Experten zum ökologischen Fußabdruck des IKT-Sektors
Berlin: (hib/HAU) Derzeit führt die Digitalisierung eher zu einem Mehrverbrauch an natürlichen Ressourcen als zu deren Einsparung. Diese Ansicht vertraten mehrere Sachverständige während einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Digitales am Montagnachmittag. Zur Etablierung einer ressourceneffizienten Kreislaufwirtschaft müsse die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick genommen werden, lautete eine der sich aus dem Befund ergebenden Forderungen.
Schon die Gewinnung der benötigten Rohstoffe für die Herstellung der elektronischen Geräte erfolge unter umweltschädigenden Umständen, sagte Jens Gröger vom Öko-Institut. Gleiches gelte für die Herstellung selbst und den Transport. Die Nutzung sorge für einen hohen Energieverbrauch und fördere bestimmte Verhaltensmuster, die schlussendlich zu mehr Treibhausgasemissionen führten, so Gröger. „Ein einzelner Internetnutzer verursacht knapp eine Tonne an CO2-Emissionen“, sagte er. Nach der Nutzung würden die Geräte zudem noch zu Elektronikschrott. Das Recht auf Reparatur, Ersatzteilbereitstellung für Mindestzeiträume, Verlängerung der gesetzlichen Garantiezeiten, Ökodesign, Reduktion von Materialvielfalt und Pflicht zur Materialkennzeichnung seien gesetzliche Maßnahmen, mit denen dem Ressourcenverbrauch entgegengewirkt werden könne, sagte der Vertreter vom Öko-Institut.
Zustimmung erhielt Gröger durch Marina Köhn vom Bundesumweltamt. Die digitale Infrastruktur müsse besonders effizient, besonders energiesparend und besonders rohstoffsparend betrieben werden, forderte sie. Es gebe in allen Teilbereichen vermeidbare Belastungen. Derzeit gingen Smartphones viel zu zeitig in die Entsorgung. Das gleiche gelte für Haushaltsgeräte, weil Software-Updates nicht mehr möglich seien. „Das können wir uns nicht erlauben“, machte Köhn deutlich. Ein weiteres Problem sind aus ihrer Sicht die Rechenzentren, die vielfach überdimensioniert gebaut und in der Folge ineffizient betrieben würden. Zudem würden sie überwiegend mit Luft gekühlt, „obwohl man weiß, dass Wasserkühlung wesentlich effizienter ist“.
Johanna Pohl, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Technik und Gesellschaft der TU Berlin, forderte im Interesse der Langlebigkeit elektronischer Geräte ein Recht auf Reparatur. „Der Zugang zu kostengünstigen Ersatzteilen muss für alle gewährleistet sein“, so Pohl. Zudem müsse die Möglichkeit bestehen, nicht-originale Bauteile zu verwenden. Weiterhin brauche es eine garantierte Update-Fähigkeit. Deutlich verbessern muss sich aus ihrer Sicht auch das Recyclingsystem. Derzeit würden lediglich 20 Prozent des anfallenden Elektronikschrotts einer gezielten Sammlung zugeführt. Abzubauen seien zudem die Redundanzen in der Netzinfrastruktur.
Auch nach Einschätzung von Professor Tilman Santarius vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung an der TU Berlin leistet Digitalisierung derzeit keinen Beitrag zu einem 1,5 Grad-Ziel. Momentan sei Digitalisierung eher noch eine Triebkraft für mehr Ressourcenverbräuche und mehr Emissionen, urteilte er und forderte: „Wir müssen diesen Trend umkehren.“ Dazu müsse der ökologische Fußabdruck des IKT-Sektors gesenkt werden. Außerdem sprach sich Santarius dafür aus, in die laufenden digitalpolitischen Initiativen Nachhaltigkeitsziele zu integrieren.
Mikroelektronik und Digitalisierung würden gebraucht, „damit wir ökologisch weiterkommen“, sagte Nils Nissen vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration. Aber: „Nicht jeder Einsatz von mehr Sensorik und mehr Cloud-Services ist gut für die Umwelt.“ Diese Abschätzungen müssten berechnet werden, um schauen zu können, ob die versprochenen Einsparungen kommen. Derzeit, so Nissen, sei das noch nicht der Fall.
Die nachhaltige öffentliche Beschaffung sollte als Hebel genutzt werden, empfahl Niklas Meyer-Breitkreutz vom Branchenverband Bitkom. Bei Produkten sollten Ausschreibungskriterien neben der Herstellung auch den gesamten Lebenszyklus sowie den Einsatz von Refurbished-IT in den Blick nehmen, verlangte er. Entsprechende Vorgaben und Leitfäden für die Beschaffungspraxis, etwa im Rahmen der Verwaltungsvorschrift „AVV-Klima“, sollten zeitnah gemeinsam mit der Industrie entwickelt werden. Mögliche Weiterentwicklungen von Vorgaben zur Nachhaltigkeit müssten aus seiner Sicht auf europäischer Ebene erfolgen und bereits bestehende produktspezifische Anforderungen berücksichtigen. „Wir sollten hier auf nationale Alleingänge verzichten“, sagte Meyer-Breitkreutz.
Das sah Christian Rudelt vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ebenso. Ökodesign-Verpflichtungen und technische Anforderungen müssten aus Sicht des BDI in den EU-Mitgliedstaaten auf möglichst harmonisierte Weise umgesetzt werden. Von der Einführung nationaler, voneinander abweichender Maßnahmen, die den europäischen Binnenmarkt grundlegend in Frage stellen würden, sei abzuraten. Nationale Reparierbarkeitsmaßnahmen etwa würden die Wettbewerbsfähigkeit der EU und die Fähigkeit der Unternehmen, nachhaltige Produkte auf dem europäischen Markt zu skalieren, ernsthaft gefährden. Die Umgestaltung von Produkten sei ein zeit- und kostenaufwändiger Prozess, „der nur durchführbar ist, wenn Produkte für einen Binnenmarkt von 27 Mitgliedstaaten entwickelt und verkauft werden“.
Tina Hadler, Vertriebsleiterin der Theben AG, betonte die große Bedeutung des Smart Meter-Rollouts, um Energiewende und Elektrifizierung im Sinne der Klimawende bewältigen zu können. Volkswirtschaftlich sei der Einsatz intelligenter Messsysteme unabdingbar und auch als effizienteste Lösung berechnet worden, bevor das Messstellenbetriebsgesetz 2016 verfasst und verabschiedet worden sei, sagte sie. Intelligente Messsysteme machten Verbrauchstransparenz und Energiemarktzugang für die Bürger möglich. Sie lieferten zugleich dem Netzbetreiber wichtige Informationen zum Zustand des Netzes, was in Zeiten der Energiewende und der Elektrifizierung immer wichtiger werde, so Hadler. Gleichzeitig würden die Millionen von E-Fahrzeugen, Wärmepumpen und PV-Anlagen über den Smart Meter steuerbar. „Der Smart Meter ist die Infrastruktur für ein nachhaltiges Energiesystem“, betonte die Vertriebsleiterin der Theben AG.