Experten wollen bei globaler Ernährung auf Vielfalt setzen
Berlin: (hib/VOM) Der Begriff der Vielfalt spielt aus Sicht von Experten eine große Rolle bei der Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung durch innovative Methoden, etwa beim Anbau und in der Zucht von Nutzpflanzen. Dies wurde am Mittwoch in der Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu diesem Thema deutlich.
Aus Sicht von Matin Qaim, Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, ist eine Welt ohne Hunger zwar eine große Herausforderung, aber möglich. Erforderlich dafür sei eine umfassende Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme. So müsse die Landwirtschaft ertragreicher, vielfältiger und klimaangepasster werden. Zu geringe Ertragssteigerungen führten dazu, dass noch mehr Wälder abgeholzt würden. Die Produktionssteigerungen müssen nach Ansicht Qaims im globalen Süden stattfinden, dazu sei ein „Doppel-Wumms“ erforderlich. Produktionssteigerungen und neue Technologien seien wichtig, reichten aber nicht aus. „Wir müssen nachhaltiger im Konsum werden“, sagte Qaim, etwa durch geringeren Fleischkonsum und weniger Biosprit.
Wie Qaim weiter erläuterte, tragen Landwirtschaft und Ernährung etwa zu einem Drittel zum Klimawandel bei. Der Klimawandel habe wiederum Auswirkungen auf die Produktivität: Monokulturen seien stärker gefährdet als vielfältige Systeme, die die Resilienz erhöhen könnten. Qaim sprach sich dafür aus, die Vielfalt zu fördern und zu erhöhen. Die Vielfalt dürfe nicht losgelöst von technologischen Möglichkeiten gesehen werden. Neue Technologien würden benötigt und sollten aus einer Agrarökologie mit Vielfalt nicht ausgeschlossen werden. Die Biospritproduktion beanspruche ein Viertel der deutschen Ackerflächen, decke aber nur fünf Prozent des Kraftstoffbedarfs ab. Sie sei daher ein Irrweg und gehöre abgeschafft, so Qaim.
Für mehr Agrarökologie machte sich Roman Herre, Agrarreferent beim FoodFirst Informations- und Aktions-Netzwerk Deutschland (FIAN), stark. Er forderte einen Perspektivwechsel, um Programme und Projekte zielgenau auf die Betroffenen auszurichten. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) beziehe bei der Erarbeitung ihrer Afrika-Strategie benachteiligte Gruppen wie Kleinbauern in Afrika nicht angemessen ein, kritisierte Herre. Bei der Agrarökologie gehe es um die Beteiligung von Bauern. Rein rechnerisch könnten weltweit zehn Milliarden Menschen ernährt werden, doch passe die Produktions- und Ernährungssituation nicht zusammen. Intensive Anbaumethoden könnten zu mehr Ertragsflächen führen. Herres Forderung lautete, das Prinzip der Agrarökologie als zentralen Konzept zu etablieren. Aus seiner Sicht ist die agrarindustrielle Landwirtschaft nicht gemacht für die Hungerbekämpfung. Agrarökologische Ansätze böten die Möglichkeit der Produktivitätssteigerung, für höhere Erträge als bei Monokulturen gebe es viele Beispiele. Herre sagte, es gebe im BMZ Widerstände, agrarökologische Ansätze zu verfolgen.
Nach Ansicht von Jochen C. Reif, Leiter der Abteilung Züchtungsforschung des Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben (Sachsen-Anhalt), kann ein Transfer von Innovationen in Züchtungsprogramme der Entwicklungsländer einen wichtigen Beitrag zur globalen Nahrungsmittelversorgung leisten, der ökologische Landbau würde davon profitieren. Trotz dieser Potenziale sei zu beobachten, dass für die operative Züchtung bei der Süßkartoffel weniger Geld zur Verfügung stehe. Die öffentlichen Mittel für die Pflanzenzüchtungsforschung seien reduziert worden. Reif schätzte die Potenziale zur Nutzung großer Datenmengen hoch ein. Auf altes Saatgut angesprochen sagte der Wissenschaftler, alt heiße bei Pflanzen oft auch nicht gesund: „Wir können nicht Ressourcen aus Genbanken so einfach herausholen, um sie für die Pflanzenzüchtung nutzbar zu machen.“
Auf riesige Produktionslücken in Afrika machte Carin Smaller, geschäftsführende Direktorin der gemeinnützigen Organisation „Shamba Centre for Food & Climate“ in Genf, aufmerksam. Eine Kuh in Afrika produziere zwanzigmal weniger Milch als eine Kuh in Europa. Die Verwendung von Ernterückständen zur Verfütterung an Kühe nannte sie eine erste Innovation. Lebensmittelverschwendung finde während der Ernte und der Verarbeitung statt, etwa ein Drittel der Lebensmittel gingen dadurch verloren, was tragisch sei. In Nigeria würden etwa Tonnen von Lebensmitteln verderben, weil sie nicht entsprechend gelagert würden.
Zum Thema Importabhängigkeit meinte Smaller, seit der Covid-Pandemie gehe der Diskurs eher dahin, die Abhängigkeit vom globalen Markt zu verringern. Sie halte das für falsch. Wenn die nationalen Grenzen geschlossen würden, werde man vulnerabler sein: „Wir werden nicht in der Lage sein, mit Risiken klarzukommen.“ In Malawi hätten nach massiven Mais-Ernteausfällen Millionen Menschen mehr Hunger gelitten, als wenn man die Nahrungsmittel von anderen Ländern hätte beziehen können. Ein Teil der Krise sei hervorgerufen worden aufgrund der Abhängigkeit von wenigen Staaten. Die Konzentration der Produktion in den Händen weniger Staaten und Unternehmen muss nach Ansicht Smallers aufgebrochen werden: „Wir wollen mehr Vielfalt und mehr Optionen, nicht weniger“, forderte sie. Von Importen sollte man sich nicht unabhängig machen wollen, fand Smaller.
Produktivitätssteigerungen im globalen Süden hängen aus ihrer Sicht nicht von mehr Betriebsmitteln ab. Stattdessen empfahl sie, „mehr aus dem Vieh, aus den Pflanzen herauszuholen“. Sich nur auf die Agraarökologie zu verlassen, werde die Probleme nicht lösen. Es müsse aber mehr Agrarökologie geben, weil man von der industriellen Produktion zu abhängig sei. Smaller empfahl, die Digitalisierung zu nutzen, auf erneuerbare Energien zu setzen und die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren. Nötig seien innovative Ansätze, um dezentralisierte Infrastrukturprojekte zu entwickeln. Der Privatsektor werde gebraucht, aber die Länder müssten alle Aktivitäten im Land regulieren.
Daniel Wajama, Direktor von „Seed Savers Network Kenya“, eines Netzwerks zur Sicherung des Saatguts in Kenia, sagte, in seinem Land würden in der Landwirtschaft 500 Stoffe verwendet, die in Europa verboten seien. Wanjama plädierte für neue Methoden, um der Bevölkerung zu helfen und neue Methoden im Kampf gegen den Klimawandel, für mehr Vielfalt, etwa durch bessere Bewässerung. Wichtig sei auch, für Nahrungsmittelsouveränität zu sorgen. Die Menschen müssten autark werden. Unternehmen in Deutschland sollten nicht Chemikalien exportieren, die in Deutschland verboten sind. Ländliche Genossenschaften und Kleinbauern sollten nicht von Marktimporten abhängig sein, sie sollten ihre eigenen Anbaumethoden haben, ohne zukaufen zu müssen. Multinationale Unternehmen hätten riesigen Einfluss auf Politik und Gesetzgebung, auch Patente seien in den Händen großer Unternehmen. Niemand investiere in Forschungen, die nicht marktbasiert sind. Zu chemischen Düngemitteln gebe es Alternativen, etwa den Dung des eigenen Viehs, so Wanjama.