Ortskraft berichtet vom Chaos am Kabuler Flughafen
Berlin: (hib/CRS) Bei der 13. Sitzung des Untersuchungsausschusses Afghanistan sagte heute zum ersten Mal ein Betroffener zu den chaotischen Bedingungen am Kabuler Flughafen im August 2021 aus, nachdem die Taliban die afghanische Hauptstadt unter ihre Kontrolle gebracht hatten.
Der ehemalige Ortskraft der Bundeswehr, der im Camp Marmal in Masar-e Scharif im Norden Afghanistans gearbeitet hatte, berichtete sowohl von Werkverträgen, die den afghanischen Mitarbeitern zum Schluss zum Verhängnis worden waren, als auch von verzweifelten Versuchen sich und seine Familie in Sicherheit zu bringen.
Er habe ab 2015 für die Bundeswehr TV-Sendungen produziert, berichtete der Zeuge. Er und sein Kameramann hätten oft Kampfhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Armee, aber auch der internationalen Truppen gefilmt. Diese seien später auf 14 Fernsehkanälen in verschiedenen Provinzen ausgestrahlt worden. Das Ziel sei gewesen, die afghanische Bevölkerung über die Grausamkeiten der Taliban zu informieren.
Zunächst habe er einen Vertrag direkt mit der Bundeswehr gehabt, sagte der Journalist. Doch einige Monate später habe man ihn und seine Kollegen informiert, dass sie nicht mehr für die Bundeswehr arbeiteten, sondern als freie Journalisten für ein Afghanisches Medienzentrum in Nordafghanistan. Ihnen seien neue Verträge vorgelegt worden.
Die Mitarbeiter hätten anfänglich diese Änderung nicht akzeptieren wollen, weil ihre Arbeit sich inhaltlich nicht geändert hatte. Außerdem hätten weiterhin Berater der Bundeswehr an ihren Redaktionssitzungen teilgenommen. Man habe mit den Beratern sehr gut zusammengearbeitet. Auch das Geld, das sie ausgezahlt bekamen, sei von der Bundeswehr gekommen. Der Zeuge und seine Kollegen hätten schließlich jedoch nachgeben müssen, weil die afghanischen Vorgesetzten ihnen drohten, sie würden entlassen, wenn sie sich weigerten, die neuen Verträge zu unterschreiben.
Als im Jahr 2021 ein Provinz nach dem anderen in die Hände der Taliban fielen, habe er versucht, vom Ortskräfteverfahren der Bundeswehr Gebrauch zu machen, um sich, seine Frau und seine Kinder in Sicherheit zu bringen. Doch man habe ihm erklärt, das sei nicht möglich, weil seine Mitarbeit mit der Bundeswehr länger als zwei Jahre zurückliege.
26 afghanische Ortskräfte hätten daraufhin ein gemeinsames Schriftstück verfasst und den deutschen Behörden übermittelt. Doch ihre Bemühungen, sich bei deutschen Behörden in Afghanistan Gehör zu verschaffen, seien gescheitert. Sowohl die Botschaft in Kabul als auch das Konsulat in Masar-e Scharif hätten ihre Anträge abgewiesen. Hinzu sei gekommen, dass der Leiter des afghanischen Medienzentrums sie entlassen habe, mit der Begründung, sie hätten einen Asylantrag gestellt. Diese Entscheidung hätten auch die deutschen Behörden mitgetragen, berichtete der Zeuge.
Er habe weiterhin versucht, von deutschen Behörden eine Zusage zu bekommen, dass er und seine Familie nach Deutschland evakuiert werden würden. Obwohl viele Mittarbeiter der Bundeswehr ihn unterstützten, habe ihm die Bundeswehr mit einer Mail am 8. August mitgeteilt, dass er nicht im Rahmen des Ortskräfteverfahrens aus dem Land gebracht werden könne.
