Straffung der Verantwortlichkeiten bei der Cybersicherheit
Berlin: (hib/HAU) Während einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses am Mittwochnachmittag haben die geladenen Sachverständigen Ideen zur Stärkung der Cybersicherheit in Deutschland erörtert. Gefordert wurde unter anderem die Straffung der Verantwortlichkeiten, eine Stärkung der Strafverfolgung sowie das Schließen von Sicherheitslücken. Hinsichtlich einer stärkeren Unabhängigkeit des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) vom Bundesministerium für Inneres und Heimat (BMI) gab es unterschiedliche Bewertungen.
Aus Sicht von Ammar Alkassar, dem ehemaligen Bevollmächtigten für Innovation und Strategie des Saarlandes, ist die Aufstellung der deutschen Cybersicherheitsarchitektur ein Erfolgsmodell. Andere Staaten täten sich bei der Abgrenzung zwischen zivilen Aufgaben der Cybersicherheit und nachrichtendienstlichen Aufgaben schwer. Deutschland habe hingegen mit dem BSI eine Behörde, „die weitestgehend großes Vertrauen genießt bei den Stakeholdern“. Vertrauen sei die wesentliche Grundlage bei der Cybersicherheit. Mit Blick auf eine stärkere Unabhängigkeit des BSI machte Alkassar deutlich, dass Cybersicherheit auch künftig Teil des Regierungshandelns sein werde und damit einer Steuerung durch die Bundesregierung unterliegen werde.
Zu viele Akteure und zu viele ineffektive Gesetze machten die Cybersecurity komplex, sagte Manuel Atug, Gründer und Sprecher der AG Kritis. „Komplexität ist aber der Feind von Sicherheit“, urteilte er. Es fehle an einer Evaluierung der Gesetze. Die im Koalitionsvertrag verankerte Überwachungsgesamtrechnung sei nicht in Sicht. Die Cybersicherheitsarchitektur in Deutschland müsse dringend entschlackt werden, so seine Forderung. Atug sprach von einem Wimmelbild der Verantwortungsdiffusion. „Alle wollen mitspielen, aber niemand ist verantwortlich, wenn etwas passiert.“ Es fehle eine defensive Cybersicherheitsstrategie in Deutschland. Zudem brauche es kein Schwachstellenmanagement. Schwachstellen dürften nicht gemanagt werden, sondern müssten behoben werden, forderte Atug.
Deutschland benötigt nach Auffassung der Politikwissenschaftlerin Annegret Bendiek von der Stiftung Wissenschaft und Politik eine Stärkung von Bundeskompetenzen im Bereich der aktiven Cyberabwehr bei Gefahrenlage. Vergleichbar zur Terrorismusbekämpfung müssten die Befugnisse für das Bundeskriminalamt (BKA) im Nationalen Cyberabwehrzentrum gestärkt werden. Gleichzeitig sei eine stärkere Unabhängigkeit des BSI vom BMI sinnvoll. „Beide Reformen würden die für die europäische Handlungsfähigkeit zur Cyberabwehr notwendigen Vorbedingungen für die EU-Zusammenarbeit schaffen“, befand sie. Bendiek sprach von einem „Vakuum zwischen Cyberdiplomatie und Cyberverteidigung“. Die zukünftige Cybersicherheitspolitik könne daher weder rein defensiv noch offensiv ausgerichtet sein, sondern müsse dem Leitbild einer aktiven defensiven Cyberabwehr folgen.
