Expertenlob für Antrag zur Stärkung der Suizidprävention
Berlin: (hib/HAU) Ein fraktionsübergreifender Gruppenantrag zur Stärkung der Suizidprävention (20/1121) stößt bei Sachverständigen auf Zustimmung. Das wurde während des zweiten Teils einer öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am Montagabend deutlich. Zuvor hatten die Expertinnen und Experten mehrere Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe beziehungsweise der Sterbebegleitung beraten.
Der Antrag der Gruppe um Lars Castellucci (SPD), Ansgar Heveling (CDU/CSU), Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen), Stephan Pilsinger (CDU/CSU), Benjamin Strasser (FDP), Kathrin Vogler (Die Linke) und weiterer Abgeordneter fordert eine Enttabuisierung und Entstigmatisierung von Suizidgedanken durch mehr Information und Aufklärung. Durch verbesserte Lebensbedingungen müsse der Suizidalität vorgebeugt werden, heißt es. Genannt werden die Armutsbekämpfung und Konzepte gegen Vereinsamung. Menschen mit Suizidgedanken bräuchten leicht erreichbare Angebote zur Beratung, Behandlung und Unterstützung am Lebensende. Zudem sollte der Zugang zu Suizidmitteln und -orten reduziert werden. Die Abgeordneten schlagen unter anderem einen bundesweiten Suizidpräventionsdienst vor, der Menschen mit Suizidgedanken und Angehörigen rund um die Uhr online sofortigen Kontakt mit geschultem Personal ermöglicht.
Suizidprävention sei enorm wichtig, sagte Professor Helmut Frister vom Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Heinrich Heine Universität Düsseldorf und Mitglied des Deutschen Ethikrates. Frister nannte es richtig, wenn in dem Antrag davon die Rede sei, dass die Akzeptanz des Rechts auf Suizid Grundlage der Suizidprävention sei. Das bedeute aber auch, das Suizidprävention „nicht mehr eine Prävention um jeden Preis ist, sondern die Funktion hat, Entscheidungsspielräume wieder zu eröffnen und eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen“. Wenn also nach Beratung die Entscheidung gegen das eigene Leben gefällt wird, sei das „keine Niederlage für den Berater“. Eine selbstbestimmte Entscheidung können schließlich in beide Richtungen ausfallen. Frister sprach sich dafür aus, die durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nötig gewordene Neuregelung der Suizidassistenz und die Suizidprävention einheitlich zu behandeln und einer gesetzlichen Regelung zuzuführen.
Professor Andreas Lob-Hüdepohl von der Katholische Hochschule für Sozialwesen Berlin sagte, Suizidprävention umfasse ein breites Spektrum an vorsorgenden und vorbeugenden Interventionen und Handlungsfeldern. Sie diene nicht der Verhinderung von Suiziden sondern der Vorbeugung und Verhinderung von Lebenslagen, in denen sich Menschen genötigt sehen, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Suizidprävention müsse sehr niedrigschwellig sein, aufklären und die gesamte Bevölkerung in den Blick nehmen, betonte Lob-Hüdepohl, der ebenfalls Mitglied des Deutschen Ethikrates ist. Der Antrag greife wesentliche Aspekte der genuin ethisch gebotenen Suizidprävention auf, befand er.
Lob-Hüdepohl sagte weiter: Es brauche eine Normalisierung, die zu Enttabuisierung und zu Entstigmatisierung führe. Sie müsse aber abgegrenzt werden von einer Normalisierung, „die auf eine schleichende Gewöhnung hinausläuft“.
Auch Heiner Melching, Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, bewertete den Antrag positiv. Als Palliativmediziner sei er geübt im Umgang mit Sterbenden und mit Sterbewünschen, sagte Melching. „Die Hospiz- und Palliativversorgung leistet nach unserem Verständnis Prävention“, so der Geschäftsführer der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin. Anders als Professor Frister sprach er sich für eine getrennte Betrachtung dieses „wunderbaren Entwurfes“ aus. Dies tue er schon aus pragmatischen Gründen, damit im Falle einer Verfassungsklage gegen ein Sterbehilfegesetz die Regelung zur Suizidprävention nicht mit runterfällt.
Professor Barbara Schneider, Chefärztin der Abteilung Abhängigkeitserkrankungen an der LVR-Klinik Köln, begrüßte den Antrag und forderte zugleich, die Arbeit der in der Suizidprävention Tätigen nicht nur ideell zu würdigen, sondern auch finanziell abzusichern. „Dies ist derzeit leider nicht der Fall“, sagte sie. Es sei nicht vermittelbar, wenn es auf der einen Seite ein staatlich finanziertes Beratungsnetz für den Zugang zum attestierten Suizid geben soll - Beratungsstellen und Angebote, die den Menschen in Krisen das Leben und ihre Selbstbestimmung ermöglichen wollten, aber große Schwierigkeiten hätten, ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Suizidprävention koste Geld und sei keine Aufgabe, die auf Ehrenamt und Spendenfinanzierung reduziert werden könne, sagte Schneider.
In Übereinstimmung mit ihren Vorrednern betonte sie, Suizidprävention sehe nicht vor, den Betroffenen ihre Suizidgedanken auszureden. Die Gespräche seien immer ergebnisoffen. Sie sollten den Betroffenen helfen, selbstbestimmt zu entscheiden.
Positiv war auch die Bewertung durch Professor Bettina Schöne-Seifert vom Institut Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Universität Münster. Der Antrag verdiene jede Zustimmung. Er greife Sachen auf, die längst schon überfällig seien - etwa die Finanzierung, die Forschungsausstattung und die Etablierung von Beratungsstellen.
Der Antrag sei aber weitgehend unabhängig von der Suizidbegleitungsfrage, sagte Schöne-Seifert. Es müsse darum gehen, möglichst viele unfreie Suizide zu verhindern. Das könne durch Prävention gelingen und sei auch ein Ziel dieses Antrags. Ein zweites Ziel sei es, freie Suizidwünsche in freie Lebenswünsche zu verwandeln. Gleichzeitig gelte es aber auch, freie Suizidvorhaben nicht zu sabotieren. „Diese Ziele dürfen nicht miteinander verrechnet oder zusammengeführt werden“, sagte sie. Wenn es ein liberaleres Suizidhilfegesetz gebe, was sie ganz stark favorisiere, werde es mehr Suizide geben. „Darauf müssen wir gefasst sein und können das nicht hinterher als Versagen dieses Ansatzes abstempeln“, machte Schöne-Seifert deutlich.