einer grenzüberschreitenden Spaltung hervorgehen („Herein-Umwandlung“) gelten. Für beides werden Verhandlungen über die Mitbestimmung in einer daraus hervorgehenden Gesellschaft bereits dann erforderlich, wenn eine beteiligte Gesellschaft eine Zahl von Arbeitnehmern beschäftigt, die mindestens vier Fünfteln des Schwellenwerts entspricht, der die Unternehmensmitbestimmung im EU-Staat des Wegzugs auslöst („Vier-Fünftel-Regelung“). Der Umsetzungsspielraum hinsichtlich der Wahl der auf Deutschland entfallenden Arbeitnehmervertreter im besonderen Verhandlungsgremium wird nach dem Vorbild des vorhandenen Rechts ausgefüllt. Die Wahl erfolgt durch bestehende Gremien der Arbeitnehmervertretung.
Jan Grüneberg vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) lobte einerseits die Vier-Fünftel-Regelung und den Paragrafen 36 zur Missbrauchsbekämpfung im MgFSG, sah aber trotzdem „hohes Gefahrenpotenzial“. Aus Sicht des DGB umfasst der Entwurf nicht die im Koalitionsvertrag vereinbarten umfassenden Regelungen zum Schutz der Unternehmensmitbestimmung vor missbräuchlicher Umgehung.
Nach Angaben von Sebastian Sick von der Hans-Böckler-Stiftung hatten sich 2020 mindestens 307 Unternehmen mit jeweils mehr als 2.000 Beschäftigten der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat entzogen oder deren Anwendung gesetzwidrig ignoriert. 113 Unternehmen hätten legale Konstruktionen zur Mitbestimmungsvermeidung gewählt, etwa Stiftungen oder GmbH & Co. KG, 113 weitere die Mitbestimmung rechtswidrig ignoriert, wobei man die Frage nach der Compliance stellen müsse. Vier von fünf Europäischen Gesellschaften (SE) hätten keine paritätische Mitbestimmung.
Missbrauch soll laut MgFSG dann vorliegen, wenn innerhalb von vier Jahren ab Wirksamwerden des grenzüberschreitenden Vorhabens strukturelle Änderungen erfolgen, die bewirken, dass ein Schwellenwert der Mitbestimmungsgesetze im Sitzstaat überschritten wird oder sonst Arbeitnehmern Mitbestimmungsrechte vorenthalten oder entzogen werden. Jan Grüneberg vom DGB könnte sich statt vier auch fünf Jahre vorstellen, während Hendrik Otto, Vorstandsmitglied der Wepa-Gruppe, eines Hygieneprodukte-Herstellers im Sauerland, eher an einen kürzeren Zeitraum dachte, da vier Jahre doch „relativ lang“ seien. Otto lobte im Übrigen die Rechtssicherheit durch die geplanten Regelungen und auch die Verhandlungslösung. Im europäischen Kontext gebe es nun weitere Handlungsoptionen gerade für Familienunternehmen.
Lasse Pütz, Rechtsanwalt der Kölner Kanzlei für Wirtschaftsrecht LLR, hob vor allem hervor, dass die Gewerkschaften informiert werden müssen, mitbestimmungsrechtlich könne man zufrieden sein. Zwar könne man fragen, ob die Regelungen zu lückenhaft sind, doch könne „die Praxis“ dies gestalten, etwa beim Anfechtungsverfahren.
Rüdiger Krause vom Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht der Georg-August-Universität Göttingen meinte, alle Schlupflöcher würden sich nicht schließen lassen. Die neue Missbrauchsregelung hielt er für weiterreichend als das, was bisher im SE-Beteiligungsgesetz geregelt ist.
Um zu verhindern, dass Unternehmen die Rechtsform der SE nutzen, um Mitbestimmung „einzufrieren“, müsste der EU-Gesetzgeber seine Regelungen ändern, was unwahrscheinlich sei, argumentierte Gregor Thüsing, Direktor des Instituts für Arbeitsrecht und Recht der sozialen Sicherheit der Universität Bonn. Das Wachstum einer Gesellschaft oder der Zukauf von Gesellschaften stellten noch keinen Rechtsmissbrauch dar.
Auch Sicht von Thomas Prinz von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) wird das Ziel erreicht, die Mitbestimmung zu erhalten. Er kritisierte allerdings, dass das MgFSG von „möglichem Missbrauch“ spricht, was ein unglücklicher Wortlaut sei, da Betriebsübergänge zu einem Missbrauch gemacht würden. Aus Sicht der BDA hat sich das Verhandlungsmodell der SE „sehr bewährt“ und werde auch als Vorbild für das deutsche Mitbestimmungsmodell gesehen.
Patrick Mückl, Düsseldorfer Fachanwalt für Arbeitsrecht, nannte die Mitbestimmungsregeln „nicht richtlinienkonform“, da die EU-Vorgaben keine Regelung enthielten, um Anwartschaftsrechte zu schützen. Unglücklich sei auch, dass im Missbrauchsparagrafen von „strukturellen Änderungen“ gesprochen werde, was über das Ziel der Richtlinie hinausgehe. Ludger Ramme vom Deutschen Führungskräfteverband beklagte, dass leitende Angestellte nicht den Weg in das besondere Verhandlungsgremium fänden, sie seien vom Gesetzgeber aus der Arbeitnehmerschaft herausgelöst worden.