Stefanie Frey, Geschäftsführerin des Sicherheitsberatungsunternehmens Deutor Cyber Security Solutions GmbH, forderte eine Stärkung der Strafverfolgung. Die Polizei müsse befähigt und befugt sein, „ihre Arbeit der Strafermittlung- und Verfolgung zu tun“. Dazu gehörten die Überwachung der Täterstrukturen und deren Infrastrukturen sowie die Befugnis der Beschlagnahmung, um diese auch vom Netz nehmen zu können. Durch Beschlagnahme von Infrastrukturen würden nicht nur die Täter vorübergehend arbeitsunfähig, sie können auch die „abgezogenen“ Daten nicht mehr veröffentlichen, sagte Frey. Derzeit bestehe jedoch ein Kompetenzwirrwarr mit zahlreichen Hotlines auf den jeweiligen Ebenen die durch betroffene Unternehmen ansprechbar seien, jedoch nicht helfen könnten, „weil ihnen die Kompetenzen und Leistungsangebote fehlen und die Schnittstelle zur Strafverfolgung nicht bedient werden“.
Sven Herpig, Leiter für Internationale Cybersicherheitspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung, hält Reformen und einen „struktureller Umbau der IT-Sicherheitsarchitektur“, für „dringend geboten“. Aktuell fehle es der Bundesregierung bei der deutschen Cybersicherheitspolitik an Transparenz und proaktiver Kommunikation, einer konstruktiven Einbeziehung der Zivilgesellschaft sowie einem Evaluations- und Reformwillen. Herpig empfahl die Einsetzung einer mit unabhängigen Experten und Praktikern besetzten Kommission zur Evaluierung der deutschen Cybersicherheitsarchitektur und der Erarbeitung des entsprechenden Reformbedarfs. Diese Kommission müsse aber auch hinreichend mit Informationen ausgestattet werden, um effektiv arbeiten zu können, forderte er.
Bei der Cybersicherheit gehe es um die Aufrechterhaltung der vernetzten IT-Systeme, sagte Dennis-Kenji Kipker, Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Hochschule Bremen. Die operative Cybersicherheit in Deutschland sei also „primär eine technische und nicht eine politische Aufgabe“. Daran müssten sich legislative und exekutive Maßnahmen künftig stärker orientieren, um keine systemimmanenten Widersprüche zu generieren, forderte er. Was die aktive Cyberabwehr angeht, so befand Kipker, dass sämtliche im Konzeptpapier der Bundesregierung aus dem Jahr 2019 aufgeführten Strukturen und behördlichen Akteure „weder geeignet noch verfassungsrechtlich legitimiert“ seien, einen digitalen Gegenschlag durchzuführen oder darüber zu entscheiden. Allein zuständig dafür sei die Bundeswehr mit dem Kommando Cyber- und Informationsraum.
Für Martina Angela Sasse, Professorin am Lehrstuhl Menschzentrierte IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum ist Cybersicherheit kein rein technisches Problem. „Digitale Dienste und Produkte werden von Menschen genutzt“, sagte sie. Dieser Aspekt werde oft vernachlässigt. Das aktuelle „Wimmelbild der Verantwortung“ mache es derzeit für Nicht-Experten sehr schwer, herauszufinden, wo sie kompetente Hilfe und Informationen finden können. „Die Menschen fühlen sich allein gelassen, was das Vertrauen in den Staat untergräbt“, sagte Sasse. Zudem würden Hersteller aber auch Behörden ihre Verantwortung oftmals abladen, „unter dem Stichwort Schwachstelle Mensch“. Es könne aber nicht gefordert werden, dass alle Menschen Sicherheitsexperten sein müssen, um sich im digitalen Raum bewegen zu können. Deshalb sei security by design und Produkthaftung notwendig.
Julia Schuetze, Projektleiterin Internationale Cybersicherheitspolitik der Stiftung Neue Verantwortung, ging auf mögliche Verbesserungen im Zusammenspiel von Bund, Ländern und Kommunen ein. Im Hinblick auf die NIS-2-Umsetzung (EU-Richtlinie zur Netz- und Informationssicherheit) sehe sie dies als Chance, die föderale Zusammenarbeit zu optimieren. Drei Aspekte seien dabei besonders wichtig, befand Schuetze. So müsse der Beitrag der Länder definiert, der Informationsaustausch zur Resilienzförderung optimiert und die Kommunalverwaltung in die NIS-2-Umsetzung einbezogen werden. Ansprechstellen in den Ländern würden immer wichtiger, betonte sie.