02.12.2022 1. Untersuchungsausschuss — Ausschuss — hib 720/2022

Bundesregierung wollte Bedingungen für Abzug

Berlin: (hib/CRS) Der 1. Untersuchungsausschuss hat seine Sitzung am Donnerstagabend mit der Vernehmung eines ehemaligen Referenten aus dem Bundeskanzleramt fortgeführt. Er war im Bundeskanzleramt für die bilateralen Beziehungen unter anderem zu den Staaten Asiens verantwortlich, als das Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban abgeschlossen wurde.

Afghanistan sei nicht sein einziges Beschäftigungsgebiet gewesen, erklärte der Zeuge dem Ausschuss. Einige Krisenländer wie Afghanistan hätten aber trotzdem ungefähr ein Viertel seiner Arbeitszeit in Anspruch genommen.

Nach dem Abschluss des Doha-Abkommens habe man vor zwei Herausforderungen gestanden, berichtete er. Erstens sei man der Ansicht gewesen, dass es Kriterien für die Umsetzung des Abkommens hätte geben müssen. Zweitens sollten die innerafghanischen Friedensgespräche konstruktiv unterstützt werden. Dazu habe die Bundesregierung auf Leitungsebene in Washington Vorschläge gemacht. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) habe diesen Versuch unterstützt.

Das Doha-Abkommen sei in zwei Phasen umgesetzt worden, führte der Zeuge aus. In der ersten 145-tägigen Phase, die parallel zum Wahlkampf in den USA gelaufen sei, hätten die internationalen Partner einen Teilabzug organisiert und vollzogen. Die zweite Phase sei 14 Monate lang gewesen. In dieser Zeit habe sich die Bundesregierung bemüht, das Zeitfenster für den Abzug zu entzerren, so der Zeuge. Ziel sei gewesen, einen konditionsbasierten Abzug zu erreichen und Zeit für innerafghanische Friedensgespräche zu gewinnen. Es sei darum gegangen „ein unwahrscheinliches Szenario wahrscheinlich zu machen und nichts unversucht zu lassen“, um die Entscheidungen der US-Administration zu beeinflussen.

Die damaligen innenpolitischen Konflikte in Afghanistan hätten dieses Vorhaben erschwert, führte der Zeuge aus. Nach der Präsidentschaftswahl 2019 hätten beide Kandidaten, Aschraf Ghani und Abdullah Abdullah, sich selbst zum Wahlsieger erklärt. Erst im Frühjahr 2020 sei die politische Krise mit einem Abkommen zur Machtteilung zwischen den beiden Lagern beendet worden. Das habe die Situation verkompliziert. Die Bundesregierung habe sogar darauf verzichtet, Aschraf Ghani zur Wahl zu gratulieren. Die afghanische Regierung sei „nach Ansicht der Bundesregierung ein schwieriger Partner“ gewesen, aber es habe keine Alternative zur Zusammenarbeit gegeben.

Zum damaligen Zeitpunkt sei die „Stärkung der Demokratie in Afghanistan nicht das Ziel der Bundesregierung“ gewesen, berichtete der Zeuge. Es sei darum gegangen, die innerafghanischen Friedensgespräche zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Man habe an die Wähler gedacht, die an die Wahlurnen gegangen seien, und sie nicht allein zurücklassen wollen.

In einem Punkt seien sich alle Afghanen einig gewesen, erinnerte sich der ehemalige Kanzleramts-Referent: Sie hätten sich gewünscht, dass Deutschland eine aktive Rolle bei den innerafghanischen Verhandlungen übernimmt und die Gespräche mit den Taliban in Deutschland stattfinden. Diesem Wunsch hätte sich die Bundesregierung nicht komplett entziehen können, urteilte der Zeuge. Deshalb habe man Nutzen und Risiken einer solchen Rolle diskutiert, dabei aber immer die internationalen Partner im Blick gehabt. Am Ende hätten die Gespräche dennoch in Doha stattgefunden.

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