Er und sechs seiner Kollegen hätten daraufhin ihre Situation in den afghanischen Medien bekanntgegeben. Einige von ihnen hätten ihre Berater der Bundeswehr kontaktiert. Als die Taliban vor den Toren Kabuls standen, sei er in Kabul gewesen. Seine Frau sei mit den Kindern einen Tag später hinzugekommen. Sie hätten Berichte darüber gehört, wie Angehörige der ethnischen Minderheit der Hasaras ermordet wurden. Auch er als Hasara sei in Gefahr gewesen.
Am 15. August, als die Taliban in Kabul einmarschierten, habe er eine Twitter-Nachricht von der Bundeswehr erhalten. Man habe ihn gefragt, wie man ihm helfen könne.
Am 19. August habe er eine neue Nachricht bekommen. Er und seine Familie sollen sich zum Nordtor des Flughafens Kabul begeben, hieß es. Sie hätten mehrere Checkpoints der Taliban überwunden und seien schließlich am Nordtor angekommen. Dort hätten sich jedoch fürchterliche Szenen abgespielt. Die Menschenmenge habe versucht, das Tor zu stürmen, und um das abzuwehren, hätten die Sicherheitsbehörden die Menschen mit Gewehrkolben geschlagen, Warnschüsse abgegeben und Tränengas geworfen. Da es unmöglich gewesen wäre, in den Flughafen zu gelangen, sei er mit seiner Familie wieder zum Haus eines Freundes zurückgekehrt.
Wie der Zeuge weiter berichtete, habe sie die Bundeswehr dann erneut kontaktiert. Sie seien zu einem sicheren Haus umgezogen. In der Nacht kam eine E-Mail mit der Instruktion, zu einer konkreten Adresse zu gehen. In der Anlage der Mail sei noch ein Dokument gewesen. Mit diesem Dokument habe er sich am Flughafen bei der Bundeswehr melden sollen.
Von der genannten Adresse seien sie mit einem Bus wieder zum Flughafen gebracht worden, sagte der Zeuge aus. Auch die Taliban seien informiert gewesen und hätten sie durchgelassen. Nach einer Kontrolle durch US-Soldaten seien sie zu den Bundeswehr-Soldaten vor Ort weitergeschickt worden. Auch als er dort in der Schlange wartete, sei er von der Bundeswehr kontaktiert worden. Er habe berichtet, dass alles in Ordnung sei. Doch als er dran war, hätten die Soldaten, die seine Papiere kontrollieren sollten, nur flüchtig auf die Papiere geschaut, die er dabei hatte, und gesagt, er stehe nicht auf der Liste. Eine Soldatin habe ihn daraufhin angeschrien, er solle den Ort verlassen. Als er es noch einmal versuchen wollte, sei er diesmal direkt mit der Waffe bedroht worden. Daraufhin sei er wieder zurückgekehrt. Es sei eine schreckliche Erfahrung für ihn und seine Familie gewesen, sagte der Zeuge.
Er habe sich an die Medien gewandt. Durch die Unterstützung seines Anwalts habe er schließlich beim Auswärtigen Amt in Berlin ein Asylantrag stellen können. Später habe er Afghanistan auf dem Landweg verlassen und sei in die pakistanische Hauptstadt Islamabad gefahren. Dort hätten die deutschen Behörden ihn sehr freundlich empfangen und circa zwei Wochen später nach Deutschland gebracht, schilderte der Zeuge.
Der Zeuge erzählte dem Ausschuss, dass er und seine Frau nun Deutschkurse besuchten und ihre Kinder im Kindergarten seien. Sie seien jedoch fest entschlossen, wieder nach Afghanistan zurückzukehren, sobald dort wieder Frieden herrsche. Die ehemalige Ortskraft der Bundeswehr bat zum Schluss seines Berichtes den Ausschuss darum, den Ortskräften zu helfen, die noch in Afghanistan sind. Ihr Leben sei weiterhin in Gefahr.
Nach dem Bericht des Zeugen legte der Ausschuss eine Pause an. Die Zeugenvernehmung wird heute fortgesetzt.