Experten: „Exzellenz muss für alle da sein“
Berlin: (hib/HARI) Berufliche Bildung muss moderner und attraktiver werden, sich aber auch breiter aufstellen, sollen sich künftig mehr junge Menschen als bisher dafür entscheiden. Dies ist das Anliegen der „Exzellenzinitiative Berufliche Bildung und Sicherung der Ausbildungsqualität“, die am Mittwoch Thema eines öffentlichen Expertengesprächs im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technologieabschätzung war. Dabei begrüßten Sachverständige aus Gewerkschaft, Handwerk und Wissenschaft zwar die Initiative der Bundesregierung, hielten jedoch die Maßnahmen für unzureichend.
Mit den anderen Fachleuten war sich Kristof Becker, Bundesjugendsekretär des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), dass die Politik gegen die Ausbildungsmisere handeln müsse. Jedes Jahr zeige sich laut DGB-Ausbildungsreport, dass „mit der Ausbildungsqualität etwas im Argen liegt“. Der Report sei mit zuletzt 14 000 Teilnehmenden die größte Befragung zur Ausbildungsqualität in Deutschland. Die Arbeitgeber jammerten, keinen geeigneten Nachwuchs zu finden und beklagten eine zunehmende Akademisierung. Doch bedeute Exzellenz, betonte Becker, „bessere Qualität für alle und nicht Förderung der Besten“.
Bildungspolitik solle sich deshalb nicht nur darauf konzentrieren, an Gymnasien für eine Berufsausbildung zu werben. Verbesserungsbedarf gebe es in allen Schulformen. Zu verbessern gelte es - nicht nur mit Blick auf die Inflation - auch die materiellen Lebensbedingungen junger Auszubildender. Wenn ein Azubis 620 Euro brutto im Monat erhalte, ein WG-Zimmer aber 550 Euro koste, was bleibe dann zum Leben? Der DGB fordere deshalb, die Ausbildungsvergütungen anzuheben. Wichtig sei zudem, jegliche Ausbildung kostenlos anzubieten.
Des Weiteren verlangen die Gewerkschaften eine Ausbildungsgarantie. Der Fokus sollte zwar auf einer betrieblichen Ausbildung liegen, aber mit Blick auf 2,3 Millionen junger Menschen ohne Ausbildung müsse die Politik mehr außerbetriebliche Ausbildung schaffen, die dann in eine betriebliche einmünden sollte.
In punkto Ausbildungsgarantie widersprach Volker Born vom Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) dem Gewerkschaftsvertreter. Betrieben sei eine Ausbildungsgarantie schwer zu vermitteln, da es „einen Überhang an Angeboten“ gebe. Von den etwa fünf Millionen Beschäftigten im Handwerk seien nur knapp fünf Prozent akademisch qualifiziert. 95 Prozent kämen also über Berufliche Bildung in die Betriebe. Diese sei daher ein „zentraler Fachkräftestrategiestrang“, sagte Born. Das Handwerk stehe allerdings vor einigen Herausforderungen: „Wir können seit vielen Jahren viele Ausbildungsplätze nicht besetzen.“ Trotz gestiegener Anforderungen bemühten sich die Betriebe sehr, Lerndefizite auszugleichen. „Gerade nach der Corona-Epidemie müssen wir mit Lernrückständen umgehen“, so der Arbeitgebervertreter. Derzeit seien 20.000 Plätze unbesetzt. Als weitere Herausforderung nannte Born, dass das Handwerk viel in Qualifizierung in Gesellen und Meister investieren müsse, weil zum einen die fachlichen Anforderungen gestiegen seien, zum anderen demnächst 125.000 Betriebsnachfolgen zu organisieren seien. Ein großes Anliegen des ZDH sei, unterstrich Born, die Gleichwertigkeit von beruflicher und akademischer Bildung.
Professor Michael Heister vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) hob die Notwendigkeit hervor, auch an Gymnasien einen stärkeren Akzent auf Berufsorientierung zu legen. Zwischen 2005 und 2021 habe die Zahl der Auszubildenden um 15,4 Prozent abgenommen, während zugleich die Anzahl Studierender an den Hochschulen um 29,8 Prozent gestiegen sei.
Im vergangenen Jahrzehnt sei zwar schon viel für Berufsorientierung in den Klassenstufen 9 bis 10 geschehen, nun müssten auch die Gymnasien nachziehen. Hier sei „noch viel Luft nach oben“. Eines dürfe die Akteure aber nicht aus dem Blick verlieren, nämlich die Frage: „Wo sind die Jugendlichen ohne Berufsabschluss geblieben, wo haben wir die verloren?“ Ebenso das Problem des Übergangsbereiches: Zwar sei es gelungen, diesen zahlenmäßig zu halbieren, aber: „Was bringt Jugendliche in der verbliebenen Hälfte weiter?“
Heister wies auf das Sonderprogramm seines Instituts zur Förderung der Digitalisierung in überbetrieblichen Berufsbildungsstätten hin, das in den vergangenen sechs Jahren vom Bildungsministerium mit 124 Millionen Euro gefördert worden sei und vor allem kleinen und mittelgroßen Unternehmen zugute komme.
Auf Probleme der Exzellenzinitiative wies Professorin Susan Seeber von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz (KMK) hin. Die Wissenschaftlerin begrüßte zwar den Ansatz der Initiative, junge Menschen „bestmöglich zu qualifizieren“, stellte aber die Frage in den Raum: Was sei mit „Exzellenz“ überhaupt gemeint? Seeber befürchtete, dass im Mittelpunkt der Initiative vor allem die Leistungsstarken und Innovativen stünden, die angesprochen werden sollten. Dabei sei auf Breitenwirkung „nicht hinreichend“ gesetzt worden, um auch den Fachkräftemangel in kleineren und mittleren Betrieben in den Griff zu bekommen. Die Attraktivitätssteigerung und Modernisierung der Beruflichen Bildung sollte „in der Gesamtbreite“ erfolgen. Seeber erwähnte in dem Zusammenhang darauf hin, dass kleinere und mittlere Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, 70 Prozent der Ausbildungsplätze zur Verfügung stellten. Außerdem seien nichtbetriebliche Ausbildungsbereiche in den Erziehungs-, Gesundheits- und Pflegeberufen zu wenig bedacht.