02.12.2022 Wahlrechtskommission — Ausschuss — hib 719/2022

Wie der Bundestag effektiver und attraktiver werden kann

Berlin: (hib/VOM) Die Wahlrechtskommission des Bundestages hat sich in ihrer letzten Arbeitssitzung am Donnerstagabend mit Fragen der Modernisierung der Parlamentsarbeit befasst. Konkret ging es um mehr Attraktivität, Transparenz und Effektivität durch Nutzung digitaler Möglichkeiten, um die stärkere Einbeziehung der Anregungen von Bürgerinnen und Bürgern und um die stärkere Wahrnehmung parlamentarischer Rechte, auch im Hinblick auf internationale Entscheidungsprozesse.

Passend zum Thema „familienfreundliches Parlament“ wies Leni Breymaier (SPD) darauf hin, dass die „Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben“ um 1.30 Uhr in der Nacht auf Freitag auf der Tagesordnung des Bundestages steht. Aufgrund dieser langen Plenarsitzungen warb sie dafür, im rechtssicheren Rahmen so viel Technik wie möglich zu nutzen. Für Till Steffen, Obmann von Bündnis 90/Die Grünen, hat dieses „Durchhalteritual“ etwas Archaisches, auch wenn es durch die Möglichkeit, Reden am späten Abend zu Protokoll geben zu können, etwas abgekürzt werde. Rede und Gegenrede würden durch diese „parlamentarische Praxis“ aber preisgegeben. Durch diese Ausdehnung der Sitzungen in die Nachstunden büße der Bundestag an Attraktivität ein.

Ansgar Heveling, Obmann der Unionsfraktion, griff einen Begriff des Sachverständigen Christoph Möllers auf, der gesagt hatte, der Bundestag müsse seine „Aura“ bewahren, was nur durch „physisches Zusammenfinden von Leuten“ möglich sei, um Entscheidungen zu treffen. Auch aus Sicht Hevelings muss die Kommunikationsfunktion des Parlaments in Präsenz wahrgenommen werden. „Im Zentrum sollte der direkte Austausch stehen“, so Heveling. Digitale Formate könnten die Ausschussarbeit ergänzen. Der Sachverständige Friedrich Pukelsheim hielt eine „Abstimmungsmaschine“ für den Bundestag für überfällig, zeitgemäße Technik wäre aus seiner Sicht angebracht. Archaisch mute es an, wie Abgeordnete bei namentlichen Abstimmungen um die Urne „herumwuselten“. Diesem „Herumwuseln“ gewann Heveling etwas Positives ab, denn es biete sich dabei die Gelegenheit, „mit Kollegen aus anderen Fraktionen ins Gespräch zu kommen“.

AfD-Obmann Albrecht Glaser beklagte, dass Änderungsanträge zu Gesetzentwürfen zu spät zugeleitet würden. Wenn durch ein Steuergesetz mit zwölf Artikeln 36 Gesetze geändert würden, durch die in viele Lebenszusammenhänge eingegriffen werde, sei das in kürzester Zeit nicht mehr lesbar: „Unvorstellbar, das als geordneten Gesetzgebungsprozess zu bezeichnen.“ Die Geschäftsordnung verlange einen Vorlauf von 24 Stunden.

Susanne Hennig-Wellsow, Obfrau der Linken, empfahl, Redezeitverkürzungen ins Spiel zu bringen und auf digitale Abstimmungen zu setzen. Die Sachverständige Halina Wawzyniak regte an, wie im Berliner Abgeordnetenhaus eine Höchstredezeit festzulegen und jeder Fraktion dieselbe Redezeit zuzugestehen.

In Sachen Bürgerbeteiligung befasste sich die Kommission mit der Einrichtung der Bürgerräte. Für Till Steffen sind sie eine Form des Erkenntnisgewinns für die Abgeordneten, auch Leni Breymaier zeigte sich ihnen gegenüber aufgeschlossen und wünschte für sie handfeste, streitbare Themen. Zurückhaltender formulierte Ansgar Heveling, es dürfe keine Bindungswirkung gegenüber dem Parlament entstehen: „Man sollte nicht eine Illusion erzeugen, die der Realität nicht standhalten kann.“

Auch Stephan Thomae (FDP) warnte davor, die Illusion eines „Überparlaments“ zu erzeugen, sprach sich aber auch dafür aus, nicht zu defensiv an das Thema heranzugehen und zu zeigen, dass man für neue Kommunikationskanäle offen sei.

Christoph Möllers sagte, die Bürgerräte stießen an verfassungsrechtliche Grenzen, weil ihnen die demokratische Legitimation fehle. Positiver äußerte sich der Sachverständige Joachim Behnke, der sich einen „zusätzlichen Input“ verspricht. Wenn die Bürgerräte nicht zu „symbolischer Politik“ verkommen sollten, müssten sie die Möglichkeit zu eigener Initiative erhalten. Die Sachverständige Elke Ferner mahnte, Bürgerräte dürften keine Alibiveranstaltung werden, sie müssten alle Bevölkerungsgruppen repräsentieren. Für Albrecht Glaser sind Bürgerräte eine „Ersatzhandlung“, weil man den Gedanken an Volksabstimmungen verworfen habe.

Zum Umgang des Bundestages mit völkerrechtlichen Verträgen verwies die Sachverständige Stefanie Schmahl auf Artikel 59 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes, der lautet: „Verträge, welche die politischen Beziehungen des Bundes regeln oder sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung beziehen, bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes.“

Schmahl regte an, auch die vorläufige Anwendung von völkerrechtlichen Verträgen und die Kündigung von ordnungsrechtlichen Verträgen, etwa auf dem Gebiet der Menschenrechte oder des Umweltrechts, der Zustimmung des Bundestages zu unterwerfen. Christoph Möllers nannte die Kündigung von Verträgen ohne den Bundestag einen „seltsamen Umstand“. Der Bundestag könnte seiner Meinung nach eine parlamentarische Beteiligung einfordern, bevor der völkerrechtliche Vertrag paraphiert wird. Institutionelle Lösungen des Problems müssten vom Bundestag selbst kommen. Till Steffen diagnostizierte bei diesen Verträgen ein „Auseinanderfallen von Regierung und Parlament“. Ansgar Heveling empfahl zu prüfen, ob die gesetzlich geregelte Beteiligung des Bundestages an den Rechtsakten der Europäischen Union auch auf andere internationale Verträge ausgeweitet werden könnte.

Die Kommission beschloss einstimmig einen Zeitplan, wonach das Kommissionssekretariat bis 13. Februar 2023 den Entwurf eines Abschlussberichts vorlegen wird und die Fraktionen bis zum 3. April Änderungsvorschläge einbringen können. Vorgesehen ist, dass die Kommission am 20. April über den Abschlussbericht abstimmt, wobei der 27. April als Ausweichtermin reserviert wird. Der Bundestag hat die aus 13 Abgeordneten und 13 Sachverständigen bestehende Kommission zur Reform des Wahlrechts und zur Modernisierung der Parlamentsarbeit am 16. März 2022 eingesetzt (20/1023). Sie soll ihren Abschlussbericht bis 30. Juni 2023 vorlegen.